Der Fall der Judolegende Seisenbacher

OLYMPIA - Olympische Spiele 2012
OLYMPIA - Olympische Spiele 2012(c) GEPA pictures/ Mario Kneisl
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Der zweifache Judo-Olympia-Sieger Peter Seisenbacher ist wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen angeklagt.

Wien. „Wie Sissy Theurer 1980 in Moskau. Wie Hubert Hammerer 1960 in Rom. Peter Seisenbacher hat Judo-Geschichte gemacht. Und sich selber ein Denkmal gesetzt. Die Woge der Begeisterung schwappte über. Seisenbachers Stiefvater, Masseur Pepi Flenner, weinte wie ein kleines Kind. Ein erhebender Augenblick.“Das schrieb „Die Presse“ am 10. August 1984. Dem 24-jährigen gelernten Goldschmied aus Wien Favoriten war kurz zuvor in Los Angeles eine Judo-Olympiagoldmedaille um den Hals gehängt worden. Wie fern die goldenen Zeiten liegen, wie anders die Gegenwart ist, zeigt ein Strafprozess, der nun beginnen hätte sollen.

Am Montag sollte der mittlerweile 56-jährige Seisenbacher in einem Wiener Gerichtssaal stehen. Und dort einen ganz anderen Kampf kämpfen. Einen Kampf gegen sehr schwere Anklagevorwürfe, die da lauten: wiederholter schwerer sexueller Missbrauch von Unmündigen, versuchter Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses. Einen Kampf gegen eine mögliche Verurteilung. Ein bis zehn Jahre Haft drohen.

„Er schaffte, was noch kein Judoka zuwegegebracht hat. [...] Peter Seisenbacher wurde als erster Judokämpfer zum zweiten Mal en suite Olympia-Sieger. Kurzum, Seisenbacher schrieb Judogeschichte, als er im Finale der 86-kg-Klasse den Sowjetrussen Schestjakow durch eine einstimmige Kampfrichterwertung besiegte.“ Das schrieb „Die Presse“ am 30. September 1988. Der Goldschmied hatte sich in Seoul seine zweite Olympia-Goldmedaille geschmiedet.

Titel, Ehrungen, Watschenaffäre

Zwischen den Olympia-Titeln hatte er WM- und Europameisterschaftsgold geholt. In der Heimat wurden ihm Auszeichnungen zuteil. Seisenbacher wurde unter anderem das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen.

Nach der aktiven Karriere hatte der Wiener als Sporthilfe-Generalsekretär und als Kapitän des österreichischen Herren-Judoverbandes gearbeitet. Letzteres wurde durch eine Watschenaffäre getrübt: Seisenbacher hatte einen seiner Schützlinge geohrfeigt. Von 2010 bis 2012 war Seisenbacher Judo-Cheftrainer in Georgien, einer seiner Kämpfer holte in London, 2012, Olympia-Gold – danach werkte der Wiener in Aserbaidschan, wo er nach einer Unterbrechung bis heute als Headcoach tätig ist. Und ja, er werde von Baku anreisen, sich seinem Prozess stellen, bestätigt sein Grazer Anwalt Bernhard Lehofer. Das ist aber auch schon alles, was vorab zur Causa kundgetan wird.

„Herr Seisenbacher hat mir gesagt, ich soll mit den Medien nicht reden“, so Lehofer. Wie dem auch sei: Für den Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung. Und wie die seitens der Verteidigung eingebrachten Beweisanträge nahelegen, sollen in der für drei Tage (19., 20., 22. 12.) anberaumten Verhandlung Bekannte von Seisenbacher bezeugen, dass die (anklagegemäßen) Opfer auch noch nach den mutmaßlichen sexuellen Übergriffen Kontakt mit dem Mann hatten, der ihr Trainer und ihr großes Vorbild war. Und damit ist über den Kern der Anklage schon viel gesagt: Tatort soll jener Wiener Judoklub gewesen sein, in dem Seisenbacher den Nachwuchs trainierte. Aber auch auf Trainingslagern im burgenländischen Güssing oder auf der kroatischen Insel Krk soll es Übergriffe gegeben haben. Das erste Opfer war laut Anklage erst neun Jahre alt, als es im Jahr 1997 (Seisenbacher war damals 37) bedrängt worden sein soll. Als das Kind elf war, begannen – so die Vorwürfe, gestützt auf Aussagen der Betroffenen – jene Geschlechtshandlungen, die vom Staatsanwalt als schwerer sexueller Missbrauch qualifiziert werden. Bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres (also bis zum Ende der Unmündigkeit) sollen weitere Delikte verwirklicht worden sein.

Einer 13-Jährigen soll sich der Angeklagte im Sommer 2004 genähert haben. Auch in diesem Fall soll es zu sexuellen Handlungen mit dem Mädchen, das Judo lernen wollte, gekommen sein. Davor, im August 2001, soll Seisenbacher versucht haben, einer 16-Jährigen näher zu kommen. Diese soll Zudringlichkeiten abgewehrt haben. Weshalb „nur“ versuchter Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses zur Anklage gebracht wurde.

Ob die dreijährigen Ermittlungen, an deren Ende eine – eigens vom Justizministerium genehmigte – Anklageschrift steht, genug Beweise für eine Verurteilung hergeben, bleibt abzuwarten. Schon jetzt aber lässt sich sagen, dass Seisenbacher wohl auch im Fall eines Schuldspruchs sein Goldenes Ehrenzeichen behalten wird. Das Gesetz sieht eine Aberkennung nicht vor.

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