Bauboom in Wien: Regiert der Investor oder die Stadt?

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Immer mehr Bürger protestieren gegen Bauprojekte. Auch Architekten üben massive Kritik.

Wien. Seit Monaten beginnt praktisch jede Tagung, jeder Vortrag und jede Diskussion zum Thema Wohnbau und Stadtplanung mit den Worten: „Wien wächst – und daher muss gebaut werden“. Doch mit derselben Intensität, mit der Stadtplaner, Bauträger und Investoren die Bautätigkeit vorantreiben, wächst auch die Kritik. Immer mehr Bürgerinitiativen formieren sich, und mittlerweile schießen sich auch renommierte Experten auf den aktuellen Trend, Bauprojekte durchzupeitschen, ein.

„Dass Wien wächst und hier gebaut werden muss, kann keine Entschuldigung für so manche Vorkommnisse sein“, sagt Architekt Christoph Mayrhofer zur „Presse“. Er meint damit, dass die Stadtplanung eigene Leitlinien nicht einhalte, bei Hochhausbauten keine Freiräume zulasse und – einer der gewichtigsten Vorwürfe – dass Stadtbau von Investoren getrieben sei. „Ich sage damit nicht, dass Investoren in Wien alles machen können. Aber in einigen Fällen ist das so.“

Schon vor einigen Wochen hat Mayrhofer in einem „Standard“-Kommentar harsche Kritik geübt; er sprach dabei von einer fehlenden verbindlichen Stadtplanung und von „gebauter Finanzspekulation“. Die Reaktion auf die doch harten Vorwürfe war mäßig. Christoph Chorherr, mächtiger Planungssprecher der Grünen, sprach flapsig davon, dass es sich dabei um die Profilierung eines Kammerfunktionärs (der Architekt ist Sektionsvorsitzender der Kammer der Architekten für Niederösterreich und Wien) handle. Mayrhofer: „Nein, das ärgert mich nicht. Aber interessant ist, dass er auf die Vorwürfe gar nicht eingeht, sondern allgemein mit der Notwendigkeit sozialen Bauens argumentiert.“

Wohnturm beim Eislaufverein

Im Fokus der Expertenkritik steht derzeit der geplante Umbau des Eislaufverein-Areals mit dem Bau eines 73-Meter-Wohnturms neben dem Hotel Intercontinental. Erst im Frühjahr haben die wichtigsten Architektur-Interessenvertreter in einem offenen Brief gegen das Projekt protestiert. Es war schon der zweite Brief – bewirkt haben die Aufrufe bisher wenig.

Doch das Areal liegt am Rande des Unesco-Weltkulturerbes Innere Stadt. Und die Kulturorganisation hat schon im vorigen Jahr deutlich gemacht, dass der Turm niedriger werden müsse, ansonst könne das Kulturerbe aberkannt werden. Großinvestor und Intercont-Besitzer Michael Tojner, der den Heumarkt-Umbau forciert, meinte im „Wirtschaftsblatt“ zu den Forderungen: „Die Unesco wird sich aufregen, ja. Aber die Stadt Wien hat das Commitment gegeben, das umzusetzen.“ Das kann sich Unesco-Österreich-Chefin Gabriele Eschig so nicht vorstellen: „Es besteht die Aufforderung, nicht höher als der bisherige Bestand(Intercont, 45 Meter, Anm.) zu bauen – und das bleibt so.“

Streit mit der Unesco?

Im Rathaus heißt es dazu, dass man mit der Unesco durchaus in Kontakt sei, es gebe aber noch kein finales Ja oder Nein. Derzeit sei alles im Fluss. Und es handle sich im Übrigen um eine Unesco-Empfehlung, also keine dringende Aufforderung. Bis Juni nächsten Jahres sollte jedenfalls eine Einigung da sein, denn da tagt das Welterbekomitee der Unesco in Deutschland – und da wird das Kulturerbe Wien sicher auf der Tagesordnung stehen.

Die aktuellen Vorgänge in der Baubranche lassen aber auch viele Bürger nicht kalt. Für den heutigen Donnerstagabend ist daher in Wien eine ungewöhnliche Protestaktion angesagt. 37 Bürgerinitiativen haben sich zusammengeschlossen, um „gegen die fortschreitende Zerstörung von Kultur“ zu demonstrieren. Immer mehr historische und geschützte Häuser würden abgerissen, ohne dass die Stadt etwas dagegen unternehme, so der Vorwurf. „Es sind lukrative Objekte, und meist stecken Investoren dahinter, die dann Bauten hinstellen, für die sie viel Geld verlangen können“, sagt Gerhard Hadinger, einer der Demo-Organisatoren.

Neben dem Eislaufverein-Areal – wo übrigens die Protestaktion beginnt – stehen auch viele andere Projekte auf der Agenda der Demonstranten. Etwa die Verbauung der Steinhofgründe, die Pläne für Augarten, Arsenal, Semmelweis-Areal oder die Spekulationen in den Heurigenorten Neustift, Grinzing und Nussdorf.

Doch historische Bauten sind nur einige von vielen Projekten, bei denen die Bürger die Vorgangsweise bei Umwidmungen und Planungen nicht nachvollziehen können. Da gibt es beispielsweise die Danube Flats, wo ein Investor mithilfe der Stadt ein Hochhaus bei der Reichsbrücke bauen kann – gegen den Willen der Anrainer. Südlich von Alt Erlaa entsteht ein riesiges Stadtentwicklungsgebiet. Auch dort gibt es Kritik: Denn während die Stadt die Bürger einlädt, über die Zukunft des Areals mitzubestimmen, stehen einige Teile davon bereits vor Baubeginn – dort hat der Bauträger schon seine gewünschte Widmung erhalten.

AUF EINEN BLICK

Stadtplanung. Die Bevölkerung von Wien wächst, daher müssen auch mehr Wohnungen gebaut werden. Das steht fest. Doch die Vorgangsweise dabei stößt manchen Bürgern sauer auf: Denn Widmungen werden oft im Sinne der Investoren erteilt. Das betrifft nicht nur Neubauten, sondern auch zahlreiche historische Gebäude.

Protestaktion. 37 Bürgerinitiativen wollen heute, Donnerstag, darauf hinweisen, dass immer öfter schutzwürdige Gebäude abgerissen und lukrative Wohnungen errichtet werden. Eines der Projekte, das im Visier der Demonstranten steht, ist die geplante Verbauung des Eislaufverein-Geländes. Der dort vorgesehene Wohnturm sei zu hoch. Die Demo startet um 18 Uhr beim Eislaufverein und führt zum Rathaus.

Web:www.kulturerbewien.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2014)

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