Bollwerk gegen Türkis-Blau? Wie Wien seine Rolle sucht

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Symbolbild. (c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Die rot-grüne Stadtregierung inszeniert sich als Bollwerk gegen die türkis-blaue Bundesregierung. Gernot Blümel freut sich über das plötzliche Interesse an der Wiener ÖVP.

Zuerst die Demonstranten, nun also die Stadtregierung. Am Tag zwei der neuen Bundesregierung nutzt auch die Stadtpolitik die Gelegenheit, politisch Stellung zu nehmen. Bürgermeister Michael Häupl reagiert trotzig auf den FPÖ-Vorschlag, Asylquartiere am Stadtrand einzurichten, und fragt sich, wo die hinkommen sollen. „Vielleicht in die Sisi-Villa im Lainzer Tiergarten.“ Maria Vassilakou beschwört Wien als Gegenmodell zur Retro-Politik. Gernot Blümel wiederum sieht endlich die Zeit der ÖVP Wien gekommen.

Häupls Erbe: Wien als rote Trutzburg

SPÖ. Gelassen und kampflustig gleichermaßen – so reagierte Michael Häupl bei seinem letzten Weihnachtsempfang auf die Ankündigungen im türkis-blauen Regierungspakt. Der geplante Einkommenscheck im sozialen Wohnbau? „Auf den Gemeindebau hat der Bund rechtlich keinen Zugriff“, sagt Häupl. Sollte die Regierung es versuchen, „klagen wir“ (siehe dazu S. 1). Auch die Forderung, Wien müsse die Pensionsreform früher umsetzen, lässt ihn kalt: „Die können reinschreiben, was sie wollen.“ Und ob die Verschärfungen bei der Mindestsicherung via Grundsatzgesetz durchgehen, bleibe ebenfalls dahingestellt: „Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, uns zu wehren“. Für Häupl ist jedenfalls klar, dass sich das Regierungsprogramm gegen Wien und allgemein gegen Städte richtet. Dort werde gezielt „Armut und Obdachlosigkeit befördert“ und Unruhe gestiftet. Das gelte auch für den Vorschlag des blauen Noch-Wiener–Vizebürgermeisters Johann Gudenus, Flüchtlingsgroßquartiere am Stadtrand zu errichten. Ein „vollkommener Blödsinn“, so Häupl. Das derzeitige System mit privaten Unterkünften funktioniere doch. Gut am neuen Pakt findet Häupl nur zwei Dinge: das zweite verpflichtende Kindergartenjahr – „und dass die Integrationsagenden nicht zu Kickl ins Innenministerium gewandert sind.“ (uw)

Vassilakou und die Angst vor Retro-Politik

Grüne. Nichts verbindet so sehr wie ein gemeinsamer Feind. Insofern sind das gute Voraussetzungen für die ohnehin gebeutelten Wiener Grünen. Vize-Bürgermeisterin Maria Vassilakou nutzte am Dienstag eine Pressekonferenz, um vor der neuen Regierung zu warnen. „Es geht mit Vollgas zurück in die Vergangenheit, zurück in die 60er Jahre, zurück in die Mottenkiste“, so Vassilakou, die gemeinsam mit Klubobmann David Ellensohn ihre Hauptkritikpunkte vorbrachte und vor einer „Retro-Politik“ warnte.

Vor allem der von Noch-Vizebürgermeister Johann Gudenus (der nun FPÖ-Klubchef im Parlament ist) eingebrachte Vorschlag, Asylquartiere am Stadtrand einzurichten und die privaten Unterbringung zu verbieten, lehnt Vassilakou strikt ab. „In Wien sind davon an die 13.000 Menschen betroffen, das sind mindestens zwei Traiskirchen.“ Für sie sei der Vorschlag nicht nur „menschenverachtend, sondern auch zutiefst inkompetent“.

Beim Thema Wohnen kritisiert Ellensohn vor allem die Verschärfung hinsichtlich des Weitergaberechts und auch den Lagezuschlag in Gründerzeitviertel. So würde sich dadurch etwa die Miete einer 75-Quadratmeter-Wohnung in Ottakring um 150 Euro erhöhen. Auch bei Mindestsicherung, Verkehr und Bildung warnen die Grünen vor Rückschritten. (ks)

Wölbitsch und Arnoldner rücken Blümel nach

ÖVP. Die Freude über den ersten, den offensichtlichsten Effekt war nicht zu übersehen. „Ich freue mich über das rege Interesse auch an der Wien-Politik der ÖVP“, sagt Gernot Blümel vor vollem Haus in der Lichtenfelsgasse, und kurz wirkt es da, als müsse er sich ein zu breites Grinsen verkneifen. Schließlich war das in Wien lange ganz anders.

Seit Montag ist Landesparteichef Blümel nun Kanzleramtsminister, will aber in Wien aktiv bleiben. „Ich freue mich, die ÖVP Wien als Obmann in die nächste Wahl zu führen“. Seine Funktion als nicht-amtsführender ÖVP-Stadtrat übernimmt indes Landesgeschäftsführer Markus Wölbitsch, dessen Agenden Bernadette Arnoldner. Die bisher stellvertretende Obfrau der ÖVP Liesing wurde zur ersten Frau als Geschäftsführerin gewählt.

Wölbitsch will den kantigen Oppositionskurs fortsetzen: Thematisch will er sich um Infrastrukturprojekte wie die dritte Piste in Schwechat oder den Lobautunnel kümmern, oder das Krankenhaus Nord und die Mindestsicherung (hier strebt man eine Reform samt 1500-Euro-Deckelung an). Zur Frage der Asyl-Großquartiere, die Johann Gudenus (FPÖ) am Montag aufgebracht hatte, wollte sich Blümel nicht konkret äußern: „Ich stehe zu dem, was wir mit der FPÖ ausgemacht haben“. Was das für die Unterbringung heiße? Werde man sich ansehen. (cim)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2017)

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