Beschneidung: Kleiner Schnitt, großer Einschnitt?

Kleiner Schnitt grosser Einschnitt
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Wer darf beschneiden, sollen Kinder mitreden dürfen oder ist es allein Sache der Eltern? Ein deutsches Urteil wirft Fragen zur Legalität der religiösen Beschneidung Minderjähriger auf. Eine Faktensuche.

Der Eingriff selbst, sagt Schlomo Hofmeister, gehe schnell, sehr schnell. Drei Schritte gehörten dazu. Zuerst nehme der Mohel, so heißen die jüdischen Beschneider, Maß, wie viel Haut vom Penis des Neugeborenen zu entfernen sei. Dann fixiere er die Vorhaut im Schlitz eines metallenen „Schutzschildes“, dem „Magen“. Zuletzt trenne er sie mit einem Skalpell ab, das dauere keine zehn Sekunden. Fertig. „Schwieriger zu erlernen als der eigentliche Eingriff sind seine Vorbereitung und die Bandagierung“, erklärt Hofmeister.

Der 36-jährige Wiener Gemeinderabbiner muss es wissen: Er ist selbst einer der vier Mohelim, die in Österreich Beschneidungen durchführen – und, wenn Not am Mann ist, auch im benachbarten Ausland. Dafür hat Hofmeister ein mobiles OP-Set, mit dem er den Eingriff überall durchführen kann. „Traditionell wäre der Ort für die Beschneidung die Synagoge – aber heute lassen es viele zu Hause machen.“

Weniger flexibel ist man beim Zeitpunkt der Beschneidung: Am achten Tag nach der Geburt des Kindes muss die Beschneidung dem jüdischen Gesetz zufolge vorgenommen werden. „Das ist wichtig“, sagt Hofmeister, „es müssten schon bedeutsame Gründe dagegen sprechen.“ Gemeint sind vor allem medizinische Hinderungsgründe: Erst muss ein Arzt das Kind freigeben – danach folgt noch eine traditionelle Überprüfung der Gesundheit des Kindes durch den Mohel, der meist kein Arzt ist, sondern von einem erfahrenen Beschneider „angelernt“ wurde. Nur wenn beide das Kind für gesund genug befinden, darf die Beschneidung, die Brit Mila, vorgenommen werden. In der Wiener Gemeinde führen die Mohelim pro Woche rund ein bis zwei Beschneidungen durch.


Bei Muslimen beschneidet der Arzt.
Auch Nihat Koca gehört zu den Menschen, die Beschneidungen durchführen. Der Vorsitzende der Islamischen Religionsgemeinde Wien (IRG) ist Allgemeinmediziner und sagt von sich selbst, dass er „sicher schon über tausend“ Eingriffe durchgeführt habe. Im Gegensatz zum Judentum überlasse man die Beschneidung bei Muslimen in Österreich aber ausgebildeten Ärzten – ein Geistlicher sei zwar anwesend, um Segen und Gebete zu sprechen, für den Eingriff selbst gebe es aber eine spezielle medizinische Ausbildung.

„Praktisch jeder Muslim ist beschnitten“, sagt Koca – strenge Vorschriften, wo und wann der Eingriff stattfinden muss, gebe es aber nicht. „Die meisten Eltern machen es zwischen vier und acht Jahren“ – üblicherweise in der Ordination eines Arztes, in einem Krankenhaus oder, im Fall von Zuwanderern, während einer Reise in die alte Heimat.

Die große Feier, bei der die Familie den Beschnittenen hochleben lässt, finde häufig nicht am gleichen Tag wie der Eingriff selbst statt, erklärt Koca – sondern ein, zwei Wochen später. „Es wird aber trotzdem groß gefeiert – es ist einer der wichtigsten Anlässe im Leben, vergleichbar mit der Hochzeit.“

Ob das, was Hofmeister und Koca tun, rechtens ist, wird seit einem rechtskräftigen Urteil des Landgerichtes Köln vom 7.Mai breit diskutiert: Darin wurde festgestellt, dass es sich bei der Beschneidung eines Vierjährigen aus religiösen Motiven – das Kind ist Muslim – um eine Körperverletzung handle. Ein Urteil, das von Religionsfreiheit über das Recht auf körperliche Unversehrtheit bis zur Freiheit der elterlichen Erziehung eine Unzahl an Fragen aufwirft.


