Bhutan: Im Königreich des Glücks

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Symbolbild(c) AP (Gurinder Osan)
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Das Himalaja-Königreich Bhutan hat die Steigerung des "Bruttonationalglücks" zur Staatsaufgabe erklärt. Eine Reportage über ein Land, das versucht, das Glück zu planen, und über das kleine Glück der Leute, die in ihm wohnen.

Knallrote Flecken auf dem lehmig-braunen Boden. Die Spuck-Spuren gleich vor dem Haus sind Zeichen dafür, dass hier Betelnuss gekaut wird, eine milde, leicht euphorisierende und stimulierende Droge. Fünf Dörfler – zwischen 60 und 70 Jahre alt – sitzen in abgetragenen Wolljacken auf der Bank vorm Haus, sie haben sonnengegerbte, freundliche Gesichter.
In ihrem Dorf wirkt alles ein wenig intensiver als im Rest der Welt, die Luft klarer, die Farben satter, das Licht strahlender, reiner, schöner. Wie im Höhenrausch. Ein schlichter und erhabener Ort, idyllisch und voller Harmonie: Kühe trotten durchs Dorf, Kinder spielen Schnurspringen. Kunterbunte Gebetsfahnen flattern auf herrschaftlichen Häusern aus Holz und Stein. Das ist Yangthan, im Bezirk Haa, dem glücklichsten Bezirk des Königreichs Bhutan.
Die 65-jährige Bäuerin Kaki stellt das Betelnusskauen ein und führt über steile Holzstiegen in ihr Haus. Es gibt kaum Mobiliar, dafür einen Altar für die Hausgötter. Auf dem Holzboden sitzt ein Mönch vor heiligen Texten, sein monotoner Gesang erfüllt den kahlen Raum. „Früher mussten wir in den Wald gehen, um Feuerholz zu sammeln. Heute haben wir Strom, haben Zugang zu Trinkwasser. Ich bete, dass die zwei Könige lange leben und wenn meine Familie und ich keine Krankheiten haben, macht mich das glücklich“, sagt Kaki.

Glück ist wichtiger als Wirtschaft
. Bhutan, ein kleines Königreich mitten im Himalaja, dem mächtigsten Gebirgszug der Erde, hat schon vor langer Zeit etwas für sich entdeckt, was in Europa derzeit heiß diskutiert wird: das Glück. Der vierte König des Landes, Jigme Singye Wangchuck, erklärte in den 1970er Jahren: „Bruttonationalglück ist wichtiger als Bruttoinlandsprodukt“ und gab somit den Anstoß für eine Wirtschaftspolitik, in der nicht Wachstum im Mittelpunkt steht, sondern das Glück der bhutanischen Bevölkerung.
„Seine Majestät, der vierte König, war vorausschauend. Als er das Bruttonationalglück verkündete, war es eine Warnung und ein Rat an unser Land, nicht blind dem westlichen Modell von Erfolg zu folgen“, sagt Karma Ura. Karma Ura ist der Mann, der für das Glück verantwortlich ist. Er leitet das Centre for Bhutan Studies, das die Idee Bruttonationalglück von einer intuitiven Idee in messbare Indikatoren übersetzte. In seinem Büro in Bhutans Hauptstadt Thimphu stapeln sich Bücher über das Glück. „Glück ist keine klare Sache“, sagt er. Wenn er von Glück spricht, spricht er von Religion, er spricht von Meditation, Selbstdisziplin und Moral. „Bruttonationalglück orientiert die Gesellschaft in Richtung tiefer Zufriedenheit“, erklärt Karma Ura, „aber jede Gesellschaft will sie anders erreichen. Manche orientieren sich an Wohlstand, andere an Gleichheit. Doch niemand hat eine Blaupause für sein individuelles Leben.“

