Geburt in Haft: Kinderstube hinter Gittern

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Der Fall der in U-Haft sitzenden Estibaliz C. hat eine Diskussion entfacht: Wachsen Kinder besser mit der Mutter im Gefängnis auf, oder soll man Mutter und Kind lieber schnell trennen?

Ein Gitterbett voll mit Kuscheltieren, grüne Wände, Vorhänge in Sonnengelb – aber Eisenstangen zieren die Fenster: Hätte Estibaliz C. – die in U-Haft sitzt, weil sie sowohl ihren Exmann als auch Exfreund ermordet haben soll – ihren in der Nacht auf Mittwoch geborenen Sohn Roland behalten dürfen, hätte er die ersten Wochen seines Lebens in einem dieser Räume in der Justizanstalt Wien-Josefstadt verbracht. Kurz: im Gefängnis.

Insgesamt vier solcher Mutter-Kind-Zellen für maximal acht Mütter gibt es im Grauen Haus, auch wenn im Moment keine der vier belegt ist. „Bei uns sind Frauen in Untersuchungshaft oder verbüßen Strafen bis zu 18 Monaten“, sagt Helene Pigl, die Leiterin der Justizanstalt Josefstadt. „Wenn sie länger bleiben, schauen wir, dass wir sie in einen schöner eingerichteten Ort verlegen, wie zum Beispiel das Frauengefängnis in Schwarzau.“

Dort leben derzeit fünf Frauen zwischen 26 und 37 Jahren mit ihren sechs Kindern. Diese sind zwischen einem halben Jahr und fast drei Jahren alt. Es sind österreichweit die einzigen Kinder, die eine Zeit lang mit ihrer Mutter im Gefängnis bleiben dürfen. Möglich macht das ein Gesetz, wonach Kinder bis zum dritten Lebensjahr bei der Mutter bleiben dürfen, solange sich das Jugendamt damit einverstanden erklärt. „Meist bleibt das Kind aber nur bei der Mutter, wenn absehbar ist, dass die Mutter vor dem dritten Lebensjahr des Kindes freikommt und es sonst keine andere Bezugsperson gibt“, sagt Helmut Maier, Leiter des Psychosozialen Dienstes in Schwarzau.

Den Kindern versucht man den Aufenthalt im Gefängnis so angenehm wie möglich zu gestalten. Insgesamt 150 Quadratmeter stehen für maximal acht Frauen in der Mutter-Kind-Abteilung zur Verfügung: vier Hafträume, eine Küche und ein Aufenthaltsraum. Die Zellen sind offen. Nur gegen außen hin ist die Mutter-Kind-Abteilung mit dicken Eisentüren abgeschlossen. „Die Kinder können sich so jederzeit in allen Räumen aufhalten und außerdem raus auf den Hof gehen, wo sich ein eigener Spielplatz befindet“, sagt Maier. „Sie sind ja freie Menschen.“

Nach dem ersten Lebensjahr besteht außerdem die Möglichkeit, dass sie die Kinderkrippe oder den hauseigenen Kindergarten (gemeinsam mit dem Nachwuchs der Justizbeamtinnen) besuchen, während die Mütter in der Werkstatt einer Arbeit nachgehen.

Ganz problemlos läuft das Leben im Gefängnis aber nicht ab. Konflikte im Alltag sind – ähnlich wie in jeder Wohngemeinschaft – programmiert. „Selbst ein goldener Käfig ist ein Käfig“, sagt Maier, „und die Frauen können es sich ja nicht aussuchen, mit wem sie zusammenwohnen.“ Auch die besondere Situation für die Kinder belastet die Mütter: „Der Glaube, dass eine Mutter ihr Kind mit in die Haft nimmt, damit sie es selbst schöner hat, ist ein Irrtum“, sagt Maier. Denn gerade wegen der Kinder hätten die Frauen doppelt so große Schuldgefühle: „Die Mutter ist ja nicht nur für sich, sondern auch für das Kind verantwortlich.“

Dass Kinder im Gefängnis aufwachsen können, sieht der Sozialarbeiter zweischneidig. Einerseits sei die Bindung des Kindes an die Mutter besonders stark, weil sie sich Tag und Nacht mit den Kindern beschäftigt, andererseits belaste das Kind natürlich auch die Mutter. Wenn es etwa krank wird: „Dann leidet die Mutter mit.“

