Die Brigittenau, ein vergessener Bezirk mit sozialen Problemen

Tatort Jägerstraße: Ein Mann wurde durch einen Kopfschuss getötet.
Tatort Jägerstraße: Ein Mann wurde durch einen Kopfschuss getötet.(c) APA/HERBERT PFARRHOFER
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Die Schießerei auf offener Straße war die dritte innerhalb von 18 Monaten. Im Bezirk gibt es Problemgrätzel – die vernachlässigt werden.

Wien. Von den Blutspuren jenes Mordes, der am Ostersonntag im 20. Bezirk begangen wurde, war am Montag nichts mehr zu sehen. Ein 27-jähriger Kosovare hatte einen 26-jährigen Österreicher mit bosnischen Wurzeln nach einem vorangegangenen Streit mit einem Kopfschuss in der Jägerstraße getötet. Wenig später stellte sich der Täter. Heute, Mittwoch, wird über die U-Haft entschieden.

Am Sonntag gab es aber noch einen weiteren Mordversuch im Bezirk: Ein 38-jähriger Serbe wollte an seiner Cousine im Auftrag ihres Vaters einen Ehrenmord begehen. Sie konnte sich wehren und schlug ihm eine Vase auf den Kopf, er wurde mit schweren Verletzungen eingeliefert.

Auch Schießereien auf offener Straße gab es im Bezirk zwei weitere in den vergangenen eineinhalb Jahren: Im Sommer 2015 kam es in der Pasettistraße zu einem Schusswechsel zwischen zwei Serben. Ein 13-jähriger unbeteiligter Bub auf einem Fahrrad erlitt dabei einen Bauchschuss. Nur wenige Wochen später fielen vor einem Lokal in der Nordwestbahnstraße wieder Schüsse: Es ging um Schutzgelderpressungen – ein Mann erlitt einen Oberschenkeldurchschuss. Vor demselben Lokal wurde 2009 übrigens schon einmal ein Mann erschossen.

Die Brigittenau ist ein Brennpunktbezirk mit sozialen Problemen: Nach Rudolfsheim-Fünfhaus ist er der ärmste Wiens, mit dem zweithöchsten Migrantenanteil und der dritthöchsten Arbeitslosigkeit. Einige Grätzel entwickeln sich besonders problematisch: Da wäre etwa das Areal rund um die Millennium City am Handelskai, wo der Drogenhandel blüht, und es im vergangenen Frühling zu einer Massenschlägerei mit 50 Jugendlichen und mehreren Schwerverletzten kam. Eine tschetschenische und eine afghanische Gang waren aufeinander losgegangen. Um die Ecke kam es wenige Wochen später wieder zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen – ein Algerier wurde mit einem Samuraischwert lebensgefährlich verletzt. Und im Einkaufszentrum selbst machen nach wie vor selbst ernannte muslimische Sittenwächter Probleme: Sie weisen junge Mädchen darauf hin, dass sie sich „angemessen“ kleiden sollen. Das Einkaufszentrum hat deswegen einen privaten Sicherheitsdienst engagiert.

Stillstand im Bezirk

Das Grätzel rund um die U-Bahn-Station Jägerstraße ist nicht viel attraktiver: Dort ist der Hannovermarkt, der von Halal-Fleischhändlern dominiert und gern von voll verschleierten Frauen zum Einkaufen genutzt wird. Sozialarbeitern ist das Grätzel rund um den Markt als Brennpunkt für IS-Anhänger bekannt, dagegen getan wird wenig. Wenige Meter weiter in dem kleinen Park hinter der U-Bahn-Station wird mit Drogen gedealt. Es kommt immer wieder zu Revierkämpfen zwischen den Dealern.

Die Brigittenau ist auch ein vergessener Bezirk: Denn während politische Parteien am Praterstern Stimmung gegen Kleindealer gemacht haben – was dort zu ständiger Polizeipräsenz geführt hat –, sieht man Uniformierte in der Brigittenau weit nicht in so großer Zahl. Aber auch sonst passiert im Bezirk vieles nicht, was andernorts schon lange umgesetzt wurde. Etwa die Belebung und Neugestaltung von Geschäftsstraßen – die Wallensteinstraße stirbt als Einkaufsstraße ebenso wie als soziales Zentrum des Bezirks.

Ein solches könnte auch wie in anderen Bezirken der Markt werden – aber auch hier hinkt der 20. Bezirk hinterher: Fast alle anderen Märkte wurden schon renoviert. Für den Hannovermarkt gibt es keine Pläne – das sei Bezirkssache, heißt es im Marktamt. Dort hat man nicht vor, etwas zu ändern. Und das, obwohl etwa bekannt ist, dass ein Fleischer seine Reste im Kanal entsorgt, und es aufgrund der schlechten hygienischen Bedingungen laufend Kontrollen der Lebensmittelbehörde gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2017)

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