Interview

Greta Thunberg: „Ihr stehlt uns unsere Zukunft“

Greta Thunberg beim Interview in Wien: „Wir sahen Bilder von toten Tieren mit Plastik in ihren Bäuchen. Ich musste weinen.“
Greta Thunberg beim Interview in Wien: „Wir sahen Bilder von toten Tieren mit Plastik in ihren Bäuchen. Ich musste weinen.“(c) Akos Burg
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Die 16-jährige schwedische Aktivistin Greta Thunberg trat Ende Mai in Wien auf Arnold Schwarzeneggers Klimagipfel auf. Im Interview erklärte sie der „Presse“, warum sie während der Schulzeit demonstriert – und dass ihr Berühmtheit nichts bedeutet.

Die Presse: Sie sind 16 und innerhalb von neun Monaten zu einem der bekanntesten Gesichter der Welt geworden. Das „Time“-Magazin zählt Sie zu den 100 einflussreichsten Personen weltweit, alle wollen Interviews und Selfies mit Ihnen. Nehmen Sie das als Erfolg wahr oder als Last?

Greta Thunberg: Ich hätte nie gedacht, dass das alles einmal diese Entwicklung nehmen würde. So hatte ich das ja nicht geplant. Mein Plan war einfach, einen Schulstreik zu machen. Dass die Sache dann so groß geworden ist, hat mich selbst überrascht. An sich mag ich es überhaupt nicht, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Aber dann sage ich mir, dass es für eine gute Sache ist. Ich kann mich auch schwerlich beklagen, schließlich habe ich mich selbst in diese Situation gebracht.


Haben Sie den Eindruck, dass sich etwas verändert hat, seit Sie für den Klimaschutz aktiv sind?

Die Leute reden jetzt mehr über die Klimakrise, und die Botschaft verbreitet sich. Wenn die Medien über mich berichten, dann müssen sie auch über die Klimakrise berichten. Das ist ein guter Nebeneffekt dieser Berühmtheit. Aber die Berühmtheit selbst kümmert mich nicht, sie bedeutet mir nichts. Ich will einfach nur etwas verändern.


Sie sollen privat ein eher schüchterner Mensch sein, der nicht viel spricht. Wie schaffen Sie es dann, so wie jetzt in Wien vor Hunderten Menschen Reden zu halten?

Eigentlich fällt mir das gar nicht so schwer. Privat bin ich sehr zurückgezogen und mache nie Small Talk. Ich knüpfe nicht gern soziale Kontakte. Aber wenn ich eine Rede halte oder ein Interview gebe, dann geht es darum, meine Botschaft rüberzubringen. Ich weiß, was ich sagen will. Und wenn ich auf einer Bühne stehe, konzentriere ich mich nur darauf.


Am Freitag haben weltweit Hunderttausende Jugendliche die Schule bestreikt und nach Ihrem Vorbild mehr Klimaschutz gefordert. Was kann mit diesem Protest tatsächlich erreicht werden?

Wir können sehr viel erreichen, wenn genügend Menschen daran mitarbeiten. Die Leute werden schon aufmerksam, wenn wir ihnen vorhalten: Ihr stehlt uns unsere Zukunft! Gemeinsam können wir Druck auf die Entscheidungsträger ausüben.


Kritiker sagen, dass es vernünftiger wäre, nachmittags nach Schulende zu demonstrieren. Warum gehen Sie während der Unterrichtszeit auf die Straße?

Ich wollte etwas Neues machen. Ich war zuvor bei unzähligen Protestmärschen und Demonstrationen dabei. Kinder haben sonntags demonstriert, aber das hat überhaupt keine mediale Aufmerksamkeit erzeugt. Wenn wir diesen Protest nicht in der Schulzeit austragen würden, würde sich niemand dafür interessieren. Es wäre dann einfach nur noch so ein Protest. Aber jetzt ist es mehr als das.


Hat es ein Schlüsselerlebnis gegeben, das Ihren Einsatz für den Klimaschutz ausgelöst hat?

