David Ellensohn: „. . . dann bin ich gern links“

David Ellensohn will im Wiener Rathaus übersiedeln – vom grünen Klub ins Stadtratsbüro von Vassilakou.
David Ellensohn will im Wiener Rathaus übersiedeln – vom grünen Klub ins Stadtratsbüro von Vassilakou. (c) Mirjam Reither
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David Ellensohn will Maria Vassilakou nachfolgen, die Wiener Grünen weiter nach links führen und die soziale Frage wieder ins Zentrum grüner Politik in Wien setzen.

Die Grünen brauchen einen Neuanfang. Steht ein Politiker, der seit 2001 im Wiener Gemeinderat ist, für Erneuerung?

David Ellensohn: Die personelle Erneuerung betrifft nicht eine Person, sondern ein gesamtes Team. Auf Bundesebene wird dieses Team fast völlig neu aussehen und in Wien zu einem Gutteil ebenfalls. Dazu kommt die inhaltliche Erneuerung. Also: Welche Inhalte haben wir zu wenig beachtet, welche waren zu dominant? Daneben geht es um eine organisatorische und strukturelle Neuaufstellung.

Falls Sie grüner Spitzenkandidat für 2020 werden: Kommt ein neues Team? Einige Grüne sitzen ja seit Jahrzehnten im Gemeinderat.

Nach Wien-Wahlen sind etwa ein Drittel der Grün-Abgeordneten neu. Diese Erneuerung wird auch das bestehende Team treffen. Es werden zukünftig starke Leute mit an Bord sein, die jetzt noch nicht aktiv in der Politik arbeiten.

Peter Kraus präsentiert sich jung, urban und hip und ist mit einem Hochglanzvideo in den grün-internen Wahlkampf eingestiegen. Sie dagegen mit einer Korruptionsanzeige gegen Politiker, die angeblich soziale Wohnungen verschleudern. Hier treffen zwei Welten aufeinander, oder?

Ich werde mich ausschließlich auf meine Stärken konzentrieren. Ab 5. September werden wir uns einem fairen Wettbewerb der Positionen und Themen stellen.

Würde Kraus (31) nicht deutlicher eine Verjüngung der Wiener Grünen symbolisieren?

Das Alter allein ist keine Garantie für eine echte inhaltliche Verjüngung. Die ÖVP hat Sebastian Kurz und Gernot Blümel an der Spitze, das Ergebnis ist eine Koalition mit Rechtsextremen und eine unmoralische und verstaubte Politik, dass ich mir Reinhold Mitterlehner zurückwünsche. Alter schützt vor Torheit nicht, Jugend leider auch nicht.

Sie treten für den linken Flügel an, Kraus für den Realo-Flügel: Wie definiert Sie „links“?

In Wien kann jede und jeder mit ausreichend Geld hervorragend leben. Wien ist großartig, leider nicht für alle. Wenn jemand nicht weiß, wie man den Kühlschrank nach dem 20. des Monats füllen soll, wenn Kinder nicht mit auf die Schullandwoche fahren können, wenn im Winter nicht ausreichend geheizt werden kann – das sind genau die Wienerinnen und Wiener, für die wir auch und verstärkt Politik machen. Da kommt man mit Sprüchen wie „Wien ist leiwand, an jedem Abend steigt irgendwo eine Party, es gibt schon wieder eine neue Bar, genieß dein Leben, habt euch lieb“, nicht durch. Wenn jemand keine Lehrstelle findet, die Miete nicht zahlen kann, nutzt ihm das nichts. Ohne Perspektiven aufzuzeigen, verlieren wir diese Leute, und das gefährdet am Ende unsere Demokratie.

Die soziale Frage wurde vernachlässigt?

