Sayonara, Atomausstieg – trotz Fukushima

Japans neuer Premier Shinzo Abe gilt als Advokat der Nuklearlobby.

Lange Halbwertzeiten sind nicht Shinzo Abes Sache – schon am Tag zwei seiner Amtszeit ließ Japans neuer Premier eine der wichtigsten Entscheidungen seines Vorgängers pulverisieren. Japan wird nicht nur alle als „sicher“ eingestuften Atomkraftwerke, so schnell es geht, wieder ans Netz koppeln – im Maximalfall wären das 48, sechs sind ohnehin wieder in Betrieb. Auch der Bau neuer Reaktoren werde gestattet. Derzeit sind drei Reaktoren in Bau und neun weitere in Planung.

Da es in Japan nur selten ein klares Ja oder Nein gibt, lässt auch diesmal die Politik eine Hintertür offen. Experten sollen binnen zehn Jahren entscheiden, was der beste Energiemix für die heute drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ist. Zuvor könne jedoch eine unabhängige Behörde für die Sicherheit der Reaktoren bürgen.

Es ist gerade knapp ein halbes Jahr her, als amtlich festgestellt wurde, dass Kungelei, Unfähigkeit und Schlamperei den Beinahe-GAU im AKW Fukushima verursacht haben – nicht die Natur. „Es war ein schwerwiegendes Desaster von Menschenhand“, stellte ein Ausschuss des Parlaments fest. Die neue Regierung weiß genau, wie jämmerlich das Krisenmanagement des Betreibers Tepco nach der Kernschmelze der Reaktoren im März 2011 war.


Zweidrittelmehrheit. Es wird also nichts mit dem geplanten Atomausstieg, nicht einmal in 20 oder 30 Jahren. Aber die Japaner haben es nicht anders gewollt: Eine Zweidrittelmehrheit hat am 16.Dezember für die Rückkehr der Liberaldemokraten an die Macht votiert und damit auch die Rückkehr der Atomenergie billigend in Kauf genommen. Es war bekannt, dass Abe ein Advokat der Nuklearlobby ist, der selbst vor der Forderung nach atomarer Bewaffnung Japans nicht zurückschreckt.

Atomenergie wird in Japan zunächst als wirtschaftliche Notwendigkeit betrachtet, weniger als Sicherheitsrisiko. Und nicht zuletzt die jetzt wieder fulminant an die Macht gewählte LDP hat in fünf Jahrzehnten an der Regierung die Weichen im Bewusstsein der Nation so gestellt, dass es – scheinbar – ohne Nuklearstrom keinen Wohlstand gibt. Japans Atomkurs über Nacht zu ändern ist weder politisch realistisch noch ökonomisch vernünftig.

Ein radikaler Ausstieg wie in Deutschland hätte in Japan bei seiner Kernkraftabhängigkeit von 30 Prozent des Energiebedarfs verheerende Folgen. Denkbar ist nur ein sukzessives Ersetzen des Atomstroms durch erneuerbare Energien. Gerade für Stromerzeugung durch Windenergie oder Wellenkraft wäre die Region Fukushima am stürmischen Nordpazifik durchaus geeignet – eine Chance zum wirtschaftlichen Neubeginn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.01.2013)

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