Alijew: Verdächtige sind frei

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Seit dem Tod von Rachat Alijew befanden sich zuletzt nur noch zwei Männer in U-Haft. Diese wurden nun freigelassen.

Wien. Ganz so überraschend, wie es auf den ersten Blick aussieht, ist die neue Entwicklung im Alijew-Verfahren gar nicht: Am Mittwoch, dem achten Verhandlungstag (19 weitere Tage sind bereits anberaumt), wurden die beiden Angeklagten aus der U-Haft entlassen. Es bestehe kein dringender Tatverdacht (mehr), meinte der Vorsitzende des Richtersenats, Andreas Böhm, vom Grauen Haus in Wien. Genau dies ist aber gesetzlich vorgegebene Bedingung, will man jemanden in U-Haft festhalten.

Das Geschworenenverfahren gegen den früheren Direktor des kasachischen Geheimdiensts KNB Alnur Mussajew (61) und den einstigen Alijew-Leibwächter Vadim Koshlyak (42) wird freilich fortgesetzt. Der augenscheinlichste Unterschied: Die beiden des Doppelmordes an zwei kasachischen Bankmanagern verdächtigen Männer werden nicht mehr von der Justizwache in Handschellen in den Gerichtssaal geführt, sondern müssen von sich aus (also auf freiem Fuß) zu den jeweiligen Verhandlungsterminen kommen. „Widersprüchliche Angaben aus Kasachstan“ – diese hatten sich bereits vergangene Woche abgezeichnet – sind nun laut Richter Böhm einer der offiziellen Gründe für die Freilassung der beiden Kasachen.

Zudem ist Beobachtern schon zu Beginn der Verhandlung aufgefallen, dass sich die Anklage voll und ganz auf den früheren Hauptangeklagten, eben den Ex-Botschafter Kasachstans in Wien, Rachat Alijew (52), stützt. So als ob dieser noch am Leben wäre. Eine „Anpassung“ der Anklage an die neuen Gegebenheiten fand nicht statt. Zur Erinnerung: Alijew war am 28.Februar dieses Jahres, also vor mehr als zwei Monaten erhängt in seiner U-Haft-Zelle aufgefunden worden. Soweit die Behörden bisher feststellen konnten, hat der seinerzeitige Spitzendiplomat Suizid begangen. Bemerkenswert ist, dass bis heute kein abschließendes gerichtsmedizinisches Gutachten vorliegt – ein Umstand, der die schon bisher umhergeisternden Verschwörungstheorien anheizt.

Gericht hegt mehrere Zweifel

Gemeinsam mit den beiden (nun freigelassenen) Angeklagten soll Alijew im Februar 2007 in Almaty, Kasachstan, die Nurbank-Manager Zholdas Timralijew und Aybar Khasenov aus finanziellen Motiven zuerst betäubt und dann erdrosselt haben.

Aber zurück zu den Gründen für die Entlassung aus der U-Haft: Hier war entscheidend, dass es unterschiedliche Auskünfte seitens der Kasachen über die Rechtskraft von Urteilen gab. Bei Mussajew und Koshlyak hatte es von kasachischer Seite geheißen, dass die beiden 2008 in Abwesenheit von einem Militärgericht zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden seien. Nun legte der Verteidiger Koshlyaks, Walter Engler, einen Auszug aus einem Rechtshilfeersuchen Österreichs an Kasachstan vor, in dem diese Urteile als rechtskräftig bestätigt werden. Doch laut Richter Böhm hatte die kasachische Justiz erst vergangene Woche dem Gericht in Österreich bezüglich der Rechtskraft genau das Gegenteil mitgeteilt.

Ein weiterer Grund dafür, dass die beiden Beschuldigten (beide bekennen sich nicht schuldig) das Josefstädter Gefangenenhaus verlassen durften: Die Anklageschrift beruhe „nahezu ausschließlich“ auf Informationen kasachischer Behörden – so der Richter. Dies kann als Schlag für die Anklage, vertreten durch Staatsanwältin Bettina Wallner und ihren Kollegen Markus Berghammer, gesehen werden, hatte diese immer betont, dass die kasachischen Ermittlungsergebnisse von Österreich genau überprüft worden seien.

Weiters störte den Richter, dass Zeugen ihre Aussagen geändert haben. Auch äußerte er die Vermutung, dass das Verfahren nach wie vor von Kasachstan gesteuert werden könnte. So hätte die Witwe Timralijews, Armangul Kapasheva, angegeben, dass zehn Mio. Euro für den Opferverein Tagdyr unter anderem von Geschäftsleuten aufgebracht worden seien, die sie namentlich nicht nennen wollte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2015)

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