Kanada: Massenflucht vor „Monsterfeuer“

Das Feuer leuchtet im Morgengrauen.
Das Feuer leuchtet im Morgengrauen.REUTERS
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Bis zu 90.000 Menschen mussten die westkanadische Stadt Fort McMurray und das Umland wegen eines Flächenbrandes verlassen. Der Stadt droht die totale Vernichtung.

Ottawa. „Erst war es ruhig. Aber dann ging alles ganz schnell“, sagt Gail Bibeau mit bebender Stimme. Sie packte ihre Tochter und ihren Hund und fuhr nach Süden, raus aus Fort McMurray, weg von den Flammen. Hab und Gut musste sie zurücklassen. „Wahrscheinlich habe ich alles verloren. Aber ich hab meine Tochter und meinen Hund bei mir. Auch mein Sohn konnte dem Feuer entkommen und ist okay.“

So wie Bibeau geht es derzeit praktisch allen Bewohnern von Fort McMurray im Norden der westkanadischen Provinz Alberta. Bereits seit dem Wochenende hat südwestlich der Stadt, die das Zentrum der kanadischen Ölsandindustrie ist, Busch- und Grasland gebrannt. Nach einem trockenen Winter und frühen sommerlichen Temperaturen – man hat bis zu 32 Grad gemessen – sind Wälder und Buschland in der Region strohtrocken. Was schließlich das Feuer ausgelöst hat, ist unbekannt. Doch am Dienstag griff starker Wind ein, trieb das Feuer auf die Stadt zu. Es übersprang Flüsse, Bäche und Straßen. Tankstellen und Tanklager explodierten. Und dann war die Stadt selbst dran.

„Ein hässliches Feuer ohne Erbarmen“

Seither wurden weite Teile Fort McMurrays zerstört. Pausenlos kämpfen Feuerwehren gegen das „Monsterfeuer“, wie es in den Berichten heißt. Am Donnerstag geriet der Brand weiter außer Kontrolle. Die Regierung Albertas erklärte den Notstand. Die Flammen drohen die ganze Stadt sowie umliegende Weiler (insgesamt etwa 90.000 Einwohner) zu zerstören. Die Bundesregierung entsandte Militäreinheiten zur Unterstützung.

Zu Zehntausenden mussten die Bewohner schon am Dienstagabend Hals über Kopf fliehen, nachdem die Behörden am Nachmittag zunächst die Evakuierung einzelner Bezirke angeordnet, um 18.30 Uhr aber die ganze Stadt unter Evakuierungsbefehl gestellt hatten. Auch das Krankenhaus musste geräumt werden. Bisher wurden immerhin keine Todesopfer und Verletzten gemeldet.

Auf dem Highway 63 fuhren Fahrzeugkolonnen nach Süden. Wenn die Flüchtenden anhielten und zurückblickten, sahen sie die von Feuer erleuchtete Nacht und ihre Stadt in Flammen. Als der Morgen anbrach, war in drei Wohngebieten von vielen Einfamilienhäusern, Wohnmobilen und Autos nichts übrig außer rauchenden Ruinen und Schrott. Rund 1600 Häuser und Gebäude wurden nach Angaben von Albertas Regierungschefin, Rachel Notley, zerstört, mindestens hundert Quadratkilometer Land verbrannten.

Seine Leute hätten alles Mögliche getan, um das Feuer zu stoppen, sagte der örtliche Feuerwehrchef, Darby Allen. Aber man sei überwältigt von der Gewalt des Feuers. „Es ist ein hässliches Feuer, das kein Erbarmen zeigt“, sagte Allen und konnte nur mühsam seine Emotionen unterdrücken.

Ölsandindustrie in der Krise

Anne Beerland-Reed beobachtete von ihrer Wohnung in einem Seniorenheim, wie sich der Himmel rot verfärbte und dann Rauch die Sonne bedeckte. Später wurde sie mit anderen Bewohnern zu einem Bus gebracht und weggefahren. „Es war nichts als Ruß, Rauch und Flammen“, sagte sie in CBC. „Von allen Seiten kam Feuer.“

Rund um Fort McMurray, das etwa 430Kilometer nördlich der Provinzhauptstadt Edmonton liegt und nach Süden nur durch eine Straße verbunden ist, gewinnen Ölkonzerne aus dem Ölsand das dickflüssige Bitumen. Die Stadt war bis zum Einbruch der Ölpreise ein Wachstumsmotor in Kanada, kämpft nun aber mit großen wirtschaftlichen Problemen und Arbeitslosigkeit. Nun kommt das Feuer dazu.

„Es ist eine Tragödie für unsere Gemeinde“, sagte Bürgermeisterin Melissa Blake. Premierminister Justin Trudeau wandte sich in Ottawa an die Bewohner Fort McMurrays: „Ihr sollt wissen, dass unsere Regierung und alle Kanadier euch zur Seite stehen und euch jetzt und in der Zeit des Wiederaufbaus helfen werden.“ Queen Elizabeth II., Staatsoberhaupt des Commonwealth-Landes, schrieb, ihre „Gedanken und Gebete“ seien bei den Betroffenen, sie dankte den Feuerwehrleuten und Helfern. Die Bewohner klammern sich an die Hoffnung, dass die völlige Zerstörung ihrer Stadt doch nicht Realität wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2016)

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