Der Feind in meinem Haus: Ein Pontifikat gegen den Relativismus

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Vom fortschrittlichen Konzilstheologen über den kritisierten „Panzerkardinal“ zum Übergangspapst. Ratzingers eigene Prioritäten waren jedenfalls von Anfang an klar.

Vor über zwanzig Jahren, 1991, wartete Joseph Ratzinger schon sehnlichst auf die Zeit, „in der ich noch einige Bücher schreiben kann“. Dieselbe Sehnsucht 14 Jahre später. Als frisch gewählter Papst erzählt er von den Augenblicken, in denen er während des Konklaves „das Fallbeil“ auf sich „herabfallen“ sah. Eine falsche Wahl also? Hat man Benedikts Kräfte überschätzt, ist sein Pontifikat ein „Flop“? Was hat es Bleibendes gebracht?

Jedenfalls wohl ungefähr, was sich viele Kardinäle wünschten, als sie Ratzinger zum Papst wählten. Nach dem langen, für manche zu langen Pontifikat von Johannes Paul II. scheuten sie sich, einen Papst zu wählen, der abermals Jahrzehnte bleiben würde. Mit dieser Wahl war eine große Entscheidung vertagt. Der bekannte und berechenbare Ratzinger war alt genug, um ein Übergangspapst zu werden, man wusste, dass er zumindest keine dramatischen Verschlechterungen bringen würde und dass sein Pontifikat nicht ewig dauern würde. Und in alledem haben sie sich auch nicht getäuscht.

Keine Furcht „vor den Wölfen“

Was von den Eigenschaften dieses Pontifikats hat mit der „Natur“ dieses Papstes zu tun, und was wäre ohne altersbedingte Schwäche anders verlaufen? Die Frage kann niemand beantworten. Seine eigenen Prioritäten waren jedenfalls von Anfang an klar. Er bejahte sein Pontifikat, weil er nicht „furchtsam vor den Wölfen fliehen“ wolle. Er sah es als Kampf, der für ihn vor allem in den ehemaligen Kernländern des Katholizismus stattfand, besonders in Europa. Der Feind: Glaubensverlust und Beliebigkeit – die „Diktatur des Relativismus“.

Dazu hat er Reden über Reden gehalten, öffentliche Gespräche geführt, aus denen dann Bücher wurden, und Enzykliken geschrieben. „Deus caritas est“ etwa zielt auf die „Befreiung“ des Eros ab, und zwar aus einer „Gefangenschaft“ der Beliebigkeit, in der sich die körperliche Liebe in den Augen des Papstes befindet. Eine wunderschöne Enzyklika wie die zwei weiteren: „Spe salvi“ über die Hoffnung und „Caritas in veritate“ zu sozialen Fragen.

Sie werden wohl zu den wichtigsten Meilensteinen seiner Amtszeit zählen, ebenso wie seine drei Jesusbücher, die er bewusst unter seinem bürgerlichen Namen publizierte. Hätte er sich auf „Wichtigeres“ konzentrieren sollen? Benedikt XVI. sah diese Bücher jedenfalls als Teil seiner Aufgabe, die christliche Botschaft zu verkünden. Theologen haben seine Texte auch begierig aufgegriffen, zum Teil sehr kritisch, weil Ratzinger darin die absolute Deutungshoheit der historisch-kritischen Methode angreift: „Nur weil etwas symbolisch verstanden werden kann, heißt das noch nicht, dass es nur erfunden und nicht so ähnlich passiert ist.“

Für die breite europäische Öffentlichkeit freilich blieb diese Verkündigung wenig interessant im Vergleich zu großen Fragen von öffentlichem Interesse. Dazu gehört die Haltung zu Abtreibung und Verhütung. Da führte Benedikt fast nahtlos die Positionen seines Vorgängers weiter. Kondome könnten in Afrika Millionen Menschenleben retten, meinen viele. Kondome seien keine Lösung, erklärt der Papst. Er gestand aber auch zu, dass Kondome bei Prostitution „das geringere Übel“ sein könnten.

