Fall "Kampusch": USA und Deutschland eingeschaltet

Fall Kampusch Deutschland eingeschaltet
Fall Kampusch Deutschland eingeschaltet(c) EPA (LASZLO BELICZAY)
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Der geheime Parlamentsausschuss beendet seine Arbeit. Der Entführungsfall soll noch einmal aufgerollt werden. Mithilfe des FBI und des deutschen Bundeskriminalamtes.

"Mir ist derzeit nichts bekannt, was man noch ermitteln könnte." So antwortete der Vize-Leiter der Staatsanwaltschaft Wien, zugleich Präsident der österreichischen Staatsanwälte-Vereinigung, Gerhard Jarosch, auf die Gretchenfrage im Entführungsfall Natascha Kampusch: Was könnte überhaupt noch geklärt werden? Nach so langer Zeit. Am Sonntag ist es fast auf den Tag genau 14 Jahre her, seit die damals Zehnjährige in Wien entführt wurde. Achteinhalb Jahre war sie gefangen. Entführer Wolfgang Priklopil nahm sich nach ihrer Flucht das Leben. Nun, mehr als zwei Jahre nach Abschluss der offiziellen Ermittlungen, hat ein geheimer Parlamentsausschuss den Fall untersucht. Fazit: Eine Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens scheint wahrscheinlich. Und zwar auf internationaler Ebene.

Die US-Bundesbehörde FBI (Federal Bureau of Investigation) und das deutsche Bundeskriminalamt in Wiesbaden sollen Österreich helfen. Diese Schützenhilfe (böse Zungen sprechen bereits von „Bankrotterklärung“ der inländischen Kriminalistik) wurde am Samstag vom Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Herbert Anderl, erstmals bestätigt.

„Vorsorglich“ seien bereits „grundsätzliche Gespräche“ mit dem FBI geführt worden, sagte Anderl zum ORF-Radiosender Ö1. Die Idee dazu sei aus dem Innenministerium gekommen. Auch beim deutschen Bundeskriminalamt sei „grundsätzlich angefragt“ worden. Ein Sprecher des Innenministeriums wies die „Presse am Sonntag“ darauf hin, dass es sowieso laufende Arbeitsgespräche zwischen den genannten Behörden und Österreich gebe. Alles weitere hänge nun vom politischen Willen des Parlaments und vor allem von etwaigen Aufträgen der Staatsanwaltschaft ab, die ja de lege die Leitung eines etwaigen neuen Ermittlungsverfahrens inne haben würde. Eines neuen Ermittlungsverfahrens, das die Ein-Täter-These erschüttern könnte.

Freilich ist es unmöglich, dass etwa ein Wiener Staatsanwalt einfach einer US-Behörde einen Ermittlungsauftrag gibt. Sehr wohl aber könnte Österreich die USA zum Beispiel um die Ausarbeitung eines kriminaltechnischen Gutachtens ersuchen. Thematisch dürfte sich die Arbeit der US-Amerikaner und der Deutschen vor allem auf die Auswertung von Spuren, auf Fragen der Tatortsicherung und auf EDV-gestützte Recherchen erstrecken. Hier verfügen FBI und BKA über profunde Kenntnisse. Und tatsächlich scheint es zumindest in der Vergangenheit gewisse Defizite gegeben zu haben. Erst am Freitag, dem letzten Tag des Parlamentsausschusses, der für eine Zeugenbefragung reserviert war, kam etwa das Mysterium von der „DNA eines bislang unbekannten Mannes“ zur Sprache. Laut „Presse“-Recherchen war diese DNA in jenem Auto gefunden worden, in dem Priklopil die letzten Stunden seines Lebens verbracht haben soll.

