Neue Wiener Grünen-Spitzenkandidatin Hebein: "Klarer sagen, wo wir stehen"

Die bisherige Sozialsprecherin Birgit Hebein hielt ihre erste Rede vor der grünen Basis als Spitzenkandidatin für 2020 und Nachfolgerin von Maria Vassilakou.
Die bisherige Sozialsprecherin Birgit Hebein hielt ihre erste Rede vor der grünen Basis als Spitzenkandidatin für 2020 und Nachfolgerin von Maria Vassilakou. APA/HERBERT NEUBAUER
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Am Parteitag der Wiener Grünen absolvierte Birgit Hebein ihren ersten großen Auftritt als neue Chefin der Wiener Grünen. Und machte einige interessante Ankündigungen.

Von alten Gewohnheiten trennt man sich schwer. Und so beginnt die 80. Landesversammlung der Wiener Grünen wie alle anderen zuvor – mit sehr deutlicher Verspätung. Trotzdem ist dieser grüne Parteitag anders. „Gemeinsam in neue Zeiten“, wird in großen Buchstaben auf die Leinwand hinter der Bühne projiziert. Dort blickt Maria Vassilakou leicht nachdenklich in den Saal des Veranstaltungszentrums im 21. Bezirk, in dem sich anfangs rund 150 Grüne versammelt haben.

An diesem Tag steht Vassilakou nicht mehr als grüne Frontfrau auf der Bühne, die die Linie der Partei vorgibt, sondern als „Einheizerin“, wie sie es selbst formuliert: „Heute bin ich bloß die Vorband. Der heutige Tag gehört Birgit“, erklärt Vassilakou in Richtung der neuen grünen Nummer eins, Birgit Hebein. Die bisherige Sozialsprecherin hat die grüne Spitzenwahl gewonnen und wird die Stadt-Grünen in die nächste Wien-Wahl 2020 führen. Davor wird Hebein (voraussichtlich im nächsten Juni) auch Vassilakous Funktionen als Vizebürgermeisterin sowie als Stadträtin für Verkehr und Stadtplanung übernehmen.

Vassilakou nutzt ihre Rede nicht nur als „Einheizerin“ für Hebein, sondern auch als Einleitung für ihren politischen Abschied – mit reichlich Ironie. „Bei der nächsten Landesversammlung wird mein Abschied gefeiert. Aber spart euch die Tränen der Freude oder Rührung – je nachdem – für die nächste Landesversammlung“, erklärt die bisherige grüne Frontfrau in Anspielung auf ihre nicht unumstrittene, oft polarisierende Rolle bei den Wiener Grünen. Gleichzeitig streut sie Hebein Rosen: Diese sei eine „prononcierte Sozialpolitikerin, ein unermüdliches Arbeitstier und ein strategischer Kopf“. Und sie appelliert nach den grünen Flügelkämpfen an die Einigkeit der Partei: „Nun gilt es, der neuen Nummer eins volle Rückendeckung zu geben.“ Das quittieren die Delegierten mit tosendem Applaus.

Drei Geschenke

Die künftige grüne Vizebürgermeisterin bedankt sich sichtlich gerührt bei Vassilakou, die ihr drei Geschenke mit auf den Weg gibt: Ein Kleeblatt (Vassilakou: „Ohne Glück geht es nicht“), ein mobiles Fußmassagegerät für mehr Ausdauer bei den anstehenden Hausbesuchstouren der Grünen und eine sogenannte Phrasendreschmaschine für Momente, in denen Hebein einmal keine Antwort auf (Journalisten-)Fragen einfallen sollte.

