Brennpunktschulen: „Wir ziehen eine Generation von Analphabeten heran“

Viele Probleme, wenig Unterstützung: Direktoren erzählen, was sich hinter den Fassaden abspielt
Viele Probleme, wenig Unterstützung: Direktoren erzählen, was sich hinter den Fassaden abspieltFabry / Die Presse
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Eigentlich trauten sie sich nicht zu reden, dann erzählen sie doch: Zwei Volksschuldirektorinnen schildern, was sich hinter den Fassaden von Brennpunktschulen in Wien abspielt. Eine Geschichte von Kindern, die das Wort Wolken nicht kennen, Eltern, die keine 50 Cent für ein Buch ausgeben wollen, und Lehrern, die sich mehr Unterstützung sowie die Rückkehr des Sitzenbleibens wünschen.

Die Schulglocke läutet und am Gang wird es schlagartig lauter. Die Regeln der Grammatik sind nun hörbar außer Kraft gesetzt: „Gemma Hof“, ruft da ein Volksschüler. „Ich gehe zu Hause“, sagt dort ein anderer und zwischendurch hört man noch „Was für?“.

Seit Monaten diskutiert die Republik über Versäumnisse in den Schulen. Es geht um das Erlernen der deutschen Sprache, um (missglückte) Integration, um soziale Probleme, manchmal auch um Gewalt. Um Deutschklassen. Um die Einführung einer Deutschpflicht am Pausenhof. Allerlei Meinungen, Erklärungen und Forderungen geistern durch das Land. Das Thema bewegt. Es polarisiert. Doch was sagen eigentlich jene, die in solchen Klassen unterrichten? Ein Besuch in zwei Wiener Brennpunktschulen.

„Ich bin seit fast 20 Jahren in dieser Position und mich hat noch nie jemand nach meiner Meinung gefragt,“ sagt die Direktorin, an deren Volksschule Sätze wie „Gemma Hof“ alltäglich sind. Sie hat viel zu erzählen. Aber auch ein mulmiges Gefühl. Und deshalb eine Bedingung: Weder ihr Name noch die Adresse ihres Arbeitsplatzes sollen in der Zeitung stehen. Ihre Volksschule soll nicht endgültig abgestempelt werden. Sie hat schon genug Probleme.

Die Direktorin wirft einen Blick auf die Schulstatistik. „Wissen Sie, es wird ständig hysterisch vor „Ghettoklassen“ gewarnt, dabei habe ich hier schon jetzt ausschließlich solche.“ Der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund liegt bei fast 100 Prozent. Ihre Schützlinge stammen etwa aus der Türkei, aus Serbien, Bosnien, Tschetschenien, Afghanistan und anderen Ländern. Mehr als 40 Sprachen hallen in den Pausen durch die Schule. Soziale Durchmischung gibt es kaum. Die wenigen Bildungsbürger, die in der Gegend wohnen, würden meist einen Bogen um die Schule machen. Sie weichen in Privatschulen oder zumindest in Schulen mit einem besseren Ruf aus. „Zu uns kommen diese Kinder höchstens, wenn sie aus anderen Schulen geworfen werden.“ Das klinge hart, sei aber Realität.

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