Nach Anti-Identitären-Demo: Nummerntafel für Polizisten?

Randalierende ''linke Chaoten''? Überbordende Polizeigewalt? Der Schlagabtausch vom Samstag geht nun per Medien weiter.
Randalierende ''linke Chaoten''? Überbordende Polizeigewalt? Der Schlagabtausch vom Samstag geht nun per Medien weiter. APA/HERBERT PFARRHOFER
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Soll man Parallel-Protest vermeiden? Was wurde aus dem Gerücht über eine Fehlgeburt? Fünf Fragen, die sich nach einer (schon wieder) eskalierten Demo in Wien stellen.

1. Wie konnte es am Samstag zu einer derartigen Eskalation kommen?

Die Eskalation dürfte teils von Aktivisten beabsichtigt gewesen sein. Dafür spricht der äußerst raue Ton der Demonstranten in Richtung Exekutive, auch für Revanche für die Zusammenstöße im Jänner. Auch bei den „Identitären" war schon zu Beginn des Aufmarsches von Zusammenstößen, die es geben werde, die Rede. Die Polizei ist wohl ebenfalls davon ausgegangen: Sie war gegenüber den Demonstranten in Überzahl im Einsatz. Von bis zu 800 Beamten ist die Rede. Demonstriert haben etwa 100 „Identitäre", am Protest der „Offensive gegen Rechts" waren rund 400 Menschen beteiligt.

2. Warum wurde die (beinahe) Parallel-Demos nicht verhindert?

Warum lässt man linke und rechte Demonstranten zeitnah (die „linke" Demo war für 11 Uhr angekündigt, der Zug marschierte nicht los, um die Identitären-Demo um 13 Uhr zu blockieren) am selben Ort demonstrieren? Weil es sich kaum verhindern lässt. Früher war es Usus, Gegendemos am selben Ort zu untersagen, sagt Verfassungsjurist Theo Öhlinger. Seit einem EuGH-Urteil ist klar, dass auch Gegner einer Kundgebung das Recht haben müssen, sich sichtbar zu versammeln. Untersagen könnte man das nur, wenn Gewalt absehbar ist und das sei äußerst schwierig. Einen Protest auflösen darf die Polizei nur, wenn den angekündigten Zeitrahmen nicht eingehalten oder dadurch eine andere Kundgebung verhindert wird.

3. Was ist an der Geschichte von der Fehlgeburt nach Polizeigewalt dran?

Berichte von Polizeigewalt sorgten für Entsetzen: Unter anderem sei eine friedliche Demonstrantin von Polizisten mit dem Kopf gegen eine Mauer geschlagen worden, vier Beamte seien dann auf ihr gesessen, zwei hätten auf sie eingetreten. Im Spital habe sie später ihr ungeborenes Kind verloren. Das stimmt so aber nicht. Jüngsten Informationen nach war die Frau nicht schwanger, das geht aus dem ärztlichen Befund hervor, der auf Auftrag der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt wurde. Dafür sprechen auch Infos aus dem KAV: Die Frau sei ambulant behandelt worden. Hätte eine „deutlich sichtbar Schwangere" (Zeugenberichte) ihr Kind verloren, wäre längere Behandlung notwendig. Auch wurde keine Anzeige erstattet - wozu Ärzte verpflichtet wären, gebe es Hinweise auf eine Abortus durch Fremdeinwirkung.

4. Wie wird der Einsatz analysiert und was sind die Folgen für die Polizei?

Derzeit werden Protokolle, Bilder und Videos (die ein eigenes Teams der Polizei angefertigt hat) analysiert. Angesichts der widersprüchlichen Berichte dauere die Evaluierung ein paar Tage, sagt Karl Mahrer, Vizepräsident der Wiener Polizei. Die Grünen fordern eine Untersuchung durch eine externe, unabhängige Kommission. Ebenso wie einen Runden Tisch mit Vertretern der Polizei, Stadt Wien und Demonstranten. Eine weitere Forderung, ebenfalls der Grünen, ist, dass Beamte bei ihre Dienstnummern an den Uniformen tragen müssen. Demonstranten berichten schließlich, Beamte hätten am Samstag verweigert, ihre Dienstnummern zu nennen. Wozu Polizisten allerdings zu jedem Zeitpunkt verpflichtet sind. Auch in Frankreich oder in den USA ist es längst Standard, dass Polizisten per Nummer identifizierbar sind. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) lehnt „Nummerntaferl" für Beamte am Montag ab. Das würde zum „vernadern einzelner" führen. Allerdings kann sie sich „individueller Videotechnologie" im Einsatz vorstellen (das wird im Ministerium schon länger rechtlich geprüft).