Jedem sein Glück. Das Glück besteht aus neun Komponenten, zumindest, wenn es nach der bhutanischen Glückskommission geht: psychischem Wohlbefinden, Zeitbudget, Gemeinschaftsvitalität, Kultur, Gesundheit, Bildung, ökologischer Diversität, Lebensstandard und Effizienz der Regierung. In umfangreichen Umfragen in ganz Bhutan versuchen die Experten der Glückskommission, das Wohlbefinden der Bevölkerung anhand von insgesamt 72 Indikatoren zu messen. Haa, der Bezirk in dem die Bäuerin Kaki lebt, soll die besten Werte bei der letzten Umfrage gehabt haben.
Kaki treibt frühmorgens die Pferde auf die nahe gelegene Weide und geht dann von den hügeligen Weiden weiter zu ihrem Feld. Ihre Tochter hilft beim Unkrautjäten, ihr Enkelsohn klettert auf die am Feldrand abgelegten Weidenkörbe. Die Sonne strahlt, am Horizont ragen die mächtigen, schneebedeckten Gebirgsketten in den blitzblauen Himmel. Doch das Landleben in Bhutan ist nicht immer idyllisch, auch glückliche Menschen haben Sorgen.  Dass ihr Ehemann in der Hauptstadt Thimphu, fünf Autostunden entfernt, mit Schuhen, Decken und Thermoskannen aus China handelt und auch ihre Töchter dort leben, kompliziert das Familienleben.

Regeln in kleinen Portionen brechen. Manchmal hat es freilich den Anschein, als sollten die Menschen in Bhutan zu ihrem Glück gezwungen werden. Seit Anfang des Jahres wird ein „Tabakregulierungsgesetz“ strenger gehandhabt. Rauchen ist im Königreich Bhutan ohnehin massiv eingeschränkt. Wer nicht nachweisen kann, dass die hohen Importzölle und Steuern für Zigaretten entrichtet wurden, muss Strafe zahlen oder kommt ins Gefängnis. „Ich finde das nicht fair. Jemand kauft Tabak von seinem eigenen Geld, und bloß weil er keine Rechnung hat, geht er ins Gefängnis. Man schadet doch nur dem eigenen Körper“, sagt Sonam Choden Retty. Die 24-Jährige ist groß, perfekt geschminkt und trägt eine Kira, die bhutanische Nationaltracht für Frauen. Sonam ist amtierende Miss Bhutan und auf Facebook Mitglied der Gruppe „Verändert das Tabakregulierungsgesetz“, obwohl sie selbst nicht raucht.
Sonam steht mit ihrer Freundin Dechen am Rande des Hauptplatzes von Thimphu, der „Uhrturm-Platz“ genannt wird. Hier trifft sich die Jugend von Bhutan nach der Schule, um zu reden, Musik zu hören und abends, um zu trinken. Legal ist das nicht. „Wir sind sehr streng, was das Rauchen angeht, aber Trinken ist frei“, scherzt Dechen, die Leggins und ein hüftlanges Shirt trägt. Die beiden jungen Frauen haben große Verantwortung, auch wenn es ihnen nicht bewusst sein mag. Sie gehören zu jener Generation, die darüber entscheiden wird, wie sich Bhutan in Zukunft entwickelt. Sie versuchen den Spagat zwischen Tradition und Moderne, und es wird sich erst zeigen, wie diese Konzepte miteinander in Einklang zu bringen sind. Bhutans Jugend ist auf Facebook, studiert, wenn sich die Chance ergibt, an der ehrwürdigen Harvard-Universität in Boston, kopiert den Haarschnitt der Stars aus koreanischen Filmen. Doch sie trägt auch die bhutanische Nationaltracht, verehrt den König und respektiert die Eltern. „Wir brechen die Regeln in kleinen Portionen“, sagt Miss Bhutan, als sie die Straße fernab vom nächsten Zebrastreifen überquert.
Thimphu ist trotz relativen Reichtums und Moderne jener Ort, an dem die Leute am wenigsten glücklich sind. Den Entscheidungsträgern in Bhutan ist bewusst, dass Entwicklung nicht unbedingt Glück bedeutet. „Wir verlieren aus den Augen, was den Menschen auf der Suche nach Glück wirklich wichtig ist“, sagt Dasho Karma Tshiteem von der Bruttonationalglückskommission. Das Bruttonationalglück soll dafür sorgen, dass Bhutan nicht von den negativen Aspekten der Entwicklung überrollt wird: „In hundert Jahren mag sich unsere Kultur in Bezug auf Kleidung oder Architektur geändert haben. Aber ich hoffe, dass die bhutanischen Werte sich nicht verändern.“
Bhutan wird sich verändern, so viel steht fest. Doch wenn man Sonam Choden Retty danach fragt, was sie glücklich macht, antwortet sie: „Ich habe ein wunderbares Zuhause, Eltern, Brüder und Schwestern. Ich bin ein sehr zufriedener Mensch, das macht mich glücklich.“ Damit ist die Miss Bhutan gar nicht so verschieden von einer Bäuerin wie Kaki aus Haa.

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