Ein Geisterschiff wird kommen...

Lilpop, Rau & Loewenstein
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Ein ausgemustertes Kreuzfahrtschiff, das einst die Polarregionen befahren hat, treibt führerlos Richtung Europa und bedroht Schifffahrt und Umwelt. Unklar ist, wie viel Diesel und giftige Substanzen an Bord sind.

Geisterschiffe gibt es wirklich: Im Nordatlantik treibt derzeit die Lyubov Orlova, ein menschenleeres ausgemustertes Kreuzfahrtschiff, von Kanada gen Osten. Zuletzt war es ca. 550 Kilometer östlich von St.John's in Neufundland (Karte).

Die Lyubov Orlova lag im Hafen von St.John's, von wo aus sie im Jänner zum Abwracken in die Dominikanische Republik hätte geschleppt werden sollen. Unterwegs riss sie sich los und trieb ab; seither scheint sie keinen mehr zu interessieren, sie wird Schifffahrtsrouten kreuzen und könnte an Europas Küsten stranden. Zumindest schickt ein Sender Signale aus, um andere Schiffe zu warnen, auch ist das rund 100 Meter lange und maximal 16 Meter breite Schiff (Volumen 4200 Bruttoregistertonnen), das Platz für 110 Passagiere und 70 Crewmitglieder bot, auf dem Radar zu erkennen.

Die Gefahr für Schifffahrt und Umwelt ist aber schwer abzuschätzen. „Ohne Zweifel stellt die Lyubov Orlova eine Gefahr für die Navigation dar“, sagt Owen Myers, Anwalt für Schifffahrtsrecht in St. John's. Jeder Seemann im Nordatlantik sei nun in Alarmbereitschaft. Eine Kollision etwa mit einem Containerschiff, das mit 30 Knoten fahre, könne üble Folgen haben. „Solange das Schiff auf dem Wasser treibt, kann man es im Radar sehen. Ich fürchte aber, dass es nicht mehr zu sehen ist, wenn es teilweise absinkt“, meint Mac Mackay, ein Schifffahrtsblogger in Halifax. Unklar ist, wie viel Diesel und giftige Substanzen an Bord sind. Whit Sheard von der Umweltorganisation „Oceana“ meint, das Schiff enthalte Chemikalien wie Blei, Quecksilber und Asbest.

Der Diesel aber wurde wohl großteils von der hauptsächlich russischen Crew zum Heizen und Stromerzeugen verbraucht, als sie über Monate in St.John's festsaß: September 2010 war das Schiff nämlich mit rund 50 Mann an Bord konfisziert worden, weil das kanadische Arktisreise-Unternehmen „Cruise North“ als Charterer eine Viertelmillion Dollar vom russischen Eigentümer „Lyubov Orlova Shipping Company“ forderte.

(C) DiePresse

Die Crew schmorte im Hafen

Das Schiff war nämlich aufgrund technischer Mängel nicht benutzbar, Kreuzfahrten mussten abgesagt werden. Dummerweise waren die Russen insolvent, die Crew erhielt keinen Lohn und wurde von der Bevölkerung von St. John's versorgt, bis sie nach drei Monaten nach Russland geflogen wurde.

1976 wurde das Schiff in Kraljevica (Jugoslawien, heute Kroatien) für das Sowjetunternehmen „Far East Shipping Company“ in Wladiwostok gebaut und nach der Schauspielerin Lyubov Petrovna Orlova (1902–1975) benannt. Ab den 1990ern wurde es an westliche Firmen verchartert und brachte Touristen in Arktis und Antarktis. Dort lief sie November 2006 auf Grund und wurde von einem spanischen Eisbrecher wieder flottgemacht.

Ab 2010 verrottete es im Hafen. „Ein Schandfleck“, schimpfte man in St.John's. Dann kaufte Anfang 2012 der Iraner Hussein Humayuni, der kanadischen Medien zufolge in Toronto lebt, dessen Firma „Neptune International Shipping“ aber auf den britischen Virgin Islands gemeldet ist, die Rostlaube um 275.000 Dollar, um sie in der Dominikanischen Republik zu verschrotten. Je nach den Metallpreisen habe er, heißt es, mit einem Weiterverkaufswert von 700.000 bis 800.000 Dollar gerechnet.

Am 23. Jänner zog ein zu schwacher Schleppkahn aus den USA die Lyubov Orlova im Auftrag ihres neuen Herren aus dem Hafen – ungeachtet des besonders schlechten Wetters mit schweren Stürmen. Das Tau riss, und weil das Schiff auf Ölplattformen zulief, wurde es von Schleppern einer Ölfirma und dann des Verkehrsministeriums um sie herumgeführt.

„Sind nicht mehr zuständig“

Als es aber internationale Gewässer jenseits der 200-Seemeilen-Zone erreichte, wurde es am 4. Februar sich selbst überlassen: „In Absprache mit den Partnern“ sei das geschehen, erklärte das Ministerium, schließlich treibe es von Kanada weg, man sei nicht mehr zuständig. Das Wetter mache Schleppversuche zu gefährlich. Im Übrigen liege die Causa nun beim Eigentümer, der bisher aber schweigt: Ein Schleppschiff zu heuern, ist sehr teuer.

Juristisch gesehen scheint Kanada im Recht, aber Beobachter meinen, dass es seine Verantwortung für die Sicherheit der Schifffahrt vernachlässige. Und falls sie nicht untergeht oder abgeschleppt wird, dürfte die Lyubov Orlova irgendwann in Europa stranden, vermutlich vor Irland, Großbritannien oder Norwegen.

Die US-Küstenwache hat im April 2012 demonstriert, wie man mit einem Geisterschiff verfährt: Da trieb die „Ryō Un Maru“, ein herrenloser Fischkutter, der bei der Tsunamikatastrophe vom März 2011 vom Schrottplatz in Japan ins Meer gespült worden war, auf Alaska zu. Ein Schiff der Küstenwache beschoss sie rund 300 Kilometer vom Festland entfernt mit Kanonen, worauf sie unterging.

Lexikon

Geisterschiffe wie die Lyubov Orlova (letzte Position s. Karte) gibt es auch abseits des Seemannsgarns: Speziell zu Zeiten der Segler kam es bei den langen Reisezeiten vor, dass Seuchen die Crew töteten, oft steckten Verbrechen oder Unfälle dahinter, bei denen die Crew floh. 1912 zählte man 200 Geisterschiffe. 2006 wurde vor Sardinien ein Segelschiff treibend gefunden, die Crew ist bis heute verschwunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2013)

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