Auf der Suche nach der Liesinger Identität

(c) Michaela Bruckberger
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Der 23. ist eine Dörferansammlung, eine Mischung aus Industrie und Wohnen – und entdeckt sich neu.

Wien. Was haben der Topwinzer Michael Edlmoser, der Großbäcker Kurt Mann und der österreichische Bundeskanzler, Werner Faymann, gemeinsam? Sie sind im 23. Bezirk zu Hause, sie sind Liesinger – und die drei Namen zeigen auch exemplarisch, wie unterschiedlich dieser Bezirk ist und wie schwer es ist, ihn zu charakterisieren. Der Weinbauer aus dem Bezirksteil Mauer steht etwa für riesige landwirtschaftliche Flächen, zugleich aber auch für die noblen Villenviertel in Mauer, Rodaun, Kalksburg. Der Bäcker, der seine Großbackzentrale in der Perfektastraße in Siebenhirten positioniert hat, umgeben von zahlreichen Industriebezirken, steht für das gewerbliche Liesing (insgesamt gibt es mehr als 3500 Unternehmen im Bezirk).

Faymann, der in Liesing politisch groß geworden ist, steht dafür, dass der Bezirk seit vielen Jahrzehnten rot und also SP-geführt ist. Bis in die Neunzigerjahre hatte die SPÖ hier die Absolute inne, bei der jüngsten Bezirksvertretungswahl 2010 immer noch fast 44 Prozent. Der Abstand zur FPÖ mit ihren 25Prozent ist zwar deutlich, wird aber bei der kommenden Wahl wohl schrumpfen. Die ÖVP mit knapp 16 Prozent liegt da schon deutlich dahinter, ebenso wie die Grünen mit knapp zwölf Prozent. Übrigens: Nicht nur Faymann, auch Nationalratspräsidentin Doris Bures ist Liesingerin, sie ist zudem seit Jahren Vorsitzende der SPÖ-Liesing.

Liesing ist aber nicht nur eine Mischung aus Industriegebiet, Wohnvierteln und Landwirtschaftsflächen, sondern auch eine mittlerweile zusammengewachsene Ansammlung von acht Dörfern, konkret von Rodaun, Kalksburg, Liesing, Mauer, Atzgersdorf, Erlaa, Siebenhirten und Inzersdorf. Diese Ortschaften wurden 1954 rechtlich zusammengefügt, Liesing (benannt nach dem Fluss) ist damit der jüngste Bezirk Wiens.

Diese Vielfältigkeit verhindert aber auch, dass der Bezirk so etwas wie eine eigene Identität entwickelt hat. Und so ist es kein Wunder, dass sich viele auf Nachfrage eher als Atzgersdorfer oder Kalksburger bezeichnen denn als Liesinger. Dazu kommt mit Alt-Erlaa und seinen rund 10.000 Bewohnern quasi eine kleine Stadt im Bezirk, die ihre Eigenart bewahrt hat und mit ihren Wohntürmen ein Bezirkswahrzeichen bildet.

Doch der Bezirk ändert seinen zwischen Industrie und Dorf liegenden Charakter. Das liegt vor allem an den vielen neuen Wohnanlagen: In Liesing sind derzeit mehr neue Wohnbauten in Planung, als etwa in der viel zitierten Seestadt Aspern. Die wachsende, fast ungehemmte Wohnbautätigkeit ist aber auch Zündstoff und stößt immer öfter auf Kritik. Zugleich rücken die Wohnbauten den bisher gewerblich genutzten Bereichen auf den Leib. Etwa rund um Alt-Erlaa, wo schon einige riesige Gärtnereien aufgegeben haben oder gerade dabei sind.

Die Hauptprobleme der Liesinger sind mit einem Wort zu umschreiben: Verkehr. Da ist zuerst einmal das Pendlerproblem zu nennen. Tausende Menschen fahren täglich aus NÖ mit dem Auto in die Stadt zum Arbeiten. Das hat zur Folge, dass rund um U-Bahn- oder Schnellbahnstationen alles zugeparkt ist. Und es hat auch zur Folge, dass es an den Einfahrtsrouten staut – morgens und abends. Der öffentliche Verkehr ist mit U6, Schnellbahn und Badner Bahn zwar radial halbwegs ausgebaut. Doch an den Querverbindungen scheitert es. Somit steigt man wieder ins Auto: In Liesing gibt es fast 500 Pkw je 1000 Einwohner (Wien-Schnitt: 386).

Wer hier wohnen will, wohnt zwar nicht innerstädtisch urban, hat aber dafür mehr Grünraum und Freiflächen zur Verfügung und wohnt in der Regel auch günstiger. Das ist vor allem attraktiv für Familien, hat aber auch den Nachteil, dass man „in die Stadt“ fahren muss, um kulturelle und gastronomische Highlights zu erleben. Erst langsam beginnt auch hier ein Umdenken zu Eigeninitiativen. Beispiel ist die ehemalige Sargfabrik in der Breitenfurter Straße, die sich als neuer kultureller Hotspot des Bezirks anbietet.

Serie: Wiens Bezirke

Bis zur Wien-Wahl am 11. Oktober porträtiert die ''Presse'' nach und nach alle 23 Wiener Bezirke. Die bisherigen Porträts finden sie unter diepresse.com/bezirke

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2015)

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