Nach Vergewaltigung in U6: Wie sicher ist die U-Bahn?

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U-BahnClemens Fabry
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Der Verdächtige wurde gefasst. Die Überwachung wird ausgebaut, in Notfällen kommt es aber auf die anderen Fahrgäste an. Diese wolle man offensiver aufklären, wann der Notruf bzw. die Notbremse zu bedienen sind.

Wien. Immer noch scheint es unvorstellbar, dass eine Frau zur Hauptverkehrszeit in einem Wagon der U-Bahn-Linie U6 vergewaltigt wurde. Der 25-jährige Obdachlose, bei dem es sich laut Polizei „zu 100 Prozent“ um den Täter handelt, konnte in der Nacht auf Mittwoch in der Grazer Innenstadt verhaftet werden. Ein Mann hatte ihn aufgrund des Fahndungsfotos erkannt.

Am Mittwoch wurde der Verdächtige nach Wien überstellt, mittlerweile sitzt er in der Justizanstalt Wien-Josefstadt in U-Haft. Befragt wird der Mann am Freitag (> Mehr dazu).

1. Wie konnte eine Vergewaltigung in überwachten Zügen passieren?

Die Wiener Linien werden mithilfe von 1500 Kameras in den Stationen und 2500 in den U-Bahnen überwacht. Die Überwachung erfolgt nicht „live“, das heißt, dass die Mitarbeiter das Geschehen nicht in Echtzeit beobachten. Das sei bei 4000 Kameras nicht möglich, sagt die Sprecherin der Wiener Linien, Anna Maria Reich. Nur, wenn ein Fahrgast den Notruf betätigt, werde auf dem Aufnahmeband ein „digitales Merkzeichen“ gesetzt. Auch dann wird nicht „live“ geschaltet, sondern lediglich weiter aufgenommen. Im Falle eines Notrufes wird auch die Leitstelle in der Station alarmiert (diese ist immer besetzt), sowie auch der Fahrer – er muss gegebenenfalls eingreifen. Laut Reich sind die 500 U-Bahn-Fahrer für solche Situationen geschult.

Die Aufnahmen der Überwachungskamera werden von den Wiener Linien nach 48 Stunden aus Datenschutzgründen gelöscht. Wurde der Notruf also nicht bedient und ist etwas passiert, ist rasches Handeln gefragt, sagt Reich. Wie in diesem Fall: Dank der Videoaufzeichnung konnte die Identität des mutmaßlichen Täters rasch festgestellt werden.

2. Welche Konsequenzen ziehen die Wiener Linien?

Die Wiener Linien gaben am Mittwoch bekannt, die Videoüberwachung ausbauen zu wollen. Derzeit werden drei von vier U-Bahnen überwacht. Jene vier Züge, die pro Jahr neu erworben werden, sind ohnehin mit Kameras ausgestattet. Zudem wolle man die Fahrgäste offensiver darüber aufklären, in welchen Situationen der Notruf bzw. die Notbremse zu bedienen sind. Denn da die U-Bahnen und Stationen nicht „live“ überwacht werden, sind es die Fahrgäste, die Notfälle sehen und darauf reagieren müssen. Lieber einmal mehr bedienen, als gar nicht, meint Reich. Allerdings konnte jene junge Frau, die am Montag in der U6 vergewaltigt wurde, den Notruf nicht betätigen, weil sie der Täter schlug, dann würgte – und von Alterlaa bis zur Station Philadelphiabrücke keine weiteren Fahrgäste im Wagon waren. Grund dafür war der kurze Intervall zwischen den U6-Zügen: Die Garnitur kam gerade aus der nahe liegenden Remise und fuhr nur mit wenigen Minuten Abstand hinter einem weiteren Zug der U6, in den die meisten Fahrgäste gestiegen waren.

3. Wie wirkt sich dieser Fall auf das subjektive Sicherheitsgefühl aus?

Langfristig gar nicht, sagt Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer. Zwar werde eine Vergewaltigung – die erste, die jemals in Wiens öffentlichen Verkehrsmitteln bekannt geworden ist – zur Rushhour in einer U-Bahn „natürlich als bedrohlich wahrgenommen“, so Ehmayer. Das würde sich aber nach einiger Zeit legen, das subjektive Sicherheitsgefühl langfristig nicht sinken. Ähnlich sieht das Juliane Stark vom Institut für Verkehrswesen (Boku Wien). Stark betreut derzeit eine Studie über sexuelle Übergriffe in Verkehrsmitteln. Dabei habe sich gezeigt, dass Frauen, die in einem Verkehrsmittel sexuell belästigt werden, dieses zunächst meiden, nach einiger Zeit aber meist wieder nutzen. Nach einem „Presse“-Bericht über die Boku-Studie haben sich 40 weitere Opfer sexueller Belästigungen gemeldet. Die insgesamt 60 Frauen wurden eingehend interviewt, einige haben bis zu fünf Übergriffe erlebt. „Das reicht von einer Anmache auf dem Bahnsteig bis zu tätlichen Übergriffen.“ Die Studienergebnisse werden vermutlich im Februar publiziert.

4. Wie geht es der Frau? Welche Hilfe gibt es für Opfer?

Die 23-Jährige wurde aus dem Spital entlassen und wird weiter psychologisch betreut. Psychologische Hilfe wird allen Vergewaltigungsopfern angeboten, die sich bei der Polizei melden. Die Einvernahme wird von eigens geschulten Beamtinnen durchgeführt, das Opfer kann eine Vertrauensperson mitbringen. Die Polizei stellt auch Kontakt zu psychosozialen Diensten her. Betroffene können sich auch an die bundesweite Notrufnummer (0800 112 112) wenden, an den Wiener Verein Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen (01/523 22 22) oder den Frauennotruf (01/71 71 9). Die Wiener Frauenhäuser bieten zudem auch räumlichen Schutz (05 77 22).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2012)

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