Jubel brandet auf, als Hebein dann an das Rednerpult tritt: „Leute! Wir sind die einzige ökologische und solidarische Alternative in dieser Stadt.“ Ohne Grüne würde es keine 365-Euro-Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr in Wien geben und auch keine neue Bauordnung, die zwei Drittel für geförderten Wohnbau bei Umwidmungen reserviere: „Leute! Das wird eines Tages so historisch sein wie der Gemeindebau.“

Wohin führt der grüne Weg unter Hebein? Straßen mit Begegnungszonen wie die Mariahilfer Straße sollen „nicht die Ausnahme, sondern die Regel werden“. Der öffentliche Bereich sei „mit Autos überfüllt – hier haben wir noch viel zu tun“, meint die Grüne, die wenig überraschend den Lobau-Tunnel ablehnt, aber erklärt, dass die Entscheidung bei Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) liege. Nebenbei signalisiert Hebein, dass sie das Thema Citymaut forcieren wird.

In ihrem Element ist Hebein beim Thema Sozialpolitik: „Menschenrechte sind unteilbar – hier verhandle ich nicht.“ Nachsatz: „Alle Menschen sind gleichwertig, alle müssen ausreichend Ressourcen für ihr Leben haben.“ Dazu sei die Demokratie zu verteidigen – sei es durch Angriffe von Islamismus, Rechtsextremismus oder Angriffe „dieser Bundesregierung“, so Hebein, die dazu erklärt, sie werde die rot-grüne Koalition in Wien natürlich „als Gegenmodell, im Angesicht dieser Bundesregierung, weiterführen“. Bemerkenswerter Nachsatz in Richtung Koalitionspartner: „Möglicherweise werden wir klarer sagen müssen, wo wir als Grüne stehen.“ Eine Kampfansage an die SPÖ Wien und Neo-Bürgermeister Michael Ludwig, dass unangenehme Beschlüsse nicht mehr mitgetragen werden? Das relativiert Hebein sofort: „Wir werden sagen: Das sind die gemeinsamen Kompromisse, das ist Demokratie.“

Medien ausgeschlossen

Vor Hebeins Rede hatte Vassilakou noch erklärt: „Wir haben das größte demokratische Experiment in der österreichischen Parteigeschichte gemacht“, so die Anspielung an die grüne Spitzenwahl, bei der auch Nicht-Parteimitglieder (Sympathisanten) mitstimmen durften. Und: „Wir haben das eingebracht, was immer gefordert wurde: Offenheit!“

Dem steht gegenüber, dass die Medien bei weiten Teilen des grünen Parteitags ausgeschlossen sind – was seit dem grün-grünen Flügelkampf praktiziert wird. Und das, obwohl im Statut der Partei verankert ist, dass die gesamte Landesversammlung grundsätzlich öffentlich sein muss.
Nebenbei wird auf diesem grünen Parteitag auch gewählt. Die Frage ist: Wer folgt dem Wiener Landessprecher Joachim Kovacs, der im grün-grünen Flügelkampf das Handtuch geworfen hat? Das ist eine spannende Frage, da diese Funktion bei den Grünen rein formell jenem eines Parteichefs entspricht – auch wenn der Landessprecher bei den Wiener Grünen nur nach innen wirkt. Und spannend, da prominente Kandidaten an diesem Tag in den Ring steigen: Der öffentlich bekannte Menschenrechtsanwalt Georg Bürstmayr kandidiert für diesen Posten ebenso wie Nicolas Pawloff. Er ist der Sohn von Freda Meissner-Blau, der 2015 verstorbenen Galionsfigur der österreichischen Grünen, deren erste Vorsitzende sie war.

Schließlich die Überraschung: Peter Kristöfel, der dritte Kandidat, der Lehrer und Bezirksrat im bürgerlichen Döbling ist, setzt sich gegen die prominente Konkurrenz durch. Dass sich der geborene Grazer intensiv in den Erneuerungsprozess der Wiener Grünen eingebracht hatte, dürften ihm die 56,7 Prozent gebracht haben, mit denen er nun neuer Landessprecher der Wiener Grünen ist.

("Die Presse am Sonntag", 2. Dezember 2018)

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