„Atelier Afrika“: Uganda - Mit Vollgas in die Unabhängigkeit

Uganda Vollgas Unabhaengigkeit
Uganda Vollgas Unabhaengigkeit(c) EPA (Kim Ludbrook)
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Das rasante Bevölkerungswachstum zwingt die Menschen in den Städten zur Eigeninitiative, wollen sie für sich und ihre Familien ein Auskommen finden. Ein Lokalaugenschein bei Kampalas Motorradtaxifahrern.

Kampala. Zwischen Autos, Marktständen und Passanten – dort befindet sich Charles' Arbeitsplatz. Jeden Tag steht der 25-jährige Ugander mitten im Zentrum der Hauptstadt Kampala und wartet auf Kundschaft. Charles betreibt eines von vielen „boda-bodas“, wie die Motorradtaxis genannt werden, die mit ihren bunten Sitzpolsterungen und meist ungeduldigen Fahrern das Stadtbild Kampalas prägen.

Durch den schnellen Transport von Fahrgästen im turbulenten Zentrum bietet Charles eine gefragte Dienstleistung an. Als „Ich-AG“ stellt er überdies ein gutes Beispiel für die rasante Entwicklung und Veränderung des Arbeitsmarktes im städtischen Uganda dar, denn er hat sich seinen Job selbst geschaffen.

„Es gibt einen ständigen Zuwachs an neuen, in erster Linie jungen Fahrern“, sagt Charles, der seit zwei Jahren im Boda-boda- Geschäft sein Geld verdient. Das schafft auch Probleme: Die riesige Anzahl an Motorradtaxis macht jeden noch so kleinen Weg zu einem Spießrutenlauf und führt zu einem starken Wettbewerb der Fahrer untereinander: „Es ist besonders wichtig, dass das eigene Motorrad leistungsfähiger ist als das der anderen“, meint Charles. Wer seine Maschine zuerst starten kann, erreicht auch schneller den Kunden, selbst wenn das in manchen Fällen zu einem Crash führt.

Ein Banker verdient weniger

Auch der ehemalige Bananenbauer Sentamu verdient sein Geld mit dem Motorradtaxi. Für eine Fahrt berechnet er seinen Kunden zwischen 1000 und 1500 ugandische Schilling, was etwa 50 Eurocent entspricht. Der 34-jährige Boda-boda-Fahrer arbeitet jeden Tag von sieben bis 22 Uhr und verdient in dieser Zeit umgerechnet knapp 13 Euro. Als Sentamu seinen Monatsverdienst mit dem eines ugandischen Bankers vergleicht, lächelt er, denn durch die zu leistenden Abgaben steigt der Banker mit seinen 295 Euro vergleichsweise schlecht aus.

Gerade in den vergangenen Jahrzehnten haben viele junge Menschen in den großen Städten Ugandas neue Formen der Überlebenssicherung für sich entdeckt: Sie machen sich selbstständig. Ihre Tätigkeiten sind also durch ungeregelte Arbeitsverhältnisse charakterisiert. Darunter fällt beispielsweise der Handel mit Nahrungsmitteln und Kleinwaren, kleinere Serviceleistungen wie Haareschneiden oder Autowaschen oder eben der Transport mit Autotaxis und Motorrädern.

Die Gründe für eine derartige Entwicklung des Arbeitsmarktes liegen nicht nur in dem raschen Bevölkerungswachstum des Landes, sondern auch in einer vermehrten Landflucht. Vor allem viele Menschen aus den nördlichen Regionen Ugandas machen sich auf in die Städte, auf der Suche nach bezahlter Arbeit – und nach Sicherheit vor den noch immer schwelenden Unruhen.

Sentamu war Landwirt. Doch das kostete ihn zu viel Zeit und Mühe und brachte nicht den erhofften Ertrag. Freunde erzählten ihm, dass man mit dem Motorrad gutes Geld machen könne. Zunächst konnte er sich das Motorrad nur leihen, doch als Boda-boda-Fahrer hatte er das Geld für eine eigene Maschine innerhalb von nur drei Monaten beisammen.

Kreativität ist gefragt

Der informelle Sektor boomt und trägt maßgeblich zur Schaffung von Arbeitsplätzen im städtischen Uganda bei. Viele Haushalte können ihre Einkommensverhältnisse durch kleine Aktivitäten stark verbessern. Insbesondere Frauen sind in den neuen Wirtschaftszweigen engagiert und tragen somit wesentlich zum Lebensunterhalt der Familie bei.

Durch das Fehlen arbeits- und sozialrechtlicher Bestimmungen ergibt sich auch eine gewisse Flexibilität in der Produktion, was die Herstellung lokaler Produkte, wie etwa Kunsthandwerk, erleichtert. Außerdem sind Innovation und Kreativität von Einzelpersonen gefragt – eine wichtige Basis für die Expansion des Handels.

Wer als Boda-boda-Fahrer sein Geld verdient, lebt freilich gefährlich: Es gebe viele verantwortungslose Fahrer, die ihre Kunden nur möglichst schnell an ihr Ziel bringen wollen und deshalb die Verkehrsregeln sowie Tempolimits missachteten, meint Sentamu. Außerdem sind die Straßen meist in schlechtem Zustand – und Schutzkleidung gibt es auch nicht. Die Regierung hat bereits im Mulago-Krankenhaus, dem größten Spital Kampalas, eine eigene Station für die Opfer von Boda-boda-Unfällen einrichten lassen. Die Fahrer sind nicht krankenversichert. Bis dato sind zwar weder Charles noch sein Kollege Sentamu in einen Unfall verwickelt gewesen, die Angst fährt jedoch immer mit.

Kleiner Grenzverkehr

Der Name boda-boda geht ursprünglich auf das englische Wort für Grenze („border“) zurück. In den 60er- und 70er-Jahren dienten die Motorrad- oder Fahrradtaxis nämlich vorwiegend dem Transport von Passagieren zwischen den Grenzposten von Kenia und Uganda. Um die Fahrer auf sich aufmerksam zu machen, riefen die Passagiere laut „border, border“, was später zu der geläufigen Bezeichnung boda-boda verkürzt wurde. Heute gelten die Motorräder vor allem als wichtiges Transportmittel in dem Verkehrschaos der großen Städte Ugandas.

Sentamu erzählt, dass er sich bereits ein Stück Land in einer kleinen Stadt gekauft hat. Sein großer Traum ist es nun, dort ein Haus zu bauen und weiterhin als Boda-boda-Fahrer in Kampala arbeiten zu können. Für ihn bedeutet diese Arbeit in erster Linie Unabhängigkeit, und es macht ihn stolz, dass er damit seine Familie ernähren kann.

Dieser Artikel ist Teil des Projekts „Atelier Afrika“. Dabei erstellen Studierende des Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien gemeinsam mit Studierenden in Afrika Texte.

Redaktion: Wieland Schneider und Helmar Dumbs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2010)

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