Ebola: Ein einsames Leben im Schutzanzug

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Der Kampf gegen Ebola scheint aussichtslos. Wie sich internationale Helfer für die Kranken und gegen die Stigmatisierung der Überlebenden einsetzen.

Lothar Wagner ist unterwegs in seinem Auto durch Freetown. Auf der Rückbank sitzen vier Mädchen, die er in den Straßen von Sierra Leones Hauptstadt aufgelesen hat. Der 41-Jährige bringt die Kleinen ins Kinderschutzzentrum Don Bosco Fambul, dessen Leiter der Ordensbruder aus Deutschland ist. Eigentlich sollten die fünf im Auto in Feierstimmung sein: Dass die Kinder die fast immer tödlich verlaufende Ebola-Infektion überlebt haben, ist ein kleines Wunder. Sie gelten zwar als völlig geheilt, von ihren Familien werden sie aber dennoch bestraft. Ihre Eltern haben sie verstoßen, sie wollen ihre Töchter nicht mehr zu Hause aufnehmen, weil sie Angst haben, sich selbst mit Ebola anzustecken. „Ich bringe die Mädchen in unsere Anlaufstelle, wo sie vorerst bleiben können“, sagt Lothar Wagner.

Der Salesianerbruder Don Boscos lebt seit sechs Jahren im westafrikanischen Sierra Leone, wo er sich mit seinem Team um Straßenkinder, um Jugendliche in Gefängnissen und um Mädchen, die Gewalt erfahren haben, kümmert. Eigentlich. Denn mit dem Ausbruch der Ebola-Epidemie hat sich die Arbeit der Nichtregierungsorganisation völlig verändert. Jetzt geht es darum, Kindern zu helfen, die ihre Eltern verloren haben und um die sich niemand mehr kümmern will. Kindern, die Ebola überlebt haben, aber zu Ausgestoßenen der Gesellschaft geworden sind. Kindern, die auf der Straße leben, weil niemand etwas mit ihnen zu tun haben will. „Die Stigmatisierung ist enorm“, erzählt Bruder Lothar im Telefongespräch mit der „Presse am Sonntag“. „Sie haben ihre Eltern verloren, hatten Angst, selbst infiziert zu sein, waren vielleicht in Quarantäne. Sie haben all das überlebt, und dann kommt die Ablehnung der Nachbarschaft, des ganzes Dorfes dazu. Das habe ich so in meiner Laufbahn als Sozialarbeiter noch nicht erlebt.“


Tausende Ebola-Waisen. Seit Beginn der Ebola-Epidemie in Westafrika sind laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den am schwersten betroffenen Ländern Guinea, Sierra Leone und Liberia insgesamt 8011 Infektionen und 4033 Tote gemeldet worden (Stand: 10.Oktober). Mindestens 3700 Mädchen und Buben haben laut Schätzungen des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (Unicef) einen oder beide Elternteile verloren.

Die ersten Ebola-Fälle traten bereits im Dezember 2013 im Süden Guineas auf, es dauerte allerdings drei Monate, bis die Erkrankungen korrekt diagnostiziert wurden. Im Dreiländereck verbreitet sich das tödliche Virus rasch: Von Guinea schwappte es auf Liberia und Sierra Leone über. Im Juli wurde die Infektionskrankheit nach Nigeria eingeschleppt: Ein Mann aus Liberia starb in der Hauptstadt Lagos. Eine weitere Ausbreitung konnte schnell gestoppt werden. Insgesamt gab es in Nigeria „nur“ sieben Todesopfer.

