Sexueller Missbrauch in der Kirche „Wie bei Überlebenden von Folter“

(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
  • Drucken

Einer Studie zufolge leidet rund die Hälfte aller Betroffenen an Symptomen wie Depression, Paranoia, Albträumen und Schlafstörungen.

Wien/Kb. Von einem „erschreckenden Bild“, das teilweise an Überlebende von Folter erinnert, sprach Psychologin Brigitte Lueger-Schuster am Dienstag bei der Präsentation ihrer Studie über Spätfolgen für Missbrauchsopfer. Rund die Hälfte der Betroffenen leide an schweren „posttraumatischen Belastungsstörungen“, mehr als 80 Prozent zumindest unter einzelnen Symptomen wie Albträumen, Depressionen, Paranoia, sexuellen Problemen und „Flashbacks“. „Eine gesunde Gruppe“ – also Personen, die die Geschehnisse größtenteils überwunden haben – „gibt es nicht“, so Lueger-Schuster bei einem Symposium der Kommission zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in kirchlichen Institutionen.

Insgesamt wurden für das Forschungsprojekt der Universität Wien die Daten (Berichte, Gutachten) von 448 Missbrauchsopfern (339 Männer und 109 Frauen) analysiert. 185 von ihnen füllten darüber hinaus ausführliche Fragebögen aus, 48 wiederum erklärten sich zu Interviews bereit. Die Täter gingen Lueger-Schuster zufolge zumeist einzeln vor, „aber es gab auch Übergriffe durch zwei oder mehr Kirchenmitarbeiter. Diese sind in allen Kirchenämtern zu finden.“ Den größten Anteil stellten Ordensmitglieder, die in katholisch geführten Institutionen oft als Erzieher fungierten, sowie Pfarrer. Die Schauplätze des Missbrauchs waren meist Heime und Internate, aber auch kirchlich geführte Schulen sowie Pfarren.

Die Gewalt, der die Kinder und Jugendlichen ausgesetzt waren, unterteilt die Psychologin in drei „Cluster“: körperliche Gewalt wie Prügel und Schlafentzug, sexuelle Übergriffe (Vergewaltigungen, Berührungen im Intimbereich, aber auch Liebesbekenntnisse) sowie psychische Gewalt wie Demütigungen und Isolation.

Klasnic: „Bin tief betroffen und gekränkt“

Die Veranstaltung sorgte im Vorfeld für Wirbel, weil sie von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) nach Empörung aus kirchenkritischen Kreisen aus dem Parlament ausgeladen wurde und im Haus der Industrie stattfand. Waltraut Klasnic, Vorsitzende der Kommission (Opferschutzanwaltschaft), zeigte sich von dieser Entscheidung „tief betroffen und gekränkt“.

Sie forderte „klare, gesamtgesellschaftliche Signale und Initiativen“ für Opferschutz und Prävention in Österreich. Über die Arbeit der Kommission zog sie zufriedene Bilanz. In den drei Jahren ihres Bestehens habe sie in 932 Beschlüssen 12,2 Millionen Euro an finanziellen und 34.000 Stunden an therapeutischen Hilfestellungen zuerkannt. In nur 20 Fällen sei es zu Ablehnungen kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.