Solche Kameras an der Ausrüstung sind etwa in Großbritannien schon Standard. Verfassungsjurist Öhlinger sagt, er sehe keine rechtlichen Probleme, sofern eine gesetzliche Grundlage geschaffen wird.

5. Was wirft man den Demonstranten nun vor? Wie groß ist der Schaden?

38 Menschen wurden am Samstag verhaftet. Ein Mann wurde über Nacht festgehalten, weil er sich nicht identifizieren ließ. Mittlerweile sind alle wieder auf freiem Fuß. In Summe gab es mehr als hundert Anzeigen wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung, Widerstandes gegen die Staatsgewalt und wegen Stören/Verhinderns einer Versammlung. Wegen Landfriedensbruchs wurde diesmal niemand angezeigt. Jener Deutsche, der u.a. wegen Landfriedensbruch bei den Anti-Akademikerball-Demos im Jänner angezeigt wurde, sitzt übrigens nach wie vor in Haft und wartet auf seine Verhandlung.

Wie groß der Sachschaden durch die Ausschreitungen an diesem Wochenende ist, lässt sich noch nicht sagen, jedenfalls wurden drei Funkwagen beschädigt, der Sachschaden in einer Douglas-Filiale beträgt ein paar hundert Euro. Wie teuer der Polizeieinsatz war wird erst berechnet.

Die Identitäre Bewegung (ID) und ihre Gegner

Die "Identitäre Bewegung (ID)" ist eine junge politische Bewegung. Ihre Leitideologie ist der Ethnopluralismus, demnach der Einfluss fremder Kulturen von der eigenen fernzuhalten ist, um die angestammte Identität (daher auch der Name) zu bewahren. In der Praxis bedeutet das, dass die Identitären gegen „Massenzuwanderung“ und „Islamisierung“ auftreten. Ihre Protagonisten sind junge Männer und Frauen, die ihre Worte vorsichtig wählen. Ihr Logo ist der griechische Buchstabe Lambda, ihre Farben sind Schwarz und Gelb.

In Wien und Graz hat die Bewegung jeweils 30 zahlende Mitglieder, in Salzburg 15. Die Zahl der Sympathisanten im Land dürfte bei mindestens 1000 liegen. Die Demo am Samstag in Wien war der erste offizielle Aufmarsch der Bewegung. Aufgefallen sind die Identitären aber schon vorher, etwa mit einer Aktion in der von Asylwerbern besetzten Votivkirche (2013), sowie durch die Störung einer multikulturellen Tanzveranstaltung der Caritas (2012).

Im Internet tobt seit Wochen ein Kampf um die Deutungshoheit darüber, wie weit rechts die Identitären nun wirklich stehen. Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, der grüne Nationalratsabgeordnete Albert Steinhauser und auch die"Offensive gegen Rechts", die sich für die Kundgebung gegen den Akademikerball gegründet hatte und dabei in den Dunstkreis gewalttätiger Demonstranten geraten ist, sind sich sicher: Die Ideologie der Identitären ist Rechtsextremismus im neuen Gewand. Die Offensive gegen Rechts hatte am Samstag zur Gegendemo aufgerufen.

Alexander Markovics, Obmann der Identitären Bewegung in Österreich und Mitglied der schlagenden Studentenverbindung Olympia, sieht das ganz anders. „Antisemitismus, Faschismus und Nationalsozialismus lehnen wir ab. Von den Machern des Weblogs ,Freies Österreich‘ distanzieren wir uns.“ Markovics beschreibt die Identitären als „patriotische und zivilgesellschaftliche Organisation zum Erhalt der eigenen kulturellen Identität“.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20. Mai 2014)

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