Sorge um die Zukunft der Lipizzaner

GENERALPROBE ZUR FUN RAISING GALA DER SPANISCHEN HOFREITSCHULE:...                     .
GENERALPROBE ZUR FUN RAISING GALA DER SPANISCHEN HOFREITSCHULE:... .APA/HERBERT PFARRHOFER
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Seit 450 Jahren wird an der Spanischen Hofreitschule die Klassische Reitweise überliefert. Kritiker fürchten, dass die Tradition bald unterbrochen sein könnte.

Die Zuschauerplätze sind mit Touristen gut gefüllt, vom Band läuft klassische Musik, ein Video zeigt Szenen von Fohlen und Lipizzanern im Grünen. Jeder Bereiter, der hereinkommt, grüßt wie eh und je das Porträt des Kaisers, ehe er das Training beginnt. Alle halben Stunden wechseln Reiter und Pferde, man sieht gelegentliche Galoppwechsel und Traversalen, jemand übt die Piaffe. Als sich ein Hengst an der Hand erhebt und ein, zwei Sprünge einer Courbette zeigt, geht ein Raunen durch den Saal; ein Ausbildner krault dem Tier lobend den Bauch: Morgenarbeit in der Spanischen Hofreitschule.

Auch in der Stallburg herrscht an diesem Vormittag reger Betrieb, ein Pferd und ein junger Reiter werden für ein Jubiläumsbier fotografiert. Kommendes Wochenende feiert die weltberühmte Reitschule ihr 450-Jahr-Jubiläum, mit drei Gala-Vorführungen und dem Sommerball Fête Impériale. Infantin Elena von Spanien wird erwartet, die Münze Österreich schenkt zum freudigen Anlass eine Münze, die Post eine Briefmarke, Unternehmen von Augarten bis Zotter haben eigens Produkte entworfen, es gibt Sonderausgaben von Wein und Sekt, Schalen und Salzstreuern, Tüchern und Dekantern. Das Publikum muss von der ganz großen Euphorie freilich erst noch erfasst werden. 10.000 Karten wurden für die Festveranstaltungen aufgelegt, erst die Hälfte ist bisher verkauft.


Unliebsame Freunde. Manchen ist freilich nicht zum Feiern zumute. Glaubt man Kritikern, läuft es in der Reitbahn der Lipizzaner wenig rund. Das Ziel, die „Ausübung und Bewahrung der klassischen Reitkunst“, wie es im Hofreitschulgesetz festgeschrieben ist, sei „nicht nur gefährdet – man hat schon einen weiten Weg in die negative Richtung zurückgelegt“, glaubt Josef Offenmüller, Sprecher des Freundeskreis der Klassischen Wiener Reitkunst.

Dessen führende Mitglieder waren einst in der Gesellschaft der Freunde der Spanischen Hofreitschule aktiv. Nachdem man sich mit Kritik an der Reitschule unliebsam gemacht hatte, gründete man einen eigenen Verein, den Freundeskreis der Spanischen Hofreitschule. Mittlerweile darf man sich per Gerichtsbeschluss nicht mehr so nennen. „Aus unserer Sicht ist die Qualität der Hofreitschule dramatisch gesunken“, sagt Offenmüller. „Das bestätigen uns Briefe und Informationen aus dem In- und Ausland.“ 1300 Unterstützer haben sich auf der Homepage des Freundeskreises deklariert. Vom „Niedergang der Reitkultur“ hat etwa eine Beobachterin aus Deutschland, die die Spanische „seit 15Jahren ein- bis zweimal im Jahr für mehrere Tage besucht“, in einem Brief an den Aufsichtsrat schon 2010 geschrieben, und schildert „nervöse Hengste und schlecht ausgeführte Lektionen“ in den Vorführungen. Auf Facebook und in Fachzeitschriften laufen heftige Debatten.

Man müsse bei der Beurteilung versuchen, Fakten und Emotionen zu trennen, sagt Josef Offenmüller. Hintergrund sind Vorfälle, die sich hinter den Mauern der Wiener Hofburg in den letzten Jahren abgespielt haben. Ein Bereiter hat Suizid begangen (die Erklärungsversuche liegen, je nach Darstellung, weit auseinander), zwei von vier Oberbereitern sind dienstfrei gestellt.

Einer davon ist der ehemalige Erste Oberbereiter Klaus Krzisch. Ein Mann alter Schule, 50 Dienstjahre hat er hinter sich, nur 45 davon im aktiven Dienst. „Ich werde seit fünf Jahren voll bezahlt, bekomme sogar die Tourneegagen“, sagt er. In einem Disziplinarverfahren wurde er freigesprochen, seine Zwangspensionierung widerrufen, und dank eines Urteils des Verwaltungsgerichtshofs darf er als Beamter seine Vorgesetzten offiziell kritisieren. „Eine Katastrophe“ nennt er die aktuelle Situation, einen „Wahnsinn, was da passiert ist und immer noch passiert. Aber nach außen hin ist alles in Ordnung“. Früher, da habe sich die ganze Welt an der Spanischen Hofreitschule orientiert. „Das ist jetzt vorbei.“

Ein Problem, glaubt Karl Friedrich Habel vom kritischen Freundeskreis, liege darin, „dass dem reitenden Personal zeitlich wesentlich mehr abverlangt wird, weil mehr Pferde da sind“. Seit jeher stehen 72 Hengste in der Wiener Innenstadt. Seit die Schule zudem ein Trainingszentrum am niederösterreichischen Heldenberg betreibt, sind noch einmal 40 dazugekommen.Gleichzeitig ist, um Richtung schwarzer Zahlen zu kommen, die Anzahl der Vorführungen gestiegen. Da bleibe, so heißt es, der Unterricht auf der Strecke. Dabei ist er es, der die Spanische Hofreitschule ausmacht. Ihr Kern ist die mündliche Überlieferung jahrhundertealten Wissens zur langsamen Ausbildung von Reiter und Pferd. „Lehrbücher gibt es genug. Das Wichtige ist, dass man dem jungen Reiter in dem Moment, in dem er es braucht, das Richtige sagt“, formuliert es Bereiter Herwig Radnetter.

