Die Architektenkammer wirft Wien Investorenhörigkeit bei der Stadtplanung vor. Auch der Fachbeirat, der mit Bebauungsplänen befasst wird, müsse dringend reformiert werden.
Wien. Lässt sich Wien seine Stadtplanung zunehmend von Investoren diktieren? Ja, findet die Wiener Architektenkammer. Sie nahm die Neugestaltung des Heumarkts zum Anlass für eine Grundsatzkritik: In jüngster Zeit würden „immer mehr Projekte aufpoppen“, bei denen sich die Flächenwidmungs- und Bebauungspläne mehr an Investorenwünschen denn am öffentlichen Interesse orientieren, sagt der Vorsitzende der Architektensektion, Christoph Mayrhofer. „Wir sind mittlerweile bei einem Zustand angelangt, bei dem sich Grundstückseigentümer ihre Bebauungsbestimmungen selbst schreiben.“
Als Beleg für diese Entwicklung dienen zwei aktuelle Projekte: das Heumarkt-Areal und die Danube Flats. Bei Letzteren handelt sich um ein 150 Meter hohes Wohnhochhaus, das bei der Reichsbrücke entstehen soll. Für Mayrhofer ein krasses Beispiel für Umwidmung auf Investorenwunsch: So stand im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs im Flächenwidmungsplan, dass es verboten ist, Wohnungen zu errichten. Nun sollen dort 520Wohnungen entstehen. Oder: Ursprünglich durfte die maximale Gebäudehöhe nur 26Meter betragen. Nun dürfen es 150 Meter werden.
Solche Abänderungen seien nur im öffentlichen Interesse erlaubt, so Mayrhofer. Doch dieses werde immer öfter bloß „konstruiert“. Im Fall des Heumarkts sei der Fachbeirat vorgeschoben worden, um eine fachliche Rechtfertigung zu fabrizieren. Die Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten entsendet zwar selbst drei Mitglieder in das zwölfköpfige, ehrenamtlich tätige Gremium, das routinemäßig mit Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen befasst wird. Trotzdem kritisiert die Kammer den Beirat stark: So sei er gar nicht fähig, solche Projekte fachlich zu beurteilen. Denn er sei kein kompetentes Gremium – so wie etwa der Gestaltungsbeirat in Salzburg oder Innsbruck –, sondern ein „sozialpartnerschaftliches Konstrukt“, in dem auch Vertreter von Arbeiter- oder Wirtschaftskammer sitzen. Hemma Fasch, Architektin und selbst Mitglied im Beirat, bezeichnet zudem die Arbeitsbedingungen als problematisch. Erst eine knappe Woche vor der Sitzung erhalte man die umfangreichen Unterlagen. Und: „Wir haben durchschnittlich eine halbe Stunde pro Projekt für die Debatte und besprechen bis zu 14Projekte an einem Tag – ich sehe meine Arbeit nicht mehr seriös erledigbar.“
Arbeitsverbot für Experten
Fasch setzt sich auch dafür ein, dass der Beirat gänzlich unabhängig wird. Soll heißen: Seine Mitglieder dürfen nicht für die Stadt arbeiten. Und sie fordert mehr Transparenz: So darf aus Gründen der Vertraulichkeit derzeit nicht gesagt werden, wie das Votum im Fachbeirat zum Heumarkt ausgefallen ist. Einstimmig war es jedenfalls nicht – denn der Fachbeirat sieht letztlich viele seiner Forderungen (Verträglichkeit mit Weltkulturerbe, weniger Massivität) als erfüllt an, obwohl sie das, wie Mayrhofer durchdekliniert, gar nicht sind. Generell wünscht sich Fasch stabilere Rahmenbedingungen von der Stadt: Gemeint sind fixe Ausschlusszonen für Hochhäuser, die im neuen Hochhauskonzept oder im Masterplan Glacis nicht mehr vorkommen. In diesem Punkt ist sie einer Meinung mit dem Vorsitzenden des Fachbeirats, Rüdiger Lainer, der sich auf Ö1 gestern ebenfalls vorsichtig für Ausschlusszonen ausgesprochen hat.
Und was sagt die Stadt zu all der Kritik? Der Vorwurf einer rein bauplatzbezogenen Flächenwidmung gehe ins Leere, so Planungsdirektor Thomas Madreiter in einer Aussendung. Es gebe „umfangreiche Prozesse der internen und externen Qualitätssicherung, von denen der Fachbeirat ein wesentlicher, aber nicht der einzige Bestandteil“ sei.
Häupl findet Unesco arrogant
Kein zentrales Thema war bei der Pressekonferenz der Architekten der drohende Verlust des Weltkulturerbes. Dazu fand Wiens Bürgermeister, Michael Häupl, aber tags zuvor deutliche Worte. Er warf der Unesco „Arroganz“ vor: Man solle sich den Heumarkt-Entwurf erst ansehen, bevor man ihn verurteile: „Diese Arroganz – zu sagen: Wir verhandeln gar nicht – ist für mich nicht akzeptabel. So etwas geht in Fragen der Menschenrechte, aber über einen Vertrag über Kulturgüterschutz muss man reden können.“ Er sei nicht glücklich über einen „Vollkonflikt“ mit der Unesco, aber: „Wenn sie nicht reden wollen, dann nicht.“ (uw)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2016)