Amerika, der Wilde Westen der Familienplanung

Amerika Wilde Westen Familienplanung
Amerika Wilde Westen Familienplanung c EPA Eric Draper Ho
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Die Fortpflanzungsmedizin hat in den USA kaum rechtliche Schranken. Das hat einen milliardenschweren Markt für die Spenden von Eizellen und Leihmütter geschaffen – und ethische Abgründe.

Fünfzigtausend Dollar: So viel bot vor einigen Jahren ein anonymes Paar Studentinnen der elitären Brown University für eine Eizellenspende. 1,9 Dollar pro Stunde: So viel bekommen manche Leihmütter dafür, dass sie das Kind wildfremder Leute gebären. Zwei Millionen Dollar: Mindestens so hoch ist der finanzielle Schaden, den die betrügerische Betreiberin einer Fruchtbarkeitsklinik in Kalifornien gutgläubigen Paaren zugefügt hat, die sich ihren Kinderwunsch via Internet erfüllen wollten.

Das Fehlen bundesweiter Vorschriften für die Spende von Eizellen und die Tätigkeit von Leihmüttern hat im vergangenen Jahrzehnt einen milliardenschweren Markt entstehen lassen, der den bisher unmöglichen Kinderwunsch unfruchtbarer Ehepaare, Homosexueller und überzeugter Singles erfüllbar macht, zugleich aber fundamentale ethische und juristische Probleme aufwirft.

Künstliche Befruchtung, Eizellenspende und Leihmutterschaft sorgten im Jahr 2003 laut Untersuchungen von Debora L. Spar (Rektorin des Barnard College an der Columbia University in New York) für einen Umsatz von mehr als drei Milliarden Dollar. Über die heutige Größe dieses Marktes gibt es keine belastbaren Zahlen. Sicher ist aber, dass er gewachsen ist. 2003 wurden laut den Centers for Disease Control and Prevention (die US-Behörde zur Erfassung von Daten der öffentlicher Gesundheit) mindestens 5767 Babys geboren, die sich aus gespendeten Eizellen entwickelt haben; tatsächlich sind es mehr, doch die Statistik erfasst nur die Geburten, nicht die Zahl der Babys. 2010, im aktuellsten Jahr, für das es Zahlen gibt, waren es mindestens 7831 Babys aus gespendeten Eizellen: ein Anstieg um 36 Prozent.

Tag für Tag kommen in Amerika also mindestens 21 Kinder auf die Welt, die nicht von ihrer rechtlichen Mutter abstammen. Sie entsprangen gespendeten Eizellen. Das ist in Österreich verboten; in den USA braucht man bloß einen Anwalt, der einen entsprechenden Vertrag zwischen Spenderin und Empfängerin aufsetzt. Bekommt eine Frau eine gespendete Eizelle eingesetzt, wird sie die rechtlich anerkannte Mutter. Was die Spenderin für ihre Eizellen, deren Gewinnung mit einer belastenden Hormonbehandlung und umfangreichen medizinischen Tests verbunden ist, erhält, ist in Amerika nicht geregelt. Die American Society for Reproductive Medicine (der Verband der Fortpflanzungsmediziner) hat sich nur einen unverbindlichen Verhaltenskodex auferlegt: Zahlungen von 5000 Dollar aufwärts müssen speziell begründet werden. Bekommt eine Spenderin mehr als 10.000Dollar, ist das „nicht angemessen“.

Gefragte Spenderinnen. In der Praxis hält sich kaum jemand an diese Wohlgefallensregeln. Junge, gesunde und intelligente Spenderinnen sind besonders begehrt. Und so finden sich in renommierten Universitätsorten wie Yale oder Harvard immer wieder Annoncen, die sich gezielt an Studentinnen dieser akademischen Eliteschmieden wenden. Vor einigen Jahren sorgte ein 50.000-Dollar-Inserat im „Brown Daily Herald“ der Brown University in Rhode Island für „eine herausragende Eizellenspenderin“ für Aufsehen.

Jungen gebärfähigen Frauen aus ärmeren Familien oder ethnischen Minderheiten, die als Spenderinnen nicht gefragt sind, hat sich Mitte der 1980er-Jahre ein anderer Markt eröffnet. Und so werden in Amerika immer mehr Kinder von „Surrogates“, also Leihmüttern, geboren. Im Jahr 2006 gab es laut der bereits zitierten American Society for Reproductive Medicine 1059 Geburten nach Leihmutterschaft. Täglich gebären also drei amerikanische Mütter Kinder, die sie von Anfang nicht behalten wollen. Die Leihmutterschaft ist, anders als die bloße Eizellenspende, zumindest in einigen Bundesstaaten geregelt. Einen landesweiten Rahmen gibt es aber nicht. Denn die Ausübung ärztlicher Berufe ist eine Sache der Bundesstaaten. Die 50 Gesetzgeber von Alaska bis Florida können hier also mehr oder weniger machen, was sie wollen.

