Zugewanderte Kriminalität

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Die Öffnung der Schengen-Binnengrenze wird für einen Anstieg der Kriminalität verantwortlich gemacht. Marokkaner, Rumänen und Albaner sind die größten Migrantengruppen in Gefängnissen der EU-Staaten.

Brüssel. Die Öffnung der Schengen-Binnengrenze wird für einen Anstieg der Kriminalität verantwortlich gemacht. Die größte Gruppe an Zuwanderern, die in der EU kriminell geworden ist und deshalb eine Haftstrafe verbüßen musste, sind aber keine EU-Bürger, sondern Marokkaner. Sie hätten zumindest einmal bei ihrer Einreise in den Schengen-Raum kontrolliert werden müssen.

Laut einer Auswertung von The Black See, einer Gruppe von investigativen Journalisten aus Südosteuropa, saßen Ende Dezember 2015 insgesamt 11.706 marokkanische Staatsbürger in Gefängnissen der 25 untersuchten EU-Mitgliedstaaten (keine Daten waren zu Kroatien, Zypern und Malta verfügbar). Die zweitgrößte Gruppe waren Rumänien mit 11.511. Dahinter folgten 5722 albanische Staatsbürger. Die Zahlen sind zu einem Teil geschätzt, weil die Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Zählmethoden aufweisen. Sie enthalten beispielsweise auch keine Schubhäftlinge.

Die relativ hohe Zahl an Marokkanern dürfte mit dem Drogenhandel in Zusammenhang stehen. Im Fall der Rumänen sind es vor allem Kleindelikte wie Einbruch, Diebstahl, aber auch Aktivitäten von organisierten Banden wie Raub. Beachtenswert ist, dass der Anteil an rumänischen Staatsbürgern, die im eigenen Land kriminell wurden, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung deutlich geringer ist als jener im EU-Ausland. 0,39 Prozent der ausgewanderten und nur 0,13 der zu Hause gebliebenen Rumänien werden wegen krimineller Taten zu Haftstrafen verurteilt. Den größten Anteil an rumänischen Häftlingen verzeichnete Italien.

Die Autoren der Auswertung betonen, dass es dennoch falsch wäre, Vorurteile gegen rumänische Staatsbürger zu entwickeln. Insgesamt seien 2,9 Millionen Rumänien in eines der anderen EU-Mitgliedländer ausgewandert. Der Anteil jener, die in ihrem Gastland kriminell würden, sei minimal. Auf 256 rumänische Zuwanderer komme nur ein Häftling.

In Relation zur Gesamtbevölkerung landen Bürger aus Litauen (0,59%), Lettland (0,39%) und Rumänien (0,39%) am öftesten in Gefängnissen eines anderen EU-Landes. Relativ hoch ist die Rate auch bei Slowaken (0,38%) und Bulgaren (0,36%). Im Vergleich dazu wurden Österreicher (0,05%) und Deutsche (0,03%) deutlich weniger oft wegen eines Delikts in ihrem Gastland zu einer Haftstrafe verurteilt.

Armut führt zu Kriminalität

Die Analyse der Black-See-Journalisten sieht einen deutlichen Zusammenhang zwischen Armut und Kriminalität. Denn zugewanderte Bürger, die aus den ärmsten Ländern kommen, würden auch am öftesten im Ausland kriminell. Das könnte erklären, warum neben Marokkanern auch Albaner und Türken relativ oft während ihres Aufenthalts in der EU zu Haftstrafen verurteilt werden. Ein weiterer Grund dürfte sein, dass Zuwanderer aus ärmeren Verhältnissen auch für Delikte in Haft gehen, für die andere eine höhere Strafzahlung akzeptieren würden.

Black See untersuchte einzelne Fälle von litauischen und rumänischen Staatsbürgern, die im Ausland in Gefängnissen einsaßen. Viele waren ursprünglich in eines der EU-Partnerländer ausgewandert, um dort eine Arbeit aufzunehmen. Nachdem sie keinen Job fanden oder gekündigt wurden, versuchten sie sich durch Kleinkriminalität weiterhin den Lebensunterhalt zu finanzieren. In mehreren Fällen schlossen sie sich organisierten Banden an, die aus Zuwanderern ihres eigenen Landes bestanden.

Es gibt aber auch eine Gruppe von Kriminellen, die ihre Heimat nur deshalb verlassen hat, weil sie dort bereits polizeibekannt war. Diese Gruppe hofft auf eine neue Anonymität in einem anderen EU-Land und auf die Möglichkeit, dort beispielsweise als Drogenhändler aktiv werden zu können. (wb)

AUF EINEN BLICK

Gefängnisstatistik. Laut einer Auswertung von The Black See kam die größte Gruppe ausländischer Gefängnisinsassen in der EU Ende vergangenen Jahres aus Marokko. Die zweitgrößte Gruppe stellten Rumänen. Die Auswertung von Einzelfällen zeigt, dass viele erst im Gastland in die Kriminalität wechseln oder sich dort organisierten Banden anschließen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2016)

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