Wieso darf Mama nicht raus? Die Kinder selbst scheinen sich in der Justizanstalt jedenfalls wohlzufühlen. Auch, weil sie nichts anderes kennen. Nach dem dritten Lebensjahr ist aber damit Schluss. Die Kinder müssen das Gefängnis verlassen. Das findet Maier durchaus in Ordnung. „Irgendwann wird für das Kind klar, dass die Mutter fremdbestimmt ist“, erzählt er. Denn sogar einfache Dinge, etwa nächtliche Spaziergänge, seien nicht möglich.

In der Praxis würden 95 Prozent der Frauen gemeinsam mit ihren Kindern das Haus verlassen, nachdem sie ihre Haftstrafe abgesessen haben. Nur in manchen Fällen geben die Mütter ihre Kinder schon vorher weg – unter anderem zum Vater, sofern bei ihm dann ein stabiles Umfeld herrscht.

Sozialarbeiter Thomas Neuwirth vom Bewährungshelferverein Neustart hat bisher zwei Frauen nach der Haft wieder zurück ins freie Leben begleitet. „Diese Frauen haben auch keine anderen Probleme gehabt als jene ohne Kind“, erzählt er. Also: Wo wohne ich, wie finanziere ich meinen Lebensunterhalt und wie arbeite ich meine Schulden ab? Er ist überzeugt, dass die Anwesenheit des Kindes sich positiv auf die Mutter auswirkt. „Wenn sie keine zu großen Probleme mit sich selbst hat, bietet ein Kind Struktur und eine Aufgabe für die Mutter.“

Gefängnis nicht schädlich für Kind.
„Langfristig wirkt sich der Gefängnisaufenthalt eines Kindes nicht schädlich auf das Kind aus“, sagt Psychoanalytikerin Rotraut Erhard. Dass, wie bei Estibaliz C., das Kind gleich nach der Geburt weggenommen wird, sei laut Erhard gängige Praxis. „In den ersten Minuten ,bondet‘ eine Mutter mit dem Kind. Der Mutter danach das Kind wegzunehmen, wäre noch viel schlimmer für die Mutter gewesen.“ Als Ersatz könnte der Vater in den ersten Tagen den Kontakt zum Kind herstellen. Gibt es den auch nicht, baue das Kind zu keinem Menschen eine spezielle Beziehung auf. „Das ist zwar nicht ideal“, meint Erhard, „kann aber in späteren Jahren aufgearbeitet werden.“

Viel schlimmer sei es, das Kind zuerst ein halbes Jahr lang im Gefängnis aufwachsen zu lassen – und es erst danach zu seinem Vater zu geben. „So ein Kind kann sich ja nicht einfach umstellen, für das bricht eine ganze Welt zusammen“, sagt Erhard. Und der umgekehrte Fall? Wenn ein Kind seine Mutter im Gefängnis nur besuchen darf: „Auch in einer Besuchsstunde kann eine Mutter ihrem Kind zeigen, dass es geliebt wird“, sagt Erhard. Wertschätzung, auf die komme es an. Und auch, wenn der Kontakt nur sporadisch sei – ein Kind vergesse seine Mutter nicht einfach. „Wir wollen immer wissen, woher wir kommen“, sagt Psychoanalytikerin Erhard. Vollkommen egal, ob das Kind sich noch daran erinnern kann, wo es aufgewachsen ist.

Estibaliz C.
sitzt seit Juni in Untersuchungshaft in der Justizanstalt Wien-Josefstadt. Die 32-Jährige wird verdächtigt, einen Exfreund und ihren Exmann ermordet, zerstückelt und im Keller ihres Eissalons in Wien-Meidling einbetoniert zu haben. Als sie in U-Haft kam, war sie im zweiten Monat schwanger.

Geburt in Haft
Vergangenen Mittwoch brachte Estibaliz C. ihren Sohn Roland zur Welt. Das Kind wurde ihr unmittelbar nach der Geburt abgenommen. Experten, Anwälte und Behörden streiten nun, ob die Abnahme auch rechtmäßig und zum Wohle des Kindes gewesen sei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2012)

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