Favoriten: Schaukeln am Ende der Welt

Der Böhmische Prater
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Ein Ausflug in den Böhmischen Prater ist eine städtische Grenzerfahrung: Gemütlichkeit am Stadtrand und Ausblick ins Umland.

Es handelt sich nicht unbedingt um hoch zentrales Gebiet: Der Weg von der Wiener Innenstadt hin zum Böhmischen Prater in Favoriten führt einen an der umgemodelten Ankerbrotfabrik vorbei, an den versprengt an der Puchsbaumgasse liegenden Wohnblöcken mit Gartenfeldern, an mit ihrem Blütenduft süßen Frühling versprechenden Sträuchern. Und der Weg führt seinen Geher unter eine Brücke der A23: Viel mehr Stadtrand bekommt man in Wien selten.

Lässt man dann die Autobahn hinter sich, flaniert man durch die Schrebergartensiedlung Laaer Wald. Zum Böhmischen Prater sind es da nur noch ein paar Schritte, aber: Man sollte sich dennoch die Zeit nehmen für den Blick zurück. Auf der Kuppe der Straße schrumpft Wien vor den eigenen Augen zusammen in eine bundesländische Bezirkshauptstadt, der Kahlenberg wirkt seltsam nah und Wien herausragend grün. Über einem donnern dann die Flugzeuge im Landeanflug dem Schwechater Flughafen zu, und auf der Seite erhebt sich das Simmeringer Industriegebiet mit beinahe schon sakraler Wucht.

Ruhe am Rummel. Der Böhmische Prater, unauffällig als kurze, gemütliche Allee angelegt, ist weniger überwältigend. Während der große Wiener Prater mit Pauken, Trompeten und Gutscheinaktionen seinen 250. Geburtstag feiert, ist es fünfeinhalb Kilometer weiter südlich fast schon gespenstisch beschaulich. Besucht man den Böhmischen Prater unter der Woche, bekommt man ein gutes Bild, wie der „große“ Wiener Prater nach dem Weltuntergang aussehen könnte: stillstehende Karusselle, halb leere Gastgärten, verlassene Schießbuden.

Dabei ist es gar nicht so, dass keine Menschenseele sich oben im kleinen Vergnügungspark am Laaer Berg blicken lassen würde. Junge Mütter schieben ihre Kinderwagen durch die Allee mit ihren alten Bäumen, Großelternpaare kaufen den Enkelkindern Eskimo-Eis, alte Damen plaudern mit den Schaustellern – an den Zaun gelehnt und bester Laune. „Möchten Sie mit der Märchenbahn fahren?“, ruft einer von ihnen einem Passanten zu. „Sie werden es nicht bereuen, es ist ein schönes Erlebnis.“ Das klingt so künstlich, wie die Plastikfiguren aussehen, die ringsum platziert sind, aber gleichzeitig ehrlich begeistert. Die Märchenbahn – eine von zweien im Böhmischen Prater – führt in Schlangenlinien durch ein wirklich zauberhaftes dunkelgrünes Gärtchen, in dessen Gebüsch sich gartenzwergähnliche Figurinen verstecken.

Nun kann man natürlich in den Böhmischen Prater fahren in der Hoffnung, großartige Fahrgeschäfte zu finden – und enttäuscht werden. Man kann aber auch in den Böhmischen Prater fahren und die Skurrilität der Vorstadt einatmen, irgendwo zwischen Schrebergartensiedlung, Spritzer weiß und tanzenden Clownfiguren mit irr verzerrten Gesichtern am Karussell. Und man kann die kleine Allee entlangschlendern und die bunt bemalten Stände ansehen und dabei in Nostalgie schwelgen. In einem der kleinen Gasthäuser „geb. Leberkäs“ (gebraten, gebacken?) bestellen und das Grün genießen. Neben tratschenden Mädchengruppen in eine Gondel am kleinen Riesenrad steigen und die Freiheit der Vorstadt genießen.


An den Rand der Stadt. Und danach kann man die Allee zu Ende gehen. Das ist eigentlich der beste Teil am Böhmischen Prater: Lässt man die Fahrgeschäfte, Gasthäuser und Kioske hinter sich, erreicht man quasi im selben Augenblick die Löwygrube, von der aus man einen fantastischen Ausblick über Wien und das südöstliche Umland hat. Auf den sanften grünen Hügeln hat man das Gefühl, im wahrsten Sinn am Ende der Welt, oder zumindest am Rande der Stadt, zu stehen. Wer auf einer der Holzbänke auf der Hügelkuppe Platz und sich die Zeit nimmt, die Stadt zu betrachten, kann sein Wissen um die Hauptstadt und ihre Geografie herausfordern: ein amüsantes Spiel, die bekannten Gebäude Wiens in einer unbekannten Perspektive zu finden und sie zu benennen.

Besonders beflügelnd außerdem und wohl besser als jeder Karussellritt: die Schaukeln auf dem Kinderspielplatz, die einem das Gefühl geben, direkt ins Leithagebirge hineinzuschwingen.

Beschaulichkeit

Der Böhmische Prater, gegründet Mitte des 19. Jahrhunderts, liegt zwischen Laaer Wald und Löwygrube. Zum kleinen Vergnügungspark im Grünen kommt man mit der Straßenbahnlinie 6 (Absberggasse) oder über die Bahnstation Grillgasse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2016)

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