Wiener Wohnen auf Türkisch

Hatice und Cahit Cakir
Hatice und Cahit CakirDie Presse
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Migrantenghettos gibt es in Wien nicht, aber türkischstämmige Wiener wohnen anders: Konzentriert auf einzelne Viertel, auf weniger Platz und öfter im Gemeindebau.

Ein bisschen zu hoch gegriffen kommt einem die Zahl schon vor. Aber weit daneben dürfte er mit seiner Schätzung, wonach 70 Prozent der Bewohner hier Türken sind, nicht liegen. „So ist das in vielen Gemeindebauten“, sagt Cahit Cakir. „Aber überzeugen Sie sich selbst. Haben Sie das Gefühl, dass Sie sich hier auf österreichischem Boden befinden?“ Die Rede ist vom Hueber-Hof in der Quellenstraße 24b in Favoriten, von den Bewohnern nur „B-Bau“ genannt.

Hier wohnen der 68-jährige Cahit und seine Frau Hatice, 66, seit 14 Jahren. In einer 44-Quadratmeter-Wohnung, für 220 Euro Miete im Monat. „Wir hätten gern etwas Größeres, aber bei zwei Personen stehen einem nur zwei Zimmer zu, unsere beiden Kinder sind lange ausgezogen“, beklagt Hatice. Sich eine Wohnung privat zu mieten, kommt nicht in Frage. „Wer soll das bezahlen? Wir sind beide in Pension“, so Cahit, der 1969 aus der westtürkischen Stadt Denizli als Gastarbeiter nach Österreich kam. Sieben Jahre später folgte seine Frau. Er arbeitete auf dem Bau und als Taxifahrer, sie in einer Reinigungsfirma.


Keine Ghettos, aber Viertel.
Cahit und Hatice Cakir sind so etwas wie typisch für Wiener Wohnen auf Türkisch. Zumindest in ihrer Generation. Jüngere Wiener türkischer Herkunft leben tendenziell in größeren Familien zusammen. Aber die Gegend, die Größe, der Gemeindebau, da sind die beiden quasi Vorzeigeprotagonisten der Statistik.

Türken und Österreicher mit türkischen Wurzeln konzentrieren sich in Wien auf gürtelnahe Bereiche des 15., 16., 17. Bezirks, auf Teile des 2., 5., 10., 11. und 20. Bezirks. Die historischen Zuwanderergebiete: Bereits Jahrzehnte bevor der erste türkische Gastarbeiter nach Wien reiste, waren diese Viertel von Zuwanderern geprägt. Die damaligen Arbeiterviertel an den Rändern der Stadt wurden schon um 1900 zum Quartier von Migranten, die sich nur billigste Wohnungen leisten konnten. Und weil sich dort schon eine eigene vorstädtische, migrantisch geprägte Kultur entwickelt hatte, fiel es türkischen Zuwanderern später leichter, dort anzuknüpfen, wie der Wiener Stadthistoriker Peter Payer schreibt. Schließlich stammten die Gastarbeiter meist aus ländlichen, weniger entwickelten Gegenden. Und in den Wiener Vorstädten herrschte damals von ländlichen Traditionen geprägter Alltag vor.

Anders als in deutschen Großstädten kam es aber in Wien zu keiner Ghettobildung, so Payer – jedoch zu einer Konzentration auf Häuser und Blocks. Auf sanierungsbedürftige Bauten mit kleinsten Wohnungen, oft ohne Wasseranschluss oder WC. Während Gastarbeitern, die in den 1960er- und 1970er-Jahren angeworben wurden, von ihren Arbeitgebern eine Unterkunft gestellt werden musste, hatten jene Türken, die allein kamen, um erst hier Arbeit zu suchen, Schwierigkeiten, eine Bleibe zu finden: „Keine Ausländer“, stand in den 1980er-Jahren noch in Inseraten, auch Mietverträge gab es oft keine. Für viele Gastarbeiter hieß das: überteuerte, heruntergekommene Wohnungen, als Schlaflager monatsweise an mehrere Arbeiter vermietet. Oder sie mussten in Abbruchhäusern übernachten.

An der Tendenz, dass türkischstämmige Wiener unter schlechteren Bedingungen leben als der Durchschnitt, hat sich in den vergangenen 50 Jahren wenig geändert: Nach wie vor haben türkische Migranten weniger Raum in schlechter ausgestatteten Wohnungen und in weniger attraktiven Gegenden. Lag die durchschnittliche Wohnfläche in Österreich 2012 bei 44 Quadratmetern pro Person, hatten türkischstämmige Bewohner mit 21 Quadratmetern deutlich weniger Platz pro Person zur Verfügung. Mehr als 80 Prozent der Haushalte mit türkischem Haushaltsvorstand leben zur Miete, während österreichische Familien zu 55 Prozent ihr eigenes Heim haben. Auch müssen türkische Familien einen deutlich höheren Anteil ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben. Das geht aus Daten der Statistik Austria hervor.

Und nach wie vor leben mit gut sieben Prozent mehr Türken in Kategorie-D-Wohnungen (ohne WC in der Wohnung) als der Durchschnitt – da sind es nur 1,4 Prozent. Türken waren lange auf Substandard-Altbau angewiesen, günstige Gemeindewohnungen blieben ihnen lange verwehrt.


Kaum Kontakt im Gemeindebau. Auch Cahit wohnte mit seiner Familie 26 Jahre in einer heruntergekommenen Kleinwohnung mit WC am Gang, bevor sie in den Hueber-Hof zogen. „Da sind wir mit dieser Wohnung viel glücklicher, haben sie umgebaut und eingerichtet. Allein die Küche um 5000 Euro“, sagt Cahit. Nicht so glücklich ist das Paar mit dem Gesellschaftsleben im Bau. „Sowohl Türken als auch Österreicher bleiben unter sich und gehen nicht aufeinander zu“, erzählt Hatice.

Seit Gemeindebauten 2006 für ausländische Staatsbürger geöffnet wurden, zogen Migranten ein. Mittlerweile leben mehr als ein Drittel der Wiener Türken in einem Gemeindebau. Bei eingebürgerten Türken sind es fast drei Fünftel. „Auch ich habe hier nur türkische Bekannte“, sagt Hatice. Im Gegensatz zu Cahit, der betont, in der Wohnanlage keine Freundschaften zu pflegen. „Worüber sollte ich mit den Leuten reden? Das Bildungsniveau ist nicht besonders hoch“, meint er. „Ich hingegen lese Dostojewski und beschäftige mich mit Philosophie. Ich male lieber Bilder oder gehe schwimmen, bevor ich Kontakte zu Nachbarn knüpfe.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2014)

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