Spuren in der Schneeschüssel

Wie eine Schüssel liegt das Almgebiet von Klein-Fanes und Groß-Fanes inmitten der Dolomiten. Links: die Lavarella-Hütte, ganz im Hintergrund das Rifugio Fanes. Unterm Schnee liegt der Gebirgssee Le Vert.
Wie eine Schüssel liegt das Almgebiet von Klein-Fanes und Groß-Fanes inmitten der Dolomiten. Links: die Lavarella-Hütte, ganz im Hintergrund das Rifugio Fanes. Unterm Schnee liegt der Gebirgssee Le Vert. TVB Kronplatz
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Auf der Fanes-Alm in Südtirol zeigen sich die Dolomiten von einer weniger wilden Seite. Damit tun sich umso mehr Tourenvarianten auf.

Mit jeder Kehre wird der Weg ein wenig steiler, immer näher rücken die Bergwälder, Kare und Felswände heran. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass am Ende des Weges – oder des ersten Etappenziels – ein fantastisches, freies Flachstück liegt: die Fanes-Alm. Doch nach eineinhalb Stunden Anmarsch über die verschneite Forststraße weitet sich der Blick tatsächlich zu einer riesigen Geländeschüssel, die von vielen markanten Gipfeln eingekreist wird. Weil deren ganz schroffe Seiten mehr nach hinten weisen, mutet die Landschaft im Fanes-Gebiet sanfter und zugänglicher an als anderswo in den Dolomiten. Selbst der sportliche Laie brauchte hier Wochen, um alle Touren zu absolvieren, die ihm Hüttenwirte, Bücher oder Bergführer ans Herz legen.

Um Kraft für eine Ski- oder auch für eine Schneeschuhtour zu sparen, lässt sich der Weg nach Klein-Fanes natürlich abkürzen. Man wartet im Berggasthof Pederü bei einem Espresso oder einem Teller Schlutzkrapfen, bis Max Mutschlechner mit seiner Schneekatze vorbeikommt, einen in das martialische Gefährt packt und hinauf zu seinem Rifugio transportiert. Die Fahrt hat etwas von Paris–Dakar im Schnee, wie im Schlaf lenkt Mutschlechner Serpentine um Serpentine hinauf. Den Weg bestreitet der Wirt der „Ücia de Fanes“, wie das Rifugio auf Ladinisch heißt, mehrmals am Tag – für Hausgäste und Einkäufe, früher mussten die Kinder in die Schule gebracht werden, außer bei Schneesturm. An Verbindung – kein Handyempfang, kein Fernseher – zur Außenwelt mangelt es auf 2050 Metern allerdings nicht: Das Rifugio ist ein Treffpunkt für Wintersportler, die Ausdauer haben, sei es im Tourengehen, sei es im Zusammensitzen bei Südtiroler Wein und ladinischer Küche. Zudem schneien an schönen Tagen regelmäßig Winter- und Schneeschuhwanderer herein. Urig und stimmungsvoll ist es in den Gasträumen, die Familie Mutschlechner hält an Traditionen fest, wie man an den alten Zeitungsausschnitten und Fotos drinnen sieht. Auch einiges Mobiliar stammt noch aus den 1930er-Jahren, als die Sommerfrischler die Kühle und Romantik einer Südtiroler Alm entdeckten.

Rücken, Grate, Rinnen. So ist die Einkehr, die man nach kurzer Wegzeit über das Almgebiet von Klein-Fanes erreicht, der ersten nicht unähnlich: Die Lavarella-Hütte trägt ebenso ein typisches Pultdach, vermittelt draußen das Gesicht der Zwischenkriegszeit und drinnen rustikalen Charme. Ein nettes Zimmer mit Waschbecken oder einen Platz im Schlaflager bekommt der Tourengeher, der ein paar Tage bleiben will, auch hier.

Skitouren starten hier oben direkt vor der Tür. Mit 400 Höhenmetern bietet der Weg auf die Schildkröte, eine kleine runde Erhebung, ein gutes Einstiegsszenario für längere Skitouren wie etwa auf den Monte Castello (2760 m), die Pareispitze (2794 m) oder die Kreuzkofelscharte und weiter zur Medesspitze (2713 m). Sie gelten als leicht bis mittelschwierig und dauern an die drei Stunden. Zu den alpinen Herausforderungen, die einen an ausgesetzte Stellen und an konditionelle Grenzen bringen können, gehören einer der höchsten Gipfel der Fanes-Gruppe, die Lavarella mit 3055 Metern, und die Stigaspitze (2787 m). Dort muss man schon mit Steilrinnen und Kletterpassagen zurechtkommen. Auf der berühmten Neunerspitze – Alpinkletterer kennen den Berg von ihren respekteinflößenden Neunerplatten – peilen die allermeisten Tourengeher nur den Vorgipfel an, weil der Weg zum eigentlichen Gipfel über einen sehr schmalen Grat führt. Dieses Abenteuer motiviert höchstens den routinierten Skibergsteiger.


Karst und Murmeltiere. Man weiß nicht, was hier eigentlich schöner ist – der gemächliche Aufstieg oder die flottere Abfahrt im Tiefschnee. Der Ausblick auf weitere Gebirgsstöcke der Dolomiten erscheint jedenfalls prächtig und die Topografie reizvoll. Unter dem Schnee liegt interessant kupiertes Hochalm-Gelände: Steintrümmer und Geröll, Bergseen, mäanderndes Wasser, Weiden für Kühe, Pferde, Schafe. Zudem existieren zwei Geländestufen – das Limojoch mit dem Limosee trennt Klein-Fanes von einer zweiten Hochebene, dem Almgebiet Groß-Fanes.

Dort und da tun sich Dolinen, Spalten und Schächte auf, weil die Verkarstung in diesem Teil des Naturparks Fanes-Sennes-Prags besonders stark vor sich geht. Dieser Umstand dürfte auch in die diversen Dolomiten-Mythen Eingang gefunden haben: Um das Reich des Fanes-Volkes rankt sich eine wilde, verwickelte Geschichte von zwei Königinnen und verbündeten Murmeltieren, von Verrat, Rache und Rückzug ins Innere der Berge.

Sichtbar und konkret hingegen sind die Zeichen jüngerer Historie – man begegnet auf den Touren dort und da Stellungen aus dem Ersten Weltkrieg. Damals wurde über das weitläufige Almgebiet eine militärische Straße gebaut, die St. Vigil in Enneberg mit Cortina d'Ampezzo verbindet. Heute verläuft der Weg ganz friedlich: unter dem Namen Via della Pace.

Fanes-alm

Unterwegs: Touren zum Download auf www.sanvigilio.com. Achtung: Lawinenlagebericht checken, besser gemeinsam mit Guide aufbrechen.

Hütten: Das Rifugio Fanes (www. rifugiofanes.com) und die Lavarella-Hütte (www.lavarella.it) sind gute Ausgangspunkte mit uriger Atmosphäre und guter Küche. Beide bieten ihren Hausgästen die Abholung mit der Schneekatze (ab Pederü).

Hinkommen: Von Bruneck/Pustertal ins Gadertal und weiter ins Enneberger Tal bis St. Vigil in Enneberg.

Region: Die Fanes-Alm liegt im Naturpark Fanes-Sennes-Prags mitten in den Dolomiten, www.suedtirol.info, www.kronplatz.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2015)

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