Als ich acht oder neun Jahre alt war, sahen wir in der Schule einen Film über Plastik im Meer. Wir sahen fürchterliche Bilder von toten Tieren mit Plastik in ihren Bäuchen und auch von schmelzenden Polkappen. Ich musste weinen, und auch meine Klassenkameraden waren traurig. Aber kurz darauf machte wieder jeder so weiter wie bisher. Das hat mich überrascht, denn ich konnte das nicht. Ich konnte diese Bilder nicht mehr aus meinem Kopf bekommen.


Im August 2018 haben Sie dann begonnen, freitags die Schule zu bestreiken, weil zu wenig für den Klimaschutz getan wird.

Ja, ich habe zunächst versucht, andere für die Idee zu begeistern, aber keiner wollte mitmachen. Also habe ich einfach allein begonnen.


Wie haben Ihre Eltern reagiert?

Die waren nicht sehr glücklich. Sie sagten: Bist du dir sicher, dass du das tun willst? Du riskierst damit deine Bildung, und es gibt doch viele andere Wege, wie du dir Gehör verschaffen kannst. Ich sagte einfach: Ich habe mich entschieden und ich mache das jetzt. Das werdet ihr akzeptieren müssen.


Haben sie?

Sie konnten mich nicht aufhalten. Sie können meinen Schulstreik nicht einfach unterstützen, weil Eltern sicherstellen müssen, dass ihre Kinder zur Schule gehen.


Sie scheinen einen sehr starken Willen zu haben.

Ja! Wenn ich eine Leidenschaft für etwas habe, dann bin ich äußerst stur.


Wie lang hat es gedauert, bis Ihnen andere Schüler gefolgt sind?

Am ersten Tag war ich allein. Dann kamen einige Journalisten, die etwas über mich schreiben wollten. Ich hatte meine Aktion ja auf Instagram und Twitter gepostet und sie ging viral. Schon am zweiten Tag saß ich nicht mehr allein da.


Im Jänner haben Sie in Davos eine inzwischen berühmte Rede gehalten, in der Sie gesagt haben: „Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr dieselbe Furcht verspürt, die ich jeden Tag spüre.“ Worin besteht diese Furcht genau?

Inzwischen spüre ich sie nicht mehr so stark. Angst hatte ich vor allem damals, als ich in den Bibliotheken gesessen bin und über die Klimaprognosen gelesen habe. Ich hatte Angst, dass ich keine Zukunft haben würde.


Das hat sich geändert?

Ja. Weil ich begonnen habe, mich zu engagieren. Wenn du Angst hast oder traurig bist, ist es der beste Weg, etwas zu unternehmen, zu verändern.


Wie sind Sie eigentlich nach Österreich gereist?

Mit dem Zug.


Sind Sie jemals geflogen?

Ja, natürlich. Als ich jünger war, hatte meine Familie einen sehr großen CO2-Fußabdruck. Meine Mutter ist beruflich sehr viel geflogen, und manchmal haben wir sie begleitet. Aber das war, bevor ich auf die Klimakrise aufmerksam geworden bin.


Die Flugbranche hat zuletzt Einbußen erlitten, weil weniger Kurzstreckenflüge gebucht werden. In der Branche nennt man das „Greta-Effekt“. Sehen Sie das als Erfolg?

Diese Entwicklung hat nicht notwendigerweise etwas mit dem Klimawandel zu tun. Aber wenn das doch eine Rolle spielt, dann zeigt es, dass die Menschen auf das Problem aufmerksam werden. Und das wäre ein gutes Zeichen.


Was ist es, das Sie so stark antreibt? Woher kommt diese enorme Entschlossenheit?

Ich denke, das kommt daher, dass ich weiß, was auf dem Spiel steht. Und ich sehe es als meine moralische Pflicht an, alles zu tun, was ich kann, um das Schlimmste abzuwenden.


Sie haben das Asperger-Syndrom, eine leichte Form des Autismus. Spielt das dabei auch eine Rolle?

Ja