Sozialhilfe: Missstand bei Mindestsicherung

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Archivbild.(c) Clemens Fabry
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Der Rechnungshof wirft der Stadt Wien Kontrollmängel bei der Handhabung der Mindestsicherung vor. Neo-Stadträtin Sandra Frauenberger sucht nun nach Antworten.

Wien. Dass Wien Probleme mit der Mindestsicherung hat, ist bekannt: Zu viele Menschen beziehen zu lang die finanzielle Notunterunterstützung. Nun zeigt ein Bericht des Rechnungshofes: Auch bei der Kontrolle mangelt es.

1 Was wirft der Rechnungshof der Stadt vor?

Bis jetzt sind die Vorwürfe nur auszugsweise bekannt (die „Krone“ zitierte aus dem Rohbericht). Demnach kritisiert der Rechnungshof vor allem diverse Kontrollmängel: Akten fehlen, sind unvollständig, werden nicht kontrolliert; Geld wird ohne gültigen Lichtbildausweis ausgezahlt; Kinder, für die gezahlt wird, sind nicht auffindbar.

2 Stimmt es, dass die Mindestsicherung Wien 2021 1,6 Mrd. Euro kostet?

Nein, das stimmt so wohl nicht. Die Prognose, die der Rechnungshof zitiert, wurde laut dem Büro der Sozialstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle erstellt. Man werde diese Zahl „sehr deutlich unterschreiten“, so ein Sprecher. Eine neue Prognose fehlt aber.

3 Wie viel kostet die Mindestsicherung überhaupt derzeit?

Die Kosten für die Mindestsicherung werden im Rohbericht mit vorläufig 626 Mio. für 2016 angegeben. Viel, aber trotz allem ein Bruchteil der Sozialleistungen. Bundesweit liegt Wien mit dem Rekordwert von 191.200 Beziehern an der Spitze. Das hat vor allem mit der großen Zahl an Asylwerbern zu tun. Zwei Drittel aller anerkannten Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigen, die einen Job suchen, tun das in Wien. Dass die Zahl der Bezieher noch weiter steigen wird, liegt auch daran, dass so gut wie jeder Flüchtling zuerst einmal Deutsch lernen muss. In dieser Zeit bezieht er Mindestsicherung.

4 Laut Rechnungshof wurde ohne gültigen Ausweis Geld ausbezahlt, interne Akten nicht kontrolliert. Wie kann das passieren?

In dem Fall dreht sich alles um das Wort „gültig“. Der Rechnungshof kritisiert, dass Geld an Menschen ohne gültigen Ausweis bezahlt wird. Tatsächlich, heißt es aus der Stadt Wien, „gibt es keine einzige Person, die Mindestsicherung ohne einen Identifikationsnachweis bezieht“. Als Nachweis gilt aber auch ein Ausweis, der abgelaufen ist. Das sei gesetzlich gedeckt, heißt es aus der Stadt. Bei älteren Menschen, die Österreich nie verlassen haben, sei der Reisepass oft abgelaufen. Dass Akten verschwinden, dementiert man seitens der Stadt. Derzeit hält die Stadträtin Rücksprache mit der MA 40. Alle gefundenen Mängel, verspricht man, würden behoben.

5 Manche bekommen 14 Mal die Mindestsicherung. Wird das geändert?

Die Mindestsicherung (siehe Frage 9) wird gerade neu verhandelt. Kommentar aus dem Büro der Sozialstadträtin gibt es dazu aber keinen. Neu ist aber nicht, dass Wien Personen, die als nicht mehr arbeitsfähig gelten und schon länger als ein Jahr lang diese Sozialleistung beziehen, 14 statt zwölf Mal die Mindestsicherung ausbezahlt. Das gilt auch für Menschen im Pensionsalter, die nicht lang genug arbeiten konnten, um einen Pensionsanspruch zu haben.

6 Laut Rechnungshof zahlt Wien die Mindestsicherung auch an Menschen, deren Aufenthaltsbewilligung abgelaufen ist. Warum?

Der Fall könnte bei subsidiär Schutzberechtigten eintreten. Diese müssen alle zwei Jahre ihre Aufenthaltsbewilligung erneuern. Bis zur Erneuerung kommen einer Person laut Gesetz alle Rechte eines Schutzberechtigten weiterhin zu. In dieser Zeit muss auch um die Mindestsicherung neu angesucht werden. Da sich aus den Akten ablesen lasse, ob jemand den Aufenthalt schon mehrmals verlängert bekommen habe, werde in der Regel die Mindestsicherung verlängert, da die Person sonst bis zur rechtskräftigen Verlängerung mittellos dastehen würde, heißt es aus der Stadt.

7 Laut Bericht ist jeder zweite Bezieher kein Österreicher. Alles Flüchtlinge?

Nein. Laut Bericht sind 48,5 Prozent der Bezieher Ausländer. Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte machten 2016 insgesamt 22 Prozent der Bezieher aus.

8 Warum hat der Rechnungshof die Mindestsicherung überprüft?

Der Rechnungshof kann zwar auf Auftrag tätig werden (wie zum Beispiel beim Spital Nord). Diesmal war es Routine. Auch die Handhabung der Mindestsicherung in Tirol und Vorarlberg wurde überprüft.

9 Wie geht es mit der Mindestsicherung in Wien weiter?

Fix ist bisher nur, dass es mehr Sachleistungen und Anreize für junge Bezieher geben soll. Maßnahmen gegen die Zuwanderung aus den Bundesländern, die ihre Regeln verschärfen, dürften dagegen ausbleiben . (uw/win/red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2017)

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