Muslimas: „Eine neue Generation wächst heran“

Carla Amina Baghajati
Carla Amina Baghajati(c) Clemens Fabry
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Muslimische Frauen nehmen oft anders am Alltag teil als Männer. Große Unterschiede zeigen sich zwischen den Generationen – die Jungen emanzipieren sich.

Wien. Über wenige andere Gruppen existieren so viele Klischees und Vorurteile wie über Frauen, die dem Islam angehören. Ungebildet, unterdrückt und unterwürfig, sprechen sie kein oder nur schlechtes Deutsch, leben in einer Parallelgesellschaft – noch mehr als ihre Ehemänner – und kümmern sich hauptsächlich um eines: die Kinder.

Dass es nicht ganz so einfach ist, zeigt sich in Gesprächen mit engagierten Frauen, die tief in der muslimischen Gemeinschaft Österreichs verwurzelt sind. Die Hypothese, dass vor allem ältere Muslimas anders am öffentlichen Leben teilnehmen als Männer, wird allerdings bestätigt. „Ältere Frauen aus bildungsfernen Schichten nehmen weniger daran teil als ihre Männer“, sagt Liselotte Abid, Islamwissenschaftlerin an der Uni Wien und freie Journalistin. „Häufig sieht man sie im Park, sie spielen bei der Erziehung der Enkel eine wichtige Rolle.“ Carla Amina Baghajati von der Islamischen Glaubensgemeinschaft räumt ein, dass sich auch diese Frauen über Initiativen immer häufiger mit Frauen außerhalb der Community austauschen.

Tugba Dönmez-Aktürk, Beraterin beim Salzburger Verein Viele, gibt zu bedenken, dass Frauen, die ihren Männern nach Österreich folgen, erst arbeiten dürfen, nachdem sie die Integrationsvereinbarung erfüllt haben. Viele blieben unter sich und befreundeten sich mit Frauen aus ihrer Heimat, die einen ähnlichen Alltag haben: „Männer bauen leichter Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft auf, sie lernen die Sprache schneller, weil sie arbeiten.“ Zahlen dazu, wie viele muslimische Frauen in Österreich berufstätig sind, gibt es nicht. Bei Zuwanderern ist die Zahl der erwerbstätigen Frauen über 55 Jahren allerdings geringer als bei jenen ohne Migrationshintergrund. Türkische Frauen arbeiten am seltensten, 16 Prozent sind es bei den 55- bis 64-Jährigen (zum Vergleich: etwa 33 Prozent der 55- bis 64-jährigen Frauen ohne Migrationshintergrund sind berufstätig).

Jugend im Konflikt zwischen Lebenswelten

Man dürfe aber nicht vergessen, so Baghajati, dass diese Frauen im sozialen Leben oft eine zentrale Rolle spielen: „Bei Familienkonflikten übernehmen sie die Rolle der Mediatorin und bieten Lösungsansätze.“ Je älter sie werden, desto höher wird ihr gesellschaftlicher Status: „Die Frauen haben mit 50, 60 oft ein Selbstbewusstsein, das sie mit 30 noch nicht hatten.“

Einen Konflikt zwischen Tradition und Moderne gebe es bei den meisten jungen Migranten, sagt Dönmez. „Familien, die in Österreich leben, haben oft ein starkes Traditionsbewusstsein. Das liegt daran, dass sie fürchten, ihre Kinder könnten vergessen, woher sie kommen.“ Dieser Konflikt, die Widersprüche zwischen den Lebensweisen, könnte ein Grund sein, wieso sich viele keiner Kultur ganz zugehörig fühlen. Dönmez: „Man muss in beiden Welten funktionieren. Unter uns nennen wir das Zwischenkultur.“

Gerade die junge Generation reflektiert und hinterfragt den Lebensstil der Eltern stark. „Männliche Jugendliche haben in muslimischen Familien tendenziell mehr Freiheiten, auch, was die Sexualität betrifft“, sagt Abid. Viele junge Mädchen fänden es ungerecht, dass ihre Brüder mehr Freiheiten genießen als sie. „Diese Doppelmoral wird heute vermehrt kritisiert“, sagt Baghajati. Manche Verhaltensweisen würden mit Tradition gerechtfertigt. „Wir müssen aber unterscheiden zwischen dem, was die Religion vorsieht, und den traditionellen Auslegungen. Im Koran steht nicht, dass Mädchen um acht Uhr zu Hause sein müssen.“ Junge Frauen brächten diese Widersprüche heute vermehrt ein, dabei helfe religiöse Bildung. „Durch das Wissen haben junge Menschen die Möglichkeit zu hinterfragen“, sagt Baghajati. Auch die Burschen diskutierten heute mehr über die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Baghajati: „Sie interessieren sich für das Thema, und sie emanzipieren sich. Da wächst eine neue Generation heran.“

Islam und Feminismus: Ein Widerspruch?

Über das Thema Islam und Feminismus wurden schon Bücher gefüllt, für viele ist es ein Widerspruch, gleichzeitig Muslima und Feministin zu sein. Nicht für Dönmez, sie bekennt sich zum Feminismus: „Wie viele andere Frauen hinterfrage ich die patriarchale Interpretation des Islam und setze mich für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein“, sagt sie. Heute gebe es regen Austausch zwischen Feministinnen und Muslimas, sagt Baghajati. „Einen aggressiven Dialog, wie wir ihn von Alice Schwarzer aus Deutschland kennen, haben wir in Österreich zum Glück aber nicht.“

In ihrer Lehrtätigkeit machte Abid die Erfahrung, dass sich junge Muslimas vermehrt mit dem Thema Feminismus beschäftigen. Viele beziehen sich dabei auf islamische Frauenrechte, die etwas anders aussehen als im Westen: „Es herrscht die Idee, dass Frauen und Männer sich auch in ihren sozialen Rollen ergänzen.“ Die Rollen seien zwar nicht starr in der Religion verankert, „eine völlige Gender-Gleichschaltung sieht der Islam jedoch nicht vor“.

Zu den Personen

Liselotte Abid, Jg. 1949, lehrt Gender Studies zur islamischen Welt an der Uni Wien. Sie trat vor 40 Jahren zum Islam über.

Carla Amina Baghajati, Jg. 1966, ist Medienreferentin der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Sie konvertierte 1989 zum Islam.

Tugba Dönmez-Aktürk, Jg. 1983, kam als 13-Jährige von der Türkei nach Österreich. Sie berät Familien im Verein Viele.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2012)

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