Es war der 23. Oktober 2006, zwei Monate nach dem Wiederauftauchen von Natascha Kampusch, als eine Spezialistin für DNA-Analytik von der Wiener Gerichtsmedizin eine brisante Expertise unterzeichnete: Darin wird ein „DNA Profil“ beschrieben, welches „selten“ vorkomme – und „von einem bislang unbekannten Mann stammt“. DNA-Material also im Auto der Marke Kia, Kennzeichen W-15XXX (volles Kennzeichen der Red. bekannt, Anm.) – im Auto des besten Freundes von Priklopil: Ernst H. Letzterer galt seinerzeit ebenfalls als Verdächtiger.

Der große Unbekannte

Priklopil war nach Kampuschs Flucht zu H. ins Auto gestiegen, hatte sich fünf Stunden lang herumfahren lassen, ehe er – so die offizielle Version – ausstieg, um sich wenig später vor einen Zug zu werfen. Laut der DNA-Expertin wurden die Spuren eines „Unbekannten“ nach Abrieben von sechs Fläschchen Actimel, einer Flasche Almdudler und einer Flasche Pfirsich-Eistee „nachgewiesen“.

Fest steht: Die letzte Fahrt Priklopils fand an einem Augusttag statt. Sollte der „Unbekannte“ an jenem Tag im Auto gewesen sein, wäre es zumindest kein Wunder gewesen, dass er Durst hatte. Doch wie den Ausschussmitgliedern von einem Polizeibeamten erklärt wurde, soll der angebliche Unbekannte kein anderer als Ernst H. selber sein. Dies habe die Polizei – allen Vorwürfen zum Trotz – sehr wohl überprüft. Als die Expertise entstand, habe man noch kein Vergleichs-DNA-Material von H. gehabt. Irgendwie holprig, das Ganze, und so eines jener Elemente, mit denen Verschwörungstheorien befeuert werden können.

Ungesicherte Spuren

Realer und damit dramatischer liest sich ein Aktenvermerk des Leiters des Landespolizeikommandos Oberösterreich, Rudolf Keplinger. Er hatte im Sommer 2009 auftragsgemäß die „Tatort-Mappen“ im Fall Kampusch durchgearbeitet, jene Auflistung von (polizeilichen) Arbeitsschritten, die im Haus des Entführers in Strasshof (Niederösterreich) vorgenommen worden waren. Und schon der erste Satz des Aktenvermerks von Keplinger spricht Bände: „Sehr viele Spuren sind nicht gesichert worden.“ So seien etwa von dem in der Wohnung befindlichen Tresor keine „Blindabriebe“ (DNA-Spurensicherung an Orten, an denen DNA vermutet wird) gemacht worden. Da aber ein „sehr erfahrener“ Beamter Dienst gehabt habe, könne dieses Manko nur dadurch erklärt werden, „dass der Tatortermittler keinen konkreten Auftrag hatte, Spuren von eventuellen Mittätern zu suchen“.

Apropos Mittäter: Die damaligen Anmerkungen des Kriminalisten zum Fahrzeug, in dem Kampusch entführt wurde, legen Überlegungen in Richtung Mehr-Täter-These nahe: Fotos vom „Tatfahrzeug“ zeigten eine „relativ breite Konsole“ zwischen Fahrer- und Beifahrersitz. „Um NK (Kampusch, Anm.)  bei der Entführung alleine unter Kontrolle zu halten, hätte WP (Priklopil) sie wohl auf diese Konsole drücken müssen. Dann hätte er allerdings kaum schalten können. Ein Festhalten am Beifahrersitz erscheint kaum möglich (...)“. Immerhin hatte ja eine damals zwölfjährige Schülerin klar ausgesagt, zwei Täter gesehen zu haben.

Was wird der Ausschuss nun tun? Wie durchsickerte, sollen zwei Berichte verfasst werden. Ein „Evaluierungsbericht“ ans Parlament und einer, der als Verschlusssache an Justizministerin Beatrix Karl geht. Letzterer könnte die Basis für neue Ermittlungen werden. Und dann könnten FBI und BKA ihre Expertise in Sachen Spurensicherung tatsächlich einbringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2012)

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