Krise: Auch Gangster müssen Jobs abbauen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Krise trifft auch die japanische Mafia Yakuza. Erstmals seit ihrem Bestehen wirft sie hunderte Mitglieder hinaus.

Wien (ag./mar). Im Film „Brother“ steht ein alter Kämpfer vor der Wahl: Flucht oder Tod. Die Yakuza, die gefürchteten Mafiaclans Japans, brauchen ihn nicht mehr. Stoisch nimmt der Protagonist den letzten Zigarettenzug und verlässt für immer das Land. Mit diesem Streifen scheint der Filmemacher Takeshi Kitano im Jahre 2000 eine Entwicklung vorweggenommen zu haben, die 2009 genau so eintrifft.

Jahrzehntelang waren Drogen, Glücksspiel, Schutzgelderpressung und Prostitution auch in Japan die Haupteinnahmequellen der organisierten Kriminalität. Doch nun werfen die Yakuza erstmals seit ihrem Bestehen hunderte Mitglieder hinaus, weil diese den geforderten Beitrag an ihr jeweiliges Kartell nicht zahlen können. Der Grund dafür scheint zunächst absurd: Es ist die Wirtschaftskrise. Wie kommt es dazu?

Wie die Camorra in Neapel oder die 'Ndrangheta in Kalabrien erlebten die Gruppen der japanischen Yakuza nach dem Zweiten Weltkrieg einen stetigen Aufschwung. Misha Glenny, britischer Journalist und Buchautor, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Phänomen. Er bescheinigt den genannten Gruppen sogar eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Kommunismus, den die USA unterstützt hätten.

„Die heutige Mafia ist falsch“

Doch dann brachte der Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten eine entscheidende Wende – auch für die organisierte Kriminalität. Sowohl die Yakuza in Japan als auch die Mafia in Italien sind in ihren Strukturen traditionalistisch geprägt. Plötzlich bekamen sie Konkurrenz in Gestalt von russischen, bulgarischen und anderen Mafiosi, die ihre Mitglieder aus arbeitslos gewordenen Angehörigen des Militärs und des Sicherheitsapparats rekrutierten. Diesen neuen Organisationen war nicht mehr die Loyalität gegenüber der „Familie“ am wichtigsten, sondern der Profit. So schnell und so viel wie möglich, berichtet Misha Glenny. Deshalb reagierten die Yakuza mit einer Abkehr von den Idealen der Samurai – Mut, Opferbereitschaft und Loyalität –, auf die sie sich traditionell berufen, und orientierten sich an den Gesetzen des Marktes.

Aktien statt Drogen

Zusätzlich erlaubten speziell in Japan neue Gesetze ab den 1990er-Jahren ein schärferes Vorgehen gegen die Gruppen, die zuvor jahrzehntelang offen in der Öffentlichkeit aufgetreten sind. Die Gangster konzentrierten sich daher statt auf Glücksspiel und Drogen vermehrt auf legale Geschäfte wie Aktien und Immobilien. Sie gingen auch mit eigenen Unternehmen an die Börse. Damit scheffelten die Yakuza bis vor eineinhalb Jahren Milliarden. Dem japanischen Yakuza-Experten Tomohiko Suzuki zufolge haben die einzelnen Yakuza-Gruppierungen heute rund 83.000 Mitglieder und besitzen etwa 50 Unternehmen, die an den Börsen in Tokio und New York notiert sind.

Nun trifft sie die Krise genauso wie „klassische“ Unternehmer und Anleger. Die Nachrichtenagentur AFP berichtet von alten Kämpfern, die sich nach dem Yakuza-Ethos von früher sehnen: „Die heutige Geldversessenheit der japanischen Mafia ist falsch.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2009)

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