Verfassungsrechtler Öhlinger meint in Bezug auf den wackeligen Weltkulturerbe-Status: Der Bund könne eine Neuwidmung des Areals verlangen.
Wien. Das historische Zentrum von Wien ist seit 13. Dezember 2001 Weltkulturerbe im Sinn der Welterbe-Konvention. Schon Jahre zuvor, 1992, ist Österreich per Staatsvertrag dieser Konvention beigetreten. Doch seit 2017 steht die Wiener Innenstadt auf der Roten Liste der Unesco – als „gefährdetes Erbe der Welt“. Grund: das Hochhausprojekt am Heumarkt. Doch dieses ließe sich per Änderung des Flächenwidmungsplans stoppen. Dies besagt ein Rechtsgutachten.
Genau genommen handelt es sich um eine „rechtliche Stellungnahme“, die der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger im Auftrag der Liste Jetzt ausgearbeitet hat. In dem der „Presse“ vorliegenden Papier schreibt Öhlinger, dass es laut Verfassung ein Weisungsrecht des Bundes an ein Land gebe. Dann nämlich, wenn der Bund seine staatsvertragliche Verpflichtung in Bezug auf die Erhaltung des Welterbes einhalten müsse („Die Presse“ berichtete). Eine genauere Analyse des Öhlinger-Papiers zeigt nun, dass auch der Wiener Flächenwidmungsplan wackelt.
So heißt es auf Seite fünf im Kapitel „Weisungsrecht“ des Bundes: „Wohl aber kann eine solche Weisung selbstverständlich auch die Erlassung bzw. Änderung einer Verordnung, beispielsweise eines Flächenwidmungsplans, betreffen.“ Weisungsgeber wäre „der zuständige Bundesminister“, Empfänger die Landesregierung oder der Landeshauptmann. Das heißt konkret: ÖVP-Kulturminister Gernot Blümel könnte – eben per Weisung – direkt Druck auf Wiens Bürgermeister und Landeshauptmann, Michael Ludwig (SPÖ), ausüben.
Das Heumarkt-Hochhausprojekt des Investors Michael Tojner „lebt“ von der aktuellen Flächenwidmung, die unter anderem die Errichtung eines 66 Meter hohen Wohnturms zulässt. Der Plan, diesen Turm zu errichten, hat Wien auf die Rote Liste katapultiert.
Kommt es zu einer Weisung? Das ist offen, doch hat Blümel laut Austria Presse Agentur bereits erklärt, dass er – falls sich rechtlich dazu die Möglichkeit ergebe – eine Weisung zur Wahrung des Weltkulturerbes geben wolle. Jetzt-Kultursprecher Wolfgang Zinggl, der Auftraggeber des Gutachtens, meint: „Die Bundesregierung hat die gesetzliche Pflicht, die Flächenwidmung zu bekämpfen, um dem Völkerrecht zu entsprechen.“
Was passiert, wenn die Weisung kommt und Wien sich weigert, die Flächenwidmung zu revidieren? Immerhin sagt Wiens SPÖ-Landtagspräsident Ernst Woller, das Projekt sei fix. Dann steht eine Verurteilung durch den Verfassungsgerichtshof bzw. eine Ersatzvornahme des Bundes im Raum.
Auch Baden will das Prädikat
Indessen bewirbt sich auch der Kurort Baden (NÖ) mit zehn weiteren Kurorten um das Prädikat Weltkulturerbe. Am Dienstag stand die feierliche Unterzeichnung der entsprechenden Anträge in der tschechischen Botschaft in Paris auf dem Programm. Unter dem Titel „Great Spas of Europe“ möchten die Bewerberstädte die Bedeutung von Kurorten untermalen. Beteiligt sind außer Baden – die ehemalige kaiserliche Sommerresidenz ist für ihre Schwefelquelle bekannt – die deutschen Kurorte Bad Kissingen, Baden-Baden und Bad Ems sowie Karlsbad, Marienbad und Franzensbad in Tschechien, Spa (Belgien), Vichy (Frankreich), Montecatini Terme (Italien) und Bath (Großbritannien). Das Unesco-Welterbe-Komitee entscheidet im Sommer 2020 über die Anträge.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2019)