Zwei neue Bücher geben brisante Finanzgeheimnisse des Kirchenstaats preis. Die Dokumente entstammen einer Untersuchungskommission. Ist Papst Franziskus Opfer einer Vergeltungsaktion?
Rom. Das Foto ist historisch einmalig. Aufgenommen im März 2013 zeigt es zwei Päpste bei der Amtsübergabe: Benedikt XVI. links, der frisch gewählte Franziskus ihm gegenüber und zwischen den beiden eine große weiße Schachtel. Der Inhalt? Papiere. Unter anderem – mit Sicherheit – jener viele hundert Seiten dicke Untersuchungsbericht dreier Kardinäle, mit dem Benedikt die VatiLeaks-Affäre von 2012 aufzuklären hoffte, den großen Geheimnisverrat mit Dokumentendiebstahl.
Gleich nach dem Fototermin hat Franziskus die Schachtel geöffnet; er muss etliche Katastrophen- und Skandalberichte darin gefunden haben, denn eine seiner ersten Reformhandlungen bestand darin, eine Kommission mit dem Studium der wirtschaftlichen und administrativen Strukturen des Vatikans zu beauftragen. Die Ergebnisse fliegen ihm heute selbst um die Ohren. Zwei herausragende Mitglieder der Kommission, Lucio Ángel Vallejo Balda und Francesca Chaouqui, sind festgenommen worden. Und diesen Donnerstag erscheinen gleich zwei Enthüllungsbücher über „den“ Vatikan und seinen Umgang mit Geld.
Der Zusammenhang ist nicht zufällig, denn einige der geheimen Dokumente, die die Autoren Gianluigi Nuzzi und Emiliano Fittipaldi veröffentlichen, müssen aus der Untersuchungskommission stammen. Auch hatte deren nun festgenommener Sekretär Vallejo Balda ein persönliches Motiv für Rache: Anders als von ihm selbst vorhergesagt, erhielt er nicht den Job eines Staatssekretärs im neuen vatikanischen Wirtschaftsministerium; der Papst schickte lieber seinen zweiten Privatsekretär, Alfred Xuereb.
Dafür hat das Magazin „L'Espresso“, das sich gern mit dem deutschen „Spiegel“ vergleicht, eine detaillierte Aufstellung jener halben Million Euro an Kosten gedruckt, die der neue Wirtschaftsminister, der Australier George Pell, in nicht einmal einem halben Jahr Amtszeit verursacht hat: Flüge in der ersten Klasse, sündteure Kardinalskleider, Badezimmermöbel und vieles mehr. Die Dokumente waren echt. Das heißt, dass nur jemand, der im Innersten des vatikanischen Getriebes gearbeitet hat, im Besitz dieser Dokumente sein konnte.
Acht Jahre Haft für Verrat
Damit begann VatiLeaks II, damit begannen auch die Ermittlungen der Vatikan-Gendarmerie, beflügelt durch eine Gesetzesverschärfung, die Franziskus selbst angeordnet hatte. Auf Geheimnisverrat – der im Vatikan bis dahin einem zwar sehr strengen, aber nur moralischen Verbot unterlegen hat – stehen heute bis zu acht Jahre Haft.
Die zweite Festgenommene erscheint ungewöhnlich für den Vatikan: die 33-jährige Francesca Immacolata Chaouqui. Als PR-Beauftragte renommierter Anwaltskanzleien hat sie mit Geschick weite Bekanntschaftsnetze gewoben, gern auch bis in den Vatikan. Sie traf Monsignori und Kardinäle, wann immer sie wollte. Den nun mitverhafteten Vallejo Balda jubelte sie zum „größten Wirtschaftsexperten, den die Kirche je hatte“, hoch. Im Schlepptau des Priesters war Chaouqui in die Kommission des Papstes geraten – zur Verwunderung des Publikums.
In denselben römischen Kirchen- und Medienkreisen, die Franziskus abwechselnd einen Gehirntumor oder Ketzerei unterstellen, weil er in der Kurie aufräumen und womöglich die kirchliche Lehre verändern will, wird nun alles gegen den Papst verwendet. Wer habe denn die beiden „Verräter“ so unbedacht berufen?, heißt es da etwa. Wäre es nicht besser gewesen, mit dem bewährten Personal weiterzumachen?
Kuriale aus diesen Kreisen tadeln natürlich die Enthüllung von geheimen Dokumenten, sind aber – nicht einmal halb so geheim – recht zufrieden damit; sie wollen immer schon gewusst haben, dass Franziskus der Kirche schadet. Und Buchautor Nuzzi, der seinen Beteuerungen nach nur „jene anklagen will, die sich der Revolution dieses Papstes widersetzen“, fragt bereits: „Muss auch Franziskus zurücktreten?“ Nuzzi meint es rhetorisch. Schließlich ist auch Benedikt gegangen, im Gefolge von VatiLeaks I und unter Hinterlassung einer großen weißen Schachtel.
AUF EINEN BLICK
VatiLeaks II. Der Prälat Lucio Ángel Vallejo Balda sowie die Vatikan-Beraterin Francesca Chaouqui werden beschuldigt, illegal Dokumente weitergegeben zu haben. Sie wurden festgenommen. In Gianluigi Nuzzis neuem Buch, „Via Crucis“, das heute, Mittwoch, veröffentlicht wird, werden die Vatikan-Skandale beschrieben. Zu den Dokumenten, die darin vorkommen, haben nur Vatikan-Mitarbeiter Zugang. Auch Emiliano Fittipaldi hat ein Enthüllungsbuch geschrieben.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2015)