Danach ging Ebola auf Weltreise: Ein Mann aus Liberia erkrankte während eines Verwandtenbesuchs in den USA und starb in einem Spital in Dallas. Bevor die Krankheit allerdings festgestellt werden konnte, hatte er Kontakt mit möglicherweise hundert Menschen. Noch immer befinden sich seine Angehörigen in Quarantäne – und werden bis zum Ende der Inkubationszeit von 21 Tagen ihr Haus nicht verlassen dürfen. Immer wieder werden internationale Helfer, die sich in Westafrika anstecken, zur Behandlung in die USA oder nach Europa geflogen: Einige überleben, für einige kommt die Behandlung zu spät. Wie für jene zwei spanischen Missionare, die im Madrider Krankenhaus CarlosIII. gepflegt wurden. Eine ihrer Pflegerinnen, die Krankenschwester Teresa Romero, ringt nun selbst mit dem Leben. Ein Fehler im Prozedere, ein Missgeschick beim Ausziehen des Schutzanzugs, den das Personal in den Isolierstationen tragen muss, kann fatal sein.

„Wir fragen uns hier, wie man sich in Spanien bei einer einzigen Behandlung anstecken konnte, wenn wir hier hunderte managen“, sagt Andreas Vogel (Name von der Redaktion geändert). Der Wiener arbeitet als Logistiker für die Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) und ist seit Ende August in Kailahun im Osten Liberias im Einsatz. MSF betreibt dort ein Behandlungszentrum für Ebola-Infizierte und kämpft in der vordersten Reihe für die Eindämmung des Virus. Vogel ist dafür zuständig, dass genügend Schutzhandschuhe, Anzüge, Brillen und sonstiges Material vorhanden ist. „Das medizinische Personal ist einer extrem hohen Gefährdung ausgesetzt. Seinen Schutz muss man daher auf sehr hohem Niveau betreiben“, erklärt Vogel.

Immer bei der Sache bleiben. Bereits vor sechs Wochen, vor seinem Dienstantritt in Liberia, sprach Vogel schon einmal mit der „Presse am Sonntag“ über die Gefahren, die solch ein Einsatz mit sich bringe. Damals wie heute ist er davon überzeugt: Das Infektionsrisiko ist gering – wenn man gewisse Grundregeln beherzige. „Wir haben hier die Politik: Keine Berührungen. Wir geben niemandem die Hand, auch nicht untereinander.“ Ja nicht mit den Händen ins Gesicht fahre, die Augen reiben. Die Verrichtung alltäglicher Dinge, das unachtsame Ausführen von Gewohnheiten, darin lauert das Ansteckungsrisiko. Und: Hände waschen, Hände waschen, Hände waschen – diese Grundsätze bekam Vogel so wie alle seine Kollegen vor Beginn ihres Einsatzes eingebläut.

Die Familie zu Hause in Wien sieht das Risiko dieses Einsatzes nicht so locker, und weil unvorhersehbar ist, wie seine Nachbarn nach seiner Rückkehr reagieren könnten, ist es ihm lieber, nicht seinen richtigen Namen in der Zeitung zu nennen. Dennoch unterscheide sich seine Arbeit in Westafrika kaum von anderen Projekten, sagt er. So wie immer muss er dafür sorgen, dass der Betrieb läuft. Psychisch sei man aber durchaus gefordert. Bei Temperaturen von rund 30 Grad Celsius und einer sehr hohen Luftfeuchtigkeit gehe man an seine Grenzen: „Wir müssen uns ständig daran erinnern, genug zu trinken und auf uns zu achten.“ Denn jedes kleine Zwicken verursache in dieser angespannten Situation zu „viel Nervosität“. Als Nichtmediziner zwänge er sich zwar eher selten in den Schutzanzug, könne dieser Montur aber positive Seiten abgewinnen: „Denn dann können wir uns bedenkenlos auf die Schulter klopfen oder kurz umarmen. Das fehlt einem schon.“

