Ex-Diplomat Alijew tot: Anwälte bezweifeln Suizid

Alijew auf einem undatierten Archivbild.
Alijew auf einem undatierten Archivbild.APA/HBF/DRAGAN TATIC
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Der Ex-Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten dürfte sich in seiner Zelle erhängt haben. Alijew saß in Wien-Josefstadt in U-Haft, weil er in seiner Heimat zwei Banker getötet haben soll. Nur Stunden nach seinem Tod hätte er gegen mutmaßliche Erpresser aussagen sollen.

Der wegen Doppelmordes angeklagte kasachische Ex-Botschafter Rachat Alijew ist tot. Der Insasse der Justizanstalt Josefstadt wurde am Dienstag um 7.20 Uhr gefunden. Alijew habe sich im Nassbereich seiner Zelle erhängt, teilte Peter Prechtl, Leiter der Vollzugsdirektion, mit. Nur wenige Stunden später hätte Alijew als Zeuge in einem Prozess im Straflandesgericht aussagen sollen. Alijews Rechtsvertreter bezweifeln, dass es Suizid war.

Alijew war auf eigenen Wunsch in einer Einzelzelle der Sonderkrankenanstalt in der Justizanstalt Josefstadt. "Er galt nicht als suizidgefährdet", sagt Prechtl. Im internen System lief Alijew unter "Grün", was bedeutet, dass er ohne Bedenken alleine in einer Zelle liegen durfte. Die Beurteilung erfolgt nach dem "Viennese Instrument for Suicidality in Correctional Institutions (VISCI)": "Rot" bedeutet hohe Gefährdung, "gelb" heißt unsicher, "grün" bedeutet: nichts zu erkennen (siehe Infobox unten). Die Zelle Alijews wurde dennoch regelmäßig kontrolliert, allerdings ist die Nasszelle samt WC und Dusche dabei nicht einsehbar. In dieser soll sich der frühere Botschafter mit Mullbinden an einem Kleiderhaken erhängt haben.

Alijew hätte vor Gericht aussagen sollen

Dem früheren Botschafter Kasachstans in Wien wurde vorgeworfen, im Februar 2007 in Kasachstan die beiden Banker Zholdas Timralijew und Aybar Khasenov getötet zu haben. Er soll dabei zwei Mittäter gehabt haben. Das Trio bestritt dies stets, Alijew sprach von einer Intrige (mehr dazu in "Alijews erbitterte Fehde mit dem Ex-Schwiegervater"). Österreich ist zur Übernahme der Strafverfolgung verpflichtet, da es die Auslieferung der Verdächtigen nach Kasachstan verweigert. Der spektakuläre Prozess hätte wohl in der ersten Jahreshälfte 2015 in Wien beginnen sollen.

Zuletzt gab es Berichte, dass Alijew in der Haftanstalt bedroht und erpresst worden sein soll. Am Dienstag - also nur wenige Stunden nach seinem Tod - hätte Alijew in einem Prozess um diese angebliche Erpressung gegen zwei Mithäftlinge aussagen sollen. Laut Anklage hätten die beiden Alijew erklärt, dass er 3000 Euro bezahlen müsse, wenn er in Haft überleben wolle. Ansonsten könne ihn jemand während des Waschens im Duschraum umbringen und dies wie einen Selbstmord aussehen lassen, steht in der Anklageschrift gegen die Mithäftlinge. Alijew soll in weiterer Folge über seinen Anwalt tatsächlich 1000 Euro bezahlt haben, indem er eine entsprechende Überweisung auf das Konto eines der Mitgefangenen veranlasste.

Die angeblichen Schutzgeld-Erpresser weisen die Vorwürfe entschieden zurück. Der Prozess ist am Dienstagvormittag regulär aufgenommen worden. "Der Russe" habe ihm helfen wollen und ihm "aus freien Stücken" Geld gegeben, betonte der Ältere, ein 41-Jähriger, der wegen versuchten Mordes bereits 15 Jahre im Gefängnis gesessen hat. Aufgrund von Sprachbarrieren wäre eine Drohung gar nicht möglich gewesen, sagte er vor Gericht. Auch der 20-jährige mutmaßliche Mittäter bestritt die angebliche Erpressung erneut.

Verteidiger: "Erhebliche Zweifel" an Suizid

Für seine Verteidiger Manfred und Klaus Ainedter ist es schwer vorstellbar, dass Alijew freiwillig aus dem Leben geschieden ist: "Ich habe daran erhebliche Zweifel, ohne jemanden beschuldigen zu wollen. Ich habe ihn gestern noch besucht. Es konnte überhaupt keine Rede von Suizidgefahr sein", sagte Klaus Ainedter, der gemeinsam mit seinem Vater Manfred seit mehreren Jahren Alijew strafrechtlich vertreten hat, in einer ersten Reaktion gegenüber der Austria Presseagentur. Jetzt gelte es die Ermittlungen abzuwarten: "Wir vertrauen darauf, dass der Tod genauestens untersucht und die Todesursache eindeutig festgestellt wird."