Genau das geschehe nicht, ist aus der Reitschule zu hören. „Sie sind nicht mehr in der Lage zu korrigieren, und sie werden auch nicht mehr korrigiert“, sagt Karl Friedrich Habel, der die Schule „seit 1962“ beobachtet. Das habe mit der Situation unter den Bereitern zu tun. Konkurrenzkampf habe es immer gegeben, „aber heute gibt es eine gruppendynamische Spaltung“. Da seien jene, „die den Anweisungen nahtlos Folge leisten, wie sie von der Geschäftsführung gegeben werden, und dann gibt es eine zweite Gruppe, die wohl oder übel mitmacht, aber nicht mehr mit dem ehernen Einsatz, der notwendig ist“. Regelrechte Hilferufe würden ihn erreichen, sagt Habel. Die Reiter hätten „niemanden, der ihnen zuhört, den sie um Rat fragen können“. Man werde nicht mehr korrigiert, mit dem Pferd allein gelassen.“ Andere wiederum würden sich gar nichts mehr sagen lassen. Gegenseitige Kontrolle gebe es nicht mehr. So sei zu erklären, sagt Krzisch, „dass sich Methoden einschleichen, die es vorher nie gegeben hat“.

Und es sind nicht nur jene, die (vielleicht verklärte) alte Zeiten vermissen, die Kritik üben. Die Unzufriedenheit sei groß, berichtet ein jüngerer Eingeweihter, nicht zuletzt unter den Eleven. Es gebe niemanden, der sich letztlich verantwortlich fühle. Und es werde intrigiert – „,House of Cards‘ ist nichts dagegen“.


Netzwerk. Generaldirektorin Elisabeth Gürtler will Kritik nicht gelten lassen. Es habe immer bessere und schlechtere Reiter gegeben, sagt sie. Manche orten indes die Wurzeln des Zwists darin, dass sie sich in die Belange der Reitbahn eingemischt habe, über Auswahl von Reitern und Verteilung der Pferde entscheide. Dabei habe man die Bestellung der langjährigen Sacher-Chefin und Organisatorin des Opernballs Ende 2007 damals begrüßt, sagt man beim Freundeskreis, auf ihr Netzwerk in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik und mögliche Sponsoren gehofft. Tatsächlich strich Gürtler im Sinn des Rechnungshofs Privilegien und erfand neue Einnahmequellen. Genau ihr Netzwerk könnte sich aber auch als Bumerang für die Hofreitschule erweisen. Weil man darin Gürtler Glauben schenkt, solang sie versichert, dass mit der Touristenattraktion alles in Ordnung ist. Und weil sich so mancher Skeptiker nicht aus der Deckung traut, aus Angst vor möglichen Konsequenzen. Selbst Medien halten sich mitunter lieber zurück.

Einig sind sich Gürtler und der Freundeskreis wenigstens in einem Punkt: Dem durchschnittlichen Zuschauer, ob Japaner, Österreicher oder Politiker, fällt ein Urteil schwer. Für umso fataler hält Ex-Oberbereiter Krzisch die „zweite Mannschaft“, die gleichzeitige Vorführungen in Wien und Tourneen ermöglichen soll. Die Idee geistert seit Langem herum, gilt heute als umgesetzt, indem die 16Reiter bei Bedarf in zwei Gruppen geteilt werden. „Früher waren immer die Besten auf Tournee – zumal dort zu 80Prozent Fachpublikum sitzt.“

Krzisch geht übrigens demnächst in Pension. Er wäre aber immer noch bereit zu unterrichten – in der Vergangenheit wurden öfters Bereiter aus dem Ruhestand geholt. „Ich habe der Schule mein Können zu verdanken. Und ich würde es gern den Jungen der Schule vermitteln, und nicht Fremden.“ Allzu optimistisch ist er nicht. „Aber wenn ich einen Reiter anregen kann, nachzudenken und sich selbst zu kontrollieren, hab ich schon etwas erreicht. Und sonst kann mir wenigstens keiner vorwerfen, ich hätte es nicht versucht.“

Fakten

1565 wurde die Reitschule erstmals in einem Dokument erwähnt. Darin ist die Rede von hundert Gulden zur Errichtung eines „Thumblplatzes im Garten an der Purgkh alhie“. Zuvor hatte man sich auf ein jüngeres Dokument gestützt – weshalb man 1972 das 400-Jahr-Jubiläum feierte.

1729 ließ Karl VI. die Winterreitschule errichten. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Spanische Hofreitschule dem Landwirtschaftsministerium zugeteilt und öffentlich zugänglich gemacht. Heute gilt sie als einer der weltweit wichtigsten Orte zur Erhaltung der Klassischen Reitkunst.

Zum Jubiläum gibt es am 25., 26. und 27.Juni je eine Galavorführung auf dem Heldenplatz, die Königlich-Andalusische Reitschule aus Jerez ist zu Gast. Am 26.Juni folgt im Anschluss die Fête Impériale.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2015)

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