Fundamentalismus wurde Joseph Ratzinger immer schon gern vorgeworfen. Fundamentalismus sieht allerdings anders aus. Kaum ein Papst hat je so auf die Kraft des Wortes, des Arguments, der Vernunft vertraut. Schon als Kardinal hatte Ratzinger aufsehenerregende öffentliche Debatten geführt, mit dem atheistischen italienischen Philosophen Paolo Flores d‘Arcais oder mit dem deutschen Philosophen Jürgen Habermas. Immer wieder während seiner Amtszeit verurteilte er „Sektierertum und Fundamentalismus“, etwa 2010 in einer seiner Reden im britischen Parlament. Solche „Verzerrungen der Religion“ entstünden immer, „wenn der reinigenden und strukturierenden Rolle der Vernunft im Bereich der Religion zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird“.

Gegen den „Fundamentalismus“

Doch politische Kommunikation folgt anderen Gesetzen als die akademische. Und so erlebte der Papst zwei Jahre nach seiner Amtseinführung in Regensburg eine Art „Waterloo“. Der Satz eines byzantinischen Kaisers, bei einer Vorlesung an der Universität zitiert, ging in Kürze um die Welt und zementierte das Bild eines fundamentalistischen Spalters auf dem Papstthron. „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.“

Der Papst zeigte sich lernfähig. Es sei ihm nicht bewusst gewesen, erklärte er später, „dass man eine Papstrede nicht akademisch, sondern politisch liest. Durch die politische Betrachtung wurde nicht mehr das Feingewebe beachtet, sondern ein Text herausgerissen und zum Politikum, was er in sich nicht war.“ Lernfähig zeigten sich aber auch andere. Die anfängliche Erregung ist bei vielen muslimischen Gelehrten einer differenzierten Sicht auf die Person des Papstes gewichen. Vollends zeigte sich diese Entwicklung nach dem Türkei-Besuch des Papstes wenige Monate nach der Regensburger Rede. Zumindest auf theologischer Ebene hat diese die Debatte zwischen Christen und Muslimen eher befördert als behindert.

Fortschritt und Rückschritt für Ökumene

Die protestantischen Kirchen hat gekränkt, dass der Papst ihnen den Kirchenstatus absprach, indem er sie nur „kirchliche Gemeinschaften“ nannte. Große Fortschritte gab es dagegen in der Ökumene mit den Orthodoxen. Benedikt besuchte Auschwitz, er nannte die Juden „unsere Väter im Glauben“. Damit konnte er sogar eine böse Panne wiedergutmachen: Unmittelbar nachdem der Bischof der Piusbruderschaft Richard Williamson sich als Holocaust-Leugner präsentiert hatte, verkündete der Vatikan, dass die Exkommunikation der Piusbrüder aufgehoben sei . . .

Die öffentliche Optik, die dieser Papst bot, war immer wieder fatal, da er auf Wichtiges zu spät und zögerlich reagierte (auch wenn er dann doch entschieden handelte, etwa in der Missbrauchsfrage). Darin war er freilich zum Teil ein Opfer veralteter Kurienstrukturen. Deren Reform wird als eine der dringendsten im Kirchenbereich angesehen. Unter Benedikt XVI. blieb sie wieder aus. Manche Optik aber war wohl ganz bewusst intendiert: So versuchte Benedikt offenbar, mit feinen Signalen gegenzusteuern, wo Johannes Paul II. in seinen Augen übers Ziel hinausgeschossen war. Beim Weltgebetstreffen in Assisi etwa wollte er sichtlich seine Anerkennung gegenüber den anderen Religionen zum Ausdruck bringen, gleichzeitig aber unbedingt einen Eindruck vermeiden: nämlich, dass alle Religionen gleich gültig seien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2013)

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