Auch der Jurist Stefan Prochaska, er war ebenfalls als Anwalt für Alijew tätig, glaubt an Mord. "Die Vermutung ist, dass ihn jemand umgebracht hat", sagte Prochaska am Dienstag der Austria Presseagentur. Der Zeitpunkt des Todes kurz vor Beginn der Hauptverhandlung gegen Alijew - der Doppelmord-Prozess hätte in wenigen Monaten beginnen sollen - sei "höchst auffällig". Ein Suizid mache "keinen Sinn", so Prochaska. In den vergangenen Wochen und Monaten habe er viel Zeit mit seinem Mandanten verbracht, der alles andere als in Selbstmitleid zerflossen sei. "Er war eher der Fighter."

Ermittlungen bereits angelaufen

Vollzugsdirektionsleiter Prechtl bekräftigte jedoch am Dienstagnachmittag noch einmal: "Für uns war es eindeutig Selbstmord, es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass er ermordet worden ist".

Die Wiener Staatsanwaltschaft hat inzwischen die Obduktion des Leichnams angeordnet. Alijews Zelle wurde bereits von einer Tatortgruppe des Landeskriminalamts untersucht. Auch der diensthabende Journalstaatsanwalt nahm an diesem Lokalaugenschein teil. Auch erste Einvernahmen wurden durchgeführt. Befragt wurden "Personen, die als Auskunftspersonen infrage kommen könnten", sagte Behördensprecherin Nina Bussek.

Prozess "wie geplant"

Ungeachtet des Ablebens von Alijew wird vermutlich nach Ostern der Prozess um die Entführung und Ermordung der Bankmanager im Wiener Straflandesgericht über die Bühne gehen. Neben Alijew wurden der ehemalige kasachische Geheimdienstchef Alnur Mussajew sowie ein früherer Leibwächter Alijews zur Anklage gebracht. Sie sollen in die Verschleppung der Banker verwickelt gewesen sein, Mussajew soll auch den Ort gekannt haben, wo ihre sterblichen Überreste beseitigt wurden.

Die Verhandlung gegen die Mitangeklagten werde "wie geplant" stattfinden, meinte Gerichtssprecherin Christina Salzborn am Dienstagnachmittag. Konkreten Termin gibt es dafür noch keinen. Mussajews Verteidiger Manfred Mahrer hat die Anklage beeinsprucht, ob diesem Einspruch stattgegeben wird, prüft derzeit das Wiener Oberlandesgericht (OLG).

Jährlich etwa zehn Suizide in Haft

Durchschnittlich zehn Häftlinge pro Jahr nehmen sich in österreichischen Gefängnissen das Leben. Kritisch sind die ersten Tage in U-Haft und die Zeit um die Urteilsverkündung. Einen Rückgang der Suizidrate hinter Gittern brachte die Einführung des Viennese Instrument for Suicidality in Correctional Institutions (VISCI). 2014 nahmen sich acht Insassen das Leben, 2013 sieben und 2012 zwölf.

In den Jahren 1991 bis 2005 lag die Selbstmordrate in Österreichs Gefängnissen bei durchschnittlich zwölf pro Jahr, mit der niedrigsten Zahl von acht Fällen und einem Höchststand von 20 Suiziden. Im Dezember 2007 wurde VISCI eingeführt. 2008 sank die Anzahl der Suizide daraufhin auf sechs.

VISCI ist ein Formular mit 20 Fragen - u.a. zur sozialen Situation, der kriminellen Vergangenheit und der psychologischen Geschichte des Häftlings -, der die Vollzugsbeamten gleich bei der Einlieferung auf Umstände aufmerksam machen soll, die bei anderen Insassen zu einem Selbstmord oder Suizidversuch geführt haben. Schließlich können neu Aufgenommene nicht immer sofort einem Fachmann vorgeführt werden, etwa wenn sie in der Nacht hinter Gittern landen.

Das VISCI-System funktioniert wie eine Ampel: Rot bedeutet hohe Gefährdung, gelb heißt unsicher, grün nichts zu erkennen. Liegt eine erhöhtes Risiko vor, soll der Betreffende unverzüglich durch einen Facharzt untersucht werden, der dann weitere Schritte veranlasst. Bei "Gelb" wird der Häftling zumindest nicht allein untergebracht.

(APA/Red.)

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