Silberne Hochzeit mit Wölkchen

Life-Ball-Organisator Gery Keszler mit Conchita vor der (Heimat-)Kulisse auf dem Wiener Rathausplatz.
Life-Ball-Organisator Gery Keszler mit Conchita vor der (Heimat-)Kulisse auf dem Wiener Rathausplatz.(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Der Life Ball setzte sich zu seinem Jubiläum mit seiner eigenen Heimat auseinander. Nach 25 Jahren scheint die Beziehung ein wenig schwierig geworden zu sein.

Grüne Hirsche springen übers Gmundnergeschirr, die Tische sind mit weißen Nelken und Zwergglockenblumen geschmückt, der Tafelspitz kommt auf großen Platten, damit die Festgäste beim Zugreifen ins Gespräch kommen: Wie eine ländliche Hochzeit war das Solidarity Dinner im Festsaal des Wiener Rathauses ausgerichtet, das am Samstagabend dem Life Ball vorangehen sollte. Und wie Kreativplaner Andi Lackner meinte: Ein wenig auch wie eine Silberhochzeit.

Auch wenn Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger und Conchita als Georg von Trapp und Fräulein Maria beim an „Sound of Music“ angelehnten Life Ball freilich erst ganz frisch als Moderatoren und Hochzeitspaar zueinander gefunden hatten – besser passte zum gestrigen Großevent tatsächlich das Bild der Silberhochzeit. 25 Jahre, da hat man schon einiges miteinander durchgemacht. Die Aufregung des Kennenlernens, die Euphorie der Anfangsjahre ist verflogen. Auch die Jahre der gemeinsamen Aufbauarbeit sind vorbei. Und irgendwann stellen sich beide Seiten die Frage: War es das? Braucht, mag, will man sich noch? Gibt es einen Grund, weiterzumachen?

Im Fall des Life Balls und seines Publikums fiel die Antwort heuer ambivalent aus. Ginge es nur um die Party, hätte Gery Keszler schon vor Jahren aufhören müssen – schließlich soll man es tun, wenn es am schönsten ist. Heute sind die Zeiten vorbei, da, wer Karten kaufen wollte, in einer Art Tombola auf sein Glück hoffen musste (wie es beim Neujahrskonzert der Fall ist). Der Run auf die Tickets – 180 Euro für ein reguläres, halb so viel bei aufwendiger Kostümierung – ist passé. Erstmals, angeblich aus Jubiläumsgründen, gab es sogar eine Abendkasse. Vom Publikum der ersten Stunde sind, ein Vierteljahrhundert später, viele heute lieber im Golf Club oder goutieren die Breite und Marketingmaschinerie der zum Großevent gewordenen Szeneparty nicht, unter Jüngeren herrscht wenig G'riss.

Die Kreativität des Balls ist dabei ungebrochen: Ein alpines Postkartenidyll sollte sich bei der Eröffnung als Puzzle in seine Einzelteile zerlegen, den Blick auf das Rathaus als Kathedrale samt LED-Bildern für die Hochzeit freigeben. Dazu aufwendige Kostüme auf der Bühne und im Publikum, die Debütanten in einer Mischung aus Tracht und Hochzeitskleidung.

Urteilt man nach der Qualität, hätte auch das Life+ Celebration Concert im Burgtheater ausverkauft sein müssen. Für Jonas Kaufmann, René Pape oder, als Überraschungsgast, Juan Diego Floréz samt seiner Gitarre steht das Publikum anderswo Schlange. Auf vielschichtige Weise näherte man sich dort dem Heimatbegriff. Was ist Heimat? Eine Nation samt ihrer Grenzen? Ein bestimmter Ort, ein Geruch, eine Kindheitserinnerung? Oder hat doch Ernst Bloch recht mit seinem Satz: „Heimat ist da, wo noch niemand war“?


Sehnsucht nach Zuhause. Die deutsche Sängerin Ute Lemper schließlich schlug zu viel Gänsehaut den Bogen ins Jahr 1938 und zur Schriftstellerin Ilse Weber, die ins Ghetto Theresienstadt kam, wo sie als Kinderkrankenschwester arbeitete. Als sie 1944 mit einer Gruppe von Kindern in Auschwitz in die Gaskammer ging, ermunterte sie die Kinder, tief einzuatmen und aus voller Kraft zu singen – um nicht länger als nötig zu leiden. Ihr Mann vergrub ihre Manuskripte in einem Pferdestall und fand sie nach dem Krieg wieder. „Nach Haus! – du wunderbares Wort“, sang Lemper in Webers Lied „Theresienstadt“. „Man nahm mir mein Zuhause fort, nun hab ich keines mehr.“

Es sei wohl kein Zufall, dass alle Welt „Sound of Music“ kennt, nur die Österreicher nicht, meint Gery Keszler. Hier sei man 1965 wohl noch nicht reif gewesen für die Geschichte der vertriebenen Familie, die vor den Nazis fliehen musste und schließlich in den USA für Furore sorgte. Nicht selbstverständlich war es auch, die Rechte dafür zu bekommen. Man bekam sie – bei der internationalen Pressekonferenz am Samstag in der Albertina richtete Joel Goldman, Managing Director der Elizabeth Taylor AIDS Foundation, Grüße von Julie Andrews und den anderen Darstellern aus.

Life Ball, das ist heute auch Kardinal Christoph Schönborn im Publikum im Burgtheater und Museumsdirektorin Sabine Haag bei der dröhnenden Afterparty im Le Méridien. Es sei diese Breite, die ihn erstaunt habe – Drag Queens neben Celebrities und den großen Hilfsorganisationen, sagt ein angereister New Yorker, der amerikanische Mode- und Schwulenmagazine wie das „Out Magazine“ über die hiesigen Schritte von Stargästen wie Adrien Brody, Charlize Theron oder Paris Jackson versorgte. Viele im Ausland hätten vom Life Ball nur das Bild einer Party, ohne seine Vielschichtigkeit. Sofern sie überhaupt eine Vorstellung haben: „Was ist das für ein Event? Ein Anti-Lugner-Opernball?“ fragte unlängst die deutsche Kollegin, die hauptberuflich Hollywoodstars interviewt.

Und auch in seiner Heimat Österreich kämpft der Life Ball mit der Kommunikation. Er will der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, vor Intoleranz und Demokratieverlust warnen. Gleichzeitig sich auf seine Kernaufgabe konzentrieren: Nach 25 Jahren, klagt Gery Keszler, müsse man den Österreichern immer noch den Unterschied zwischen HIV und Aids erklären. Dabei sei Österreich in Bezug auf die Krankheit ohnehin eine Insel der Seligen. Anderswo sind die Zustände weniger rosig. Weltweit werden Projekte von Wien (mit)finanziert. Genau deshalb ist es auch nicht so einfach, aufzuhören.

Aber vielleicht erneuern der Life Ball und seine Heimat nach diesem Jubiläum ja auch einfach ihr Eheversprechen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2018)

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