Manche gehen sehr weit: Kalifornien hat im vergangenen Herbst nach einer jahrzehntelangen Lobbykampagne von Homosexuellenorganisationen ein Gesetz erlassen, wonach gleichgeschlechtliche Paare nach kalifornischem Recht sofort die anerkannten Eltern von Kindern werden, die sie bei Leihmüttern in Auftrag gegeben haben. Ein ähnliches Gesetz gibt es ebenfalls seit 2012 in Connecticut.

Andere Bundesstaaten wiederum sind sehr restriktiv. Michigan etwa ahndet die geschäftsmäßige Leihmutterschaft mit bis zu fünf Jahren Haft. Verträge über die Vermittlung von Leihmüttern sind nach dem Recht Michigans null und nichtig. Wiederum andere Bundesstaaten haben gar keine Rechtsvorschriften für die Leihmutterschaft. Ob und wie Auftraggeber und Leihmütter so etwas vereinbaren, ist eine reine Frage privatrechtlicher Abmachungen. „Die Leute können damit faktisch im Internet nach willigen Leihmüttern herumshoppen“, sagt der renommierte Medizinrechtler George J. Annas von der Boston University im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“.

Der Fall „Baby M“. Meistens funktioniert das im beiderseitigen Einvernehmen. Wenn aber etwas schiefgeht, dann sorgt der Fleckerlteppich bundesstaatlicher Gesetze für Tragödien. Im März 1986 zum Beispiel weigerte sich die Leihmutter Mary Beth Whitehead, eine 29-jährige zweifache Mutter aus einfachen Verhältnissen, ihr neugeborenes Baby an die Auftraggeber, ein reiches Ehepaar namens Stern, zu übergeben. Sie floh aus New Jersey nach Florida, wo sie von der Polizei verhaftet und das Kind an die Sterns übergeben wurde. Whiteheads Klage ging durch alle Instanzen des Gerichtswesens von New Jersey, bis sie vor dem dortigen Höchstgericht landete.

Dieses judizierte 1988 erstmals die Frage aus, ob Leihmütter einen Anspruch auf die Kinder erheben können, die sie für andere Leute ausgetragen haben. In der Sache entschied Richter Robert Wilentz für Frau Whitehead und erklärte den Vertrag für ungültig. Denn sie habe ihre Entscheidung mitnichten freien Willens treffen können: „In einer zivilisierten Gesellschaft gibt es Dinge, die man nicht kaufen kann.“ (Die Sterns erhielten allerdings wenig später die Vormundschaft, Frau Whitehead ein bloßes Besuchsrecht.) Für rechtliche Klarheit hat dieses Urteil allerdings nicht gesorgt. Die einzige wesentliche Folge des „Baby M“-Falls war, dass Leihmütter heute üblicherweise die Eizellen fremder Spenderinnen austragen. Sprich: Eine unfruchtbare oder nicht gebärfähige Frau – oder ein homosexueller Mann – engagiert eine Spenderin und eine Leihmutter, um ein Kind zur Welt zu bringen, das sofort ihres beziehungsweise seines wird.

Das ist ein teures Unterfangen. Eine Leihmutterschaft kostet, einschließlich aller Kosten für Anwälte, Ärzte und Krankenversicherung, von 65.000 Dollar aufwärts bis um die 140.000 Dollar. Die Leihmutter sieht davon am wenigsten. Manche Leihmütter erhalten nur 12.000 Dollar. Umgelegt auf 266 Tage Schwangerschaft sind das 1,9 Dollar „Stundenlohn“.

Den großen Reibach hingegen macht eine Unzahl an Zwischenhändlern. Bisweilen ist die Grenze zum Verbrechen dünn. Um mehr als zwei Millionen Dollar prellte die betrügerische Leihmutter-Agenturchefin Tonya Ann Collins binnen nur drei Jahren mehrere gutgläubige Paare. Sie zog auch naive Leihmütter ins Unglück: Salina Martinez, eine 25-jährige alleinerziehende Mutter, verlor in der 14.Schwangerschaftswoche ihrer Leihmutterschaft die Krankenversicherung, weil Collins' Agentur die Rechnungen nicht bezahlt hatte. Vor dem Ruin stehend musste sie ihre ebenfalls nichts ahnenden Auftraggeber, ein Paar aus Spanien, mit der Drohung, das Kind abtreiben zu lassen, zur Bezahlung ihrer Rechnungen bewegen.

Die Betrügerin Collins ist nach drei Jahren Flucht und hartnäckigen Recherchen des Fernsehsenders PBS im April 2012 vom FBI verhaftet worden; sie hat mehr als 100 Paare geprellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2013)

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