US-Schauspieler Sean Penn hat im Dschungel den gefürchteten mexikanischen Kartellchef Joaquín „El Chapo“ Guzmán getroffen. Und vermutlich so zu seiner Verhaftung beigetragen.
Wien/Los Angeles. Der Schauspieler als Journalist. Sean Penn sucht gerne die Nähe von Persönlichkeiten, die sich mit den USA nicht sonderlich verbündet fühlen. In Magazinen waren Penns Interviews mit Links-Ikonen wie Raúl Castro oder Hugo Chávez zu lesen, in Zeitungskommentaren pflegte er die konservative Regierung von George W. Bush zu zerpflücken. Und während der US-Invasion im Irak ließ sich Penn ebenfalls dort blicken, um gegen den Einmarsch zu protestieren. Angeblich wollte er kürzlich den Chef der Terrororganisation Islamischer Staat, Abu Bakr al-Baghdadi, interviewen, aber der ließ sich nicht breitschlagen.
Im Gegensatz zu Joaquín „El Chapo“ Guzmán. Drogenboss mit literweise Blut an den Händen. Neben Mexiko würden die Staatsanwälte von mehreren US-Städten ihm gerne den Prozess machen, allen voran Chicago, wo Guzmán zum Staatsfeind Nummer eins erklärt wurde, wie einst der nicht minder finstere Al Capone.
Vergangenen Oktober also traf Penn Guzmán irgendwo im Dschungel. Ihr Gespräch dauerte sieben Stunden, sie tranken Tequila, ließen sich beim Handshake ablichten und sprachen unter anderem über die Filmindustrie. Penns Interview, das vor einigen Tagen im „Rolling Stone“-Magazin veröffentlicht wurde, verfehlte selbstverständlich seine Wirkung nicht. Seit Jahrzehnten hat Guzmán mit keinem Journalisten – oder sonst einer öffentlichen Person – gesprochen. Erst im Sommer war „El Chapo“, Chef des berüchtigten Sinaloa-Kartells, aus einem mexikanischen Gefängnis ausgebüxt (bereits die zweite Gefängnisflucht).
Seine Anhänger hatten ihm einen 1,5 Kilometer langen Tunnel gegraben, seither wurde er, wieder einmal, weltweit gesucht. Bis zum vergangenen Wochenende: Guzmán wurde in einer Gemeinde im Bundesstaat Sinaloa gefasst und sitzt nun ausgerechnet in jenem Gefängnis, aus dem er Monate zuvor geflohen war. Mexiko bereitet seine Auslieferung in die USA vor.
Twitter und Blumen
Es sieht fast so aus, als ob Penn zu Guzmáns Verhaftung beigetragen hat. Die mexikanischen Behörden scheinen von dem Treffen gewusst zu haben, anschließend haben sie „El Chapos“ Versteck aufgespürt. Die ganze Geschichte könnte Penn für Hollywood nicht besser erfinden. Den Kontakt zu Guzmán stellte seine mexikanische Schauspielkollegin Kate del Castillo her, die im Übrigen in einer Serie eine Drogenbaronin spielt. Ein freundlicher Tweet über Guzmán (der nicht freundlich gemeint gewesen sein soll, wie sie später sagte), brachte del Castillo die Bewunderung des Kartellchefs ein. Er ließ ihr Blumen schicken. So beschreibt es zumindest Penn. Sein Text liest sich wie ein Krimi, tragisch und komisch. Angesprochen auf den US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, der gerne alle Mexikaner als Drogendealer beschimpft, sagt „El Chapo“ scheinbar ohne Ironie: „Ah! Mi Amigo!“ Mehrmals weist Penn darauf hin, dass er sich der Person Guzmán und der Gräueltaten seines Kartells bewusst sei. Er frage sich aber auch, ob Amerika – als Konsument – nicht Komplize des grausamen Drogenkrieges ist.
Enorme Kritik hat ihm sein Ausflug in den Dschungel trotzdem eingebracht. Penn portraitiert „El Chapo“ als dauerlächelnden Charismatiker. „Stimmt es“, fragt er, „dass Drogen die Menschheit zerstören, Schaden verursachen?“ „Nun, es ist die Realität, dass Drogen zerstören“, weiß Guzmán zu antworten. Penn wird fehlende Objektivität vorgeworfen, fest steht aber auch, dass Guzmán wohl erstmals so viel Einblick in sein Leben gibt. Aber warum eigentlich? „El Chapo“ dürfte seiner Eitelkeit zum Opfer gefallen sein. Vor Penn brüstet er sich, dass niemand außer ihm mit so viel Heroin, Kokain oder Marihuana handle. U-Boote besitze er, Schiffe und Flugzeuge. Vermutlich dachte Guzmán, dass mit Penns Interview ein Film über ihn gedreht werde. Wobei ja gerade Penn das Filmbusiness nur mehr zum Nebenjob haben dürfte. Lieber gibt er sich als lautstarker Politaktivist und Helfer in Not (seine Hilfsorganisation hat er nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti 2010 gegründet). Zwei Oscars hat er schon, auch als Regisseur hat er gearbeitet. „Ich werde“, so Penn in einem Interview, „mein Leben lang von einer Art Wut angefeuert.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2016)