Joseph Ratzinger und das Konzil: „Geheimnisvolles Gefühl des Anfangs“

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50 Jahre danach: der heutige Papst hat als theologischer Berater die Dokumente mitbestimmt.

Als Kardinal Joseph Frings, charismatischer Kölner Erzbischof, in Rom Mitglied des Präsidiums des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde, gab es in seinem Beraterteam einen aufstrebenden jungen Theologen, der schon seit fünf Jahren Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie war, erst in Freising, dann in Bonn, später in Münster, schließlich in Tübingen, wo Hans Küng zu seinen prominenten Kollegen und Förderern zählte: Joseph Aloysius Ratzinger.

Der Bayer aus Marktl am Inn galt 1962, zu Beginn des Konzils, als exzellenter Wissenschaftler und als aufgeschlossener Geistlicher, der den Ruf von Papst Johannes XXIII. nach Erneuerung der katholischen Kirche begrüßte. Öffnung lautete der Schlüsselbegriff des Reformkonzils, ihm hatte sich auch Ratzinger verschrieben.

Die Karriere als Theologe begann brillant: Mit seiner Dissertation „Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche“ promovierte er 1953 summa cum laude. Schwierig war hingegen die Annahme seiner Habilitationsschrift, nicht wegen mangelnder Qualität, sondern weil sein wissenschaftlicher Betreuer, der Dogmatiker Michael Schmaus, darin gefährliche Tendenzen zum Modernismus sah. 1957 habilitierte sich Ratzinger als Fundamentaltheologe mit seiner „Geschichtstheologie des hl. Bonaventura“. Thema seiner Antrittsvorlesung in Bonn 1959: „Glaube und Vernunft“ – für Ratzinger sollen sie ein fruchtbares Miteinander sein. Dieses Thema hat ihn in seinem Leben begleitet, wie der späte Disput mit dem kritischen Philosophen Jürgen Habermas zeigt.

Die Begegnung mit Kardinal Frings, der von Papst Johannes XXIII. eingeladen worden war, in Vorbereitung des Konzils in Genua zu referieren, schätzte Ratzinger als bestimmend für seinen Werdegang ein. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz bat den 34 Jahre alten Professor um Hilfe beim Erarbeiten des Themas „Das Konzil und die moderne Gedankenwelt“. Frings erinnerte sich später: „Er lieferte mir bald einen Entwurf, den ich so gut fand, dass ich nur an einer Stelle eine Retuschierung vornahm.“ Die Genueser Rede begeisterte den Papst. Er bestellte Frings nach Rom und lobte: „Lieber Cardinale, Sie haben all das gesagt, was ich gedacht habe und sagen wollte, selbst aber nicht sagen konnte.“

Späte Vorbehalte

Der Kardinal machte den Papst darauf aufmerksam, dass der Vortrag eigentlich von Ratzinger verfasst worden sei. Der wurde dann als Berater mit den dogmatischen Texten in der Zentralkommission befasst. Sein besonderes Verdienst bei der Erarbeitung der Schemata (Entwürfe in lateinischer Sprache): Er wandte sich von der neuscholastischen Theologie ab. Sie sei zu steif, nicht geeignet für die neue, moderne Sprache der Offenheit. Der Optimismus des Papstes zu Beginn des Konzils hatte offenbar auch Ratzinger erfasst. Auf Empfehlung des Kardinals wurde er bald Konzilstheologe. Diese Aufbruchstimmung ist auch noch in seinem Buch „Einführung in das Christentum“ zu spüren, das aus einer Lehrveranstaltung 1967 entstand. In die moderne Bibelexegese flossen die Gedanken des Konzilsdokuments „Dei Verbum“ ein, das Ratzinger mitverfasst hatte, eine wesentliche Schrift, die am Ende des Konzils im November 1965 beschlossen wurde. Dieser Auslegung des Glaubens mit historisch-kritischen Methoden hat Benedikt XVI. in seinem Jesus-Buch (2007/2011) im gewachsenen Bewusstsein dessen, was ihr fehlt, eine „kanonische Exegese“ gegenübergestellt. Der Elan des Aufbruchs der Sechzigerjahre war da allerdings längst verflogen, früh schon wuchsen die dogmatischen Vorbehalte.

Dem „geheimnisvollen Gefühl des Anfangs“, wie Ratzinger damals über das Zweite Vatikanum schrieb, folgte bald Ernüchterung. Seine Berichte lassen laut dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ erkennen, dass ihn „schon während des Konzils Zweifel packten“, nicht erst die Studentenbewegung 1968 habe die verstärkte Hinwendung zum Traditionalismus bewirkt. Eine Passage aus der „Einführung in das Christentum“ zeugt aber noch immer ganz stark vom Geist, der damals in Rom wehte. Christlicher Glaube sei nicht bloß Rückblick auf das Geschehene, Verankerung im Ursprung, schreibt Ratzinger: „Er ist vor allen Dingen auch Blick nach vorn, Ausgriff der Hoffnung.“ Solch einen Satz könnte auch Johannes XXIII. gesagt – oder zumindest gedacht – haben. Der Weg ist nicht versperrt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2012)

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