Das wieder aufgeflammte Interesse an ihrem Fall bezeichnete Natascha Kampusch in der Fernsehsendung "Im Zentrum" als "empörend" und "enorme psychische Belastung".
Fünf Jahre nach der Flucht von Natascha Kampusch ist das Interesse an ihrem Fall wieder aufgeflammt: Zweifel an der Einzeltätertheorie und am Selbstmord ihres Entführers, Spekulationen über die Gefangenschaft der heute 24-Jährigen, Gerüchte um das Motiv für den Suizid eines Ermittlers: Natascha Kampusch bezeichnete dies als "empörend" und "enorme psychische Belastung". Es sei schwierig, "weil man gegen solche Vorhaltungen ja nicht argumentieren kann", sagte die 24-Jährige in einem ORF-Interview, das in der Fernsehsendung "Im Zentrum" am Sonntagabend gezeigt wurde. Natascha Kampusch werde "neuerlich missbraucht", kritisierte Interviewer Christoph Feuerstein bei der Diskussion.
Johann Rzeszut, ehemaliger OGH-Präsident und Mitglied der Kampusch-Evaluierungskommission, übte in der Sendung unter anderem Kritik daran, dass das Ermittlungsverfahren nach knapp drei Monaten eingestellt wurde und den Angaben einer Zeugin der Entführung nicht ausreichend Beachtung geschenkt worden sei. Die damals Zwölfjährige habe zwei Männer beobachtet.
Dem hielt Kampusch-"Sondermittler", Staatsanwalt Thomas Mühlbacher entgegen, dass das Mädchen sehr wohl nur von einem Entführer gesprochen habe, auch wenn sie unmittelbar vor der Tat einen zweiten Mann gesehen habe. "Es wundert mich, dass Du mit einer Aktenkenntnis daherkommst, die haarsträubend ist", warf der Staatsanwalt Rzeszut vor und warnte davor, willkürlich Proklopil-Freund Ernst H. als möglichen Mittäter zu verdächtigen: "Wir müssen uns klar sein: Das ist kein Gesellschaftsspiel", mahnte Mühlbacher.
"Bewegen uns in einem rechtsfreien Raum"
Ernst Geiger vom Bundeskriminalamt kann die Zweifel an der Einzeltätertheorie auf Basis der angeblichen Angaben der Zeugin nicht nachvollziehen: "Sie hat die Tat vielleicht zwei bis drei Sekunden wahrgenommen. Natascha Kampusch war 3096 Tage Zeugin", gab der Polizeijurist zu bedenken. Er versicherte, dass Entführer Priklopil eindeutig Selbstmord begangen habe und Ernst H. intensiv überprüft worden sei. Dessen Anwalt Manfred Ainedter ging mit Rzeszut hart ins Gericht: "Sie haben das Parlament aufgehusst, damit die Ersatzjustiz spielen. Wir bewegen uns in einem rechtsfreien Raum", erklärte der Strafverteidiger.
Nationalratsabgeordnete Dagmar Berlakowitsch-Jenewein (F) äußerte die Vermutung, dass der parlamentarische Unterausschuss, der sich mit der Causa Kampusch befasst, nicht alle Akten erhalten habe, sondern ein Teil davon unterschlagen oder frisiert worden sei. Dessen Vorsitzender Werner Amon (V) hatte vergangene Woche mit seiner Äußerung, dass die Mehrtätertheorie nicht ganz von der Hand zu weisen sei, die neuerliche Debatte und auch eine Diskussion über Verschwörungstheorien ausgelöst.
Und solche entstehen dann, wenn ein Sachverhalt nicht bekannt ist. "Wir wissen seit Jack the Ripper, dass Spekulationen entstehen, wenn ein Verbrechen nicht völlig aufgeklärt wird", sagte der Psychiater Reinhard Haller. "Jetzt muss die Wahrheit auf den Tisch", sagte der Mediziner und plädierte dafür, mit weiteren Ermittlungen jemanden zu beauftragen, der außerhalb jedes Zweifels steht. Mit dem deutschen Bundeskriminalamt und der US-Bundespolizei FBI wurden diesbezüglich Gespräche geführt.
(APA)