Späte Reaktion der WHO. Dass sich die Ebola-Epidemie in Westafrika so rasch ausbreiten konnte, liegt auch an den schwachen Gesundheitssystemen der betroffenen Länder. Die schlecht ausgestatteten Krankenhäuser stehen nun vor dem völligen Kollaps. Die Isolierstationen für Ebola-Patienten sind voll, Kranke werden abgewiesen, das Material fehlt, das medizinische Personal ist im Umgang mit dem Virus schlecht oder gar nicht geschult, überfordert und einem extrem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt. Die nationalen Regierungen können das Problem nicht allein stemmen. Zu spät und zögerlich hätten die internationalen Organisationen auf die Hilferufe aus Westafrika reagiert, kritisieren einstimmig alle Organisationen, die vor Ort gegen Ebola kämpfen. Erst im August erklärte die WHO Ebola zum internationalen Gesundheitsnotfall. MSF hatte schon Monate davor vor einer rasanten Ausbreitung gewarnt. „Die UNO und die WHO sehen sich als Moderatoren, packen aber nicht mit an“, meint Lothar Wagner, der die Lage als „völlig außer Kontrolle“ bezeichnet. Und: „Die Hilfe der internationalen Gemeinschaft ist beschämend.“ Um die Epidemie in den Griff zu bekommen, brauche es mehr Isolierstationen und geschulte Ärzte sowie Krankenpfleger.

Wie können Ärzte, Pfleger, Bestatter geschützt werden und einer Infektion vorbeugen? Selbstschutz, das ist Michael Kühnels Spezialgebiet. Der Tropenmediziner ist Mitarbeiter des Österreichischen Roten Kreuzes, war bereits im Sommer im Ebola-Einsatz in Sierra Leone und wird in wenigen Tagen seinen Dienst in Liberia antreten. Dort wird er in diversen öffentlichen Spitälern das Personal schulen. Beim Ausziehen der Schutzkleidung bestehe die größte Ansteckungsgefahr, sagt der Arzt. Nach etwa einer Stunde in der Isolierstation – länger sollte das Personal nicht bleiben – wolle man „nur mehr raus aus dem Anzug, man schwitzt, alles ist angelaufen“. In dieser Situation müsse man Ruhe bewahren. Es helfe, wenn man gesagt bekomme, was man zu tun habe. „Zuerst müssen die Überhandschuhe ausgezogen werden, dann die Maske. Alle Schritte müssen von einer weiteren Person überwacht werden, die auch Chlorflüssigkeit zur Desinfektion sprüht.“ Als einen der wichtigsten Jobs auf der Isolierstation bezeichnet Doktor Kühnel diesen Kontrolleursposten.

Außerdem fallen täglich riesige Mengen an kontaminiertem Müll an, die fachgerecht entsorgt werden müssen. Auch das Reinigungspersonal, das keinen medizinischen Background hat, muss entsprechend instruiert werden. Fünf Wochen hat der Tropenmediziner Zeit, so viel liberianisches Personal so gut wie nur möglich aufzuklären.


Hexenkult und Aberglaube. Wirksamer Schutz vor einer Ansteckung ist die Einnahme einer rohen Zwiebel. Oder: Ist man bereits infiziert, kann man durch das Trinken eines alkoholischen Getränks namens Bitter Kola geheilt werden. Und: Ein verhextes Flugzeug ist über Sierra Leone abgestürzt und hat Westafrika mit einem Fluch belegt.

Mit diesen kruden Theorien ist Bruder Lothar täglich konfrontiert. Denn dass Kinder, die Ebola überlebt haben, von der Gesellschaft ausgeschlossen werden, wurzelt auch in einem tief sitzenden „Hexenkult“. „Ebola wird oft nicht real gesehen“, so Wagner. Die Verursacher seien die Überlebenden. Sie hätten das Unglück gebracht, seien Hexen und verflucht.

Die Liste des Aberglaubens ist lang. Für jeden, der verzweifelt nach Erklärungen sucht, ist scheinbar eine passende Antwort dabei. Nur eine fehlt: Dass jene, die überlebt haben, einfach nur riesiges Glück hatten.

Zahlen

8011Menschen in Sierra Leone, Guinea und in Libera haben sich mit dem Ebola-Virus infiziert.

4033Menschen sind bisher an der Tropenkrankheit gestorben.

3700Kinder sind laut Schätzung von Unicef durch Ebola entweder Voll- oder Halbwaisen geworden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2014)

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