Causa Kampusch: Wackelt die Ein-Täter-These?

(c) AP (Fabian Bimmer)
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Jene Frau, die als junges Mädchen zwei Kampusch-Entführer gesehen haben will, wird am Freitag als Zeugin im Landesgericht Innsbruck aussagen. Sie sei "umgepolt" worden, heißt es.

Wien/Innsbruck. Am kommenden Freitag (29. Juli) könnten die (an sich bereits abgeschlossenen) Ermittlungen zur Entführung von Natascha Kampusch neue Nahrung bekommen. An diesem Tag sagt die einzige Tatzeugin im Innsbrucker Landesgericht aus. Dabei handelt es sich um jene nun 25 Jahre alte Frau, die als Zwölfjährige beobachtet hatte, wie Natascha Kampusch in einen weißen Kastenwagen gezerrt wurde. Die Einvernahme von I. A. erfolgt im Rahmen des Amtsmissbrauchsverfahrens gegen fünf (Ober-)Staatsanwälte. Diese stehen im Verdacht, bei den seinerzeitigen Kampusch-Ermittlungen nicht sorgfältig genug ermittelt zu haben.

Rückblende: Am Morgen des 2. März 1998 beobachtet die Schülerin I.A., wie die zehnjährige Natascha Kampusch auf dem Schulweg in Wien-Donaustadt verschleppt wird. Zeugin A. meldet sich am nächsten Tag in Begleitung ihrer Mutter im Polizeiwachzimmer Rennbahnweg und gibt an, dass sie zwei Männer in dem Entführungsfahrzeug gesehen habe.

Auch im November 2002, als das Landesgendarmeriekommando Burgenland den Fall neu aufrollt, spricht A. von zwei Zeugen. Und auch bei einer Einvernahme am 27. August 2006 – kurz nachdem sich Kampusch aus dem Haus des Entführers Wolfgang Priklopil befreit hat – bestätigt A., zwei Männer gesehen zu haben.

Aus dem Protokoll, in dem die Zeugin auf Fotos von Priklopil Bezug nimmt: „Den Täter kann ich anhand der Bilder eindeutig als damaligen Beifahrer identifizieren. Die Person vom Fahrersitz hatte ganz kurze Haare, eine Stoppelglatze.“ Und: „Auch wenn mir gesagt wird, dass Natascha Kampusch aussagt, dass nur eine Person die Entführung gemacht hat, bin ich mir sicher, dass in dem Bus, welchen ich gesehen habe, zwei Personen gesessen sind.“

Am 3. Dezember 2009 ist dann alles anders. Im Dienstraum 4336 des Bundeskriminalamtes kommt es ab 18.45 Uhr zu einem denkwürdigen Treffen. Unter der Regie der Beamten Oberst Franz Kröll und Chefinspektor Kurt Linzer begegnet A. erstmals dem – mittlerweile weltbekannten – Entführungsopfer, Natascha Kampusch.

Wie seinerzeit am Wachzimmer Rennbahnweg ist A. wieder gemeinsam mit ihrer Mutter gekommen. Um 19.40 Uhr („Ende der Amtshandlung“ laut Amtsvermerk) ist alles anders: A. ist von ihren mehrmaligen Angaben abgerückt. Die Ein-Täter-These ist somit perfekt. Aus dem Amtsvermerk: „A. I. brachte [...] vor, dass sie jetzt endlich ruhig schlafen könne, zumal es wirklich nur einen Täter am 2. März 1998 gegeben habe und sie sich offensichtlich wirklich geirrt haben muss.“

Gegenüberstellung als „Farce“?

Ex-OGH-Präsident Johann Rzeszut, Mitglied der seinerzeitigen Kampusch-Evaluierungskommission, nannte später die Gegenüberstellung der beiden jungen Frauen in einem Dossier an das Parlament eine „Farce“. A. sei „suggestiv umgepolt“ worden.

Kröll beklagte sich danach, dass ihm die zügige Beendigung des Ermittlungsverfahrens „unmissverständlich nahegelegt“ worden sei. Am 25. Juni 2010 nahm sich Kröll das Leben.

Aber wie groß waren die Selbstzweifel von Oberst Kröll wirklich? Dies ist nun eine der Fragen im Staatsanwälte-Verfahren. Immerhin gibt es auch ein E-Mail vom 23. Dezember 2009, in dem sich der Beamte beim damaligen operativen Leiter der Kampusch-Ermittlungen, dem Grazer Chefankläger Thomas Mühlbacher, „für die Zusammenarbeit und die stetige Hilfe und Unterstützung“ dankt.

Mühlbacher ist einer der fünf Ankläger, die im Verdacht stehen, seinerzeit „indizierte“ Ermittlungsschritte unterlassen zu haben. Dies wird auch den anderen beschuldigten Anklagevertretern, darunter Werner Pleischl, Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, angelastet. Alle fünf weisen die Vorwürfe ausdrücklich zurück.

Wenn nun am Freitag Ermittlungsrichter Georg Putz die Zeugin A. einvernimmt, wird dies wohl nicht nur für das Staatsanwälte-Verfahren entscheidend. Wenn A. erneut über ihre Wahrnehmungen vom Tag der Entführung berichtet, könnte dies in letzter Konsequenz neue Kampusch-Ermittlungen bedeuten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2011)

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