Die Frage ist: Machen wir ausschließlich Politik für Leute, die es ökonomisch leichter haben und sich den Kopf über wichtige Punkte wie Radfahren oder weniger wichtige wie Barttrimmen oder Designermode zerbrechen können? Oder machen wir Politik, um die Probleme der Menschen lösen zu können, die mit weniger Geld über die Runden kommen müssen? Es geht um leistbare Wohnungen, Bildungsmöglichkeiten für die Kinder und ausreichend bezahlte Arbeit.

Die Anspielung mit dem Barttrimmen werden Ihnen grüne Hipster übel nehmen. Wollen Sie denen auch weniger Radwege für deren Klapprad bauen als Maria Vassilakou?

Mehr, doppelt so viele Radwege in Wien wären gut für alle – auch für die Autofahrer, weil Radfahrer und Radfahrerinnen nicht im Auto sitzen und Stau verursachen.

Es geht bei den Wiener Grünen jedenfalls wieder um den alten Kampf „linker Flügel gegen Realo-Flügel“. Früher war das ein erfolgreiches Wählervertreibungsprogramm.

Es ist klar, dass man geeint erfolgreicher ist. Aber jede Partei hat ein Spektrum. Bei den Grünen ist die Zuschreibung von links bis linksliberal.

Was heißt das in der Praxis?

Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Da sind wir Grüne einig. Die Frage ist: Wie viel kann man jenen abverlangen, die im Überfluss leben? Und wie sehr engagiere ich mich für jene, die für ihre Kinder nicht die Rechnungen zahlen können? Spätestens dann gehen die Meinungen auseinander.

Sie wollen die Wiener Grünen weiter nach links führen und die soziale Frage wieder stärker in den Mittelpunkt stellen?

Ich habe 2010, beim Koalitionseintritt der Grünen, die erhöhte Mindestsicherung für Kinder durchgesetzt. Das bedeutet 20 Millionen Euro jährlich für die allerärmsten Familien. Wenn man dadurch als links bezeichnet wird, bin ich gern links. Wenn man sich für andere Fragen einsetzt, die auch wichtig sind, bekommt man eben eine andere Zuschreibung.

Würden Sie als Nummer eins das umstrittene Projekt am Heumarkt stoppen?

Rechtlich ist das nicht möglich. Rückblickend würde niemand von uns das Projekt nochmals so aufsetzen.

Die Wiener SPÖ ist nach rechts in die Mitte gerückt, während Sie die Grünen weiter nach links führen wollen. Eine Zerreißprobe für die Koalition?

Michael Ludwig versucht, FPÖ-Wähler zurückzuholen, mit Ansagen und Maßnahmen, die ich nicht teile. Vernachlässigt die SPÖ den Sozialbereich, müssen wir uns noch stärker darum kümmern. Ich stelle klar: Es gibt Punkte, bei denen ich nicht mitkann, z. B. bei einer Streichung der erhöhten Mindestsicherung für Kinder.

Sie fahren beim KH Nord Nord und beim geplanten Verkauf von Sozialwohnungen eine härtere Linie als die Opposition. Wieso?

Der Ausverkauf von Sozialwohnungen ist eine rote Linie. Falls wir das nicht kritisieren, weil vielleicht jemand von der SPÖ drinnenhängt, ist das falsch und aufklärungswürdig.

Steckbrief

David Ellensohn wurde am 24. Juli 1963 in London geboren, wuchs in Vorarlberg auf.

1996 wurde er grüner Bezirksrat bzw. Klubobmann im 15. Wiener Gemeindebezirk.

2001 zog Ellensohn für die Grünen in den Gemeinderat ein.

2004 löste er Maria Vassilakou als nicht amtsführende Stadträtin ab.

2010 übernahm er von Vassilakou die Position als Klubchef.

2018. Ellensohn steigt in den Ring für die grüne Spitzenkandidatur bei der Wien-Wahl 2020. Die Entscheidung fällt (nach derzeitigem Stand) zwischen Ellensohn und dem grünen Gemeinderat Peter Kraus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2018)

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