„Niemand wird gestraft.“ In Österreich scheint die Lage – rechtlich gesehen – eindeutig zu sein. Nach derzeitiger Gesetzeslage ist „die Beschneidung von Buben nicht strafbar“, sagt Dagmar Albegger, Sprecherin des Justizministeriums.

Ihr Kollege, Christian Manquet, Abteilungsleiter für Strafrecht im Justizministerium, relativiert ein bisschen: „Diese Beschneidungen sind in Österreich derzeit wegen einer uneindeutigen Gesetzeslage straflos. Es wird aber nicht der Tatbestand der Körperverletzung erfüllt. Sie ist sozial akzeptiert. Daher ist es auch egal, wer es macht.“

Der Wiener Anwalt Clemens Lintschinger geht jedenfalls davon aus, dass das Kölner Urteil in Österreich nicht möglich wäre. „Nach derzeitigem Interpretationsstand ist die Beschneidung in Österreich zulässig“, sagt er. Lintschinger stützt sich dabei auf eine Erläuterung des Paragrafen 90, Abs.3 im Strafgesetzbuch, derzufolge die männliche Beschneidung vom Tatbestand der Körperverletzung explizit ausgenommen wird. Eine ähnliche Erläuterung befände sich auch im erst im Juli beschlossenen Ästhetik-Operationsgesetz. „Hier wird ausdrücklich erwähnt, dass die Beschneidung von männlichen Säuglingen zulässig ist.“ Sein Fazit: „Derzeit macht sich sicher niemand strafbar. Allerdings muss der, der es macht, ein Arzt sein.“

Genau bei denen ist die Verunsicherung aber im Moment besonders groß. „Wir haben beschlossen, derzeit keine religiös motivierten Beschneidungen durchzuführen“, sagt etwa Michael Chwala, Oberarzt in der urologischen Abteilung des Krankenhauses SMZ-Ost Donauspital. Nicht, dass er vorher so viele Operationen durchgeführt hätte, vielleicht zehn im Jahr.

Ähnlich die Situation in der Klinischen Abteilung für Kinderchirurgie am Wiener AKH: „Wir haben früher vielleicht fünf Operationen im Jahr durchgeführt“, sagt Abteilungsleiter Ernst Horcher. Auch dort werden Beschneidungen aus religiösen Gründen aber inzwischen „eigentlich gar nicht mehr“ durchgeführt. Der Eingriff sei mit Kosten von bis zu 1500 Euro für die Eltern zu teuer.


Hygienisch sinnvoll? Ob sich eine Beschneidung übrigens aus medizinisch- hygienischen Gründen rechtfertigt, darüber scheiden sich die Geister. „In der Wüste vielleicht“, sagt Chwala, „unter normalen hygienischen Bedingungen nicht.“ Die WHO wiederum empfiehlt Beschneidungen als eine (im Rahmen von mehreren) Maßnahmen zur Aids-Prävention.

In Ländern wie etwa Afrika oder den USA werden Beschneidungen von Säuglingen jedenfalls unabhängig des religiösen Glaubens routinemäßig durchgeführt. Schätzungen zufolge sind mehr als 60 Prozent aller Männer in den USA beschnitten.

Wie viele Österreicher über Juden und Muslime hinaus noch beschnitten sind, ist schwer zu sagen. Eine aus medizinischen Gründen durchgeführte Operation, etwa wegen einer Vorhautverengung, wird aber sowohl im AKH als auch im SMZ-Ost „fünf bis sechs Mal“ die Woche durchgeführt. Und wie lebt es sich jetzt so? Mit einer fehlenden Vorhaut? „Da ist nicht viel Unterschied“, sagt Chwala.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2012)

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