Ermittlungsrichter befragte zehn Zeugen. Anfang September ergeht Bericht an Justizministerium, ob sich beschuldigte Staatsanwälte wegen Amtsmissbrauchs verantworten müssen. Dann entscheidet die Ministerin.
Innsbruck. Es waren arbeitsame Tage, die Ermittlungsrichter Georg Putz zuletzt in Innsbruck verbrachte. Während viele seiner Kollegen auf Urlaub weilten, sollte unter seiner Anleitung geklärt werden, ob fünf in den Entführungsfall von Natascha Kampusch involvierte Staatsanwälte Amtsmissbrauch begangen haben.
Eines vorweg: Beantwortet ist die Frage noch lange nicht. Abgeschlossen wurde am Dienstag jedoch die Beweisaufnahme für das laufende Ermittlungsverfahren. Nun wandert der umfangreiche Akt zurück zum Staatsanwalt, der das neue Material sichten und bewerten muss.
Laut Angabe der Anklagebehörde wird das etwa einen Monat dauern. Wie „Die Presse“ erfuhr, hat Putz zuletzt nicht weniger als zehn Zeugen zur Causa einvernommen. Darunter befand sich auch jene heute 25-jährige Frau, die damals, am 2.März 1998, Natascha Kampuschs Entführung als einzige selbst miterlebte. Die beobachtete, wie zwei Männer die damals zehnjährige Kampusch in einen weißen Lieferwagen zerrten. Bei einer späteren Gegenüberstellung revidierte sie ihre Aussage überraschend auf einen Täter.
Ebenfalls vor Putz ausgesagt haben mehrere Mitglieder der von Ex-Verfassungsgerichtshof-Chef Ludwig Adamovich geleiteten Evaluierungskommission sowie einige mit dem Fall betraute Kriminalbeamte. Den fünf Staatsanwälten, unter ihnen der Leiter der Wiener Oberstaatsanwaltschaft, Werner Pleischl, und der Leiter der Staatsanwaltschaft Graz, Thomas Mühlbacher, wird vorgeworfen, naheliegende Ermittlungsschritte unterlassen zu haben. Alle Beschuldigten weisen die Vorwürfe entschieden zurück.
22.000 Seiten starker Akt
Schon Adamovich hatte in der Vergangenheit mehrfach Zweifel an der Ein-Täter-Theorie geäußert. Nach der neuerlichen Aufrollung des Falls durch Thomas Mühlbacher wurde er jedoch abgeschlossen. Danach stellte sich Ex-OGH-Präsident Johann Rzeszut in die erste Reihe der Kritiker (auch er war Mitglied der Evaluierungskommission). Die Gegenüberstellung, bei der die einzige Augenzeugin elf Jahre nach der Tat überraschend ihre Aussage revidierte, sei eine „Farce“ gewesen, die junge Frau im Vorfeld „suggestiv umgepolt“ worden. Ende 2010 wurde schließlich bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen fünf verdächtige Kollegen ermitteln soll. Der inzwischen 22.000Seiten starke Akt übersiedelte nach Tirol.
Ebendort fällt jedoch nicht die letztgültige Entscheidung, ob nun tatsächlich Anklage gegen die fünf Beschuldigten erhoben wird oder nicht. In Wahrheit liegt es an Justizministerin Beatrix Karl (VP). Bei Fällen von „besonderem öffentlichem Interesse“ muss der zuständige Ankläger einen sogenannten Vorhabensbericht an Oberstaatsanwaltschaft und Ministerium liefern. Dort wird dann entschieden, ob dem „Vorhaben“ des Sachbearbeiters stattzugeben ist oder nicht.
Geregelt ist all das in §8 des Staatsanwaltschaftsgesetzes. Wobei auch der Sprecher der Staatsanwaltschaft Innsbruck den Begriff „öffentliches Interesse“ als „durchaus dehnbar“ bezeichnet. Im Gegenständlichen Fall bestehe aber wohl kein Zweifel.
„Mitwisser“ einvernommen
Die Innsbrucker Ermittlungen sorgten in den vergangenen Wochen für einiges an Aufregung in Justizkreisen. Zunächst versuchte der Mitbeschuldigte Pleischl erfolglos, Ermittlungsrichter Putz für befangen zu erklären. Danach entschlugen sich er und Mühlbacher der Aussage. Im Anschluss sorgte ein in Haft Sitzender für Aufregung, der sich als „Mitwisser“ des inzwischen 13 Jahre zurückliegenden Entführungsfalls bezeichnet.
Auf einen Blick
Die Akte Kampusch geht in die nächste Runde. Die Beweisaufnahme des Ermittlungsverfahrens gegen fünf beschuldigte Staatsanwälte (Verdacht auf Amtsmissbrauch) ist abgeschlossen. Nun schreibt der zuständige Ankläger einen Bericht, ob er Anklage erhebt, oder nicht. Das Justizministerium muss diesen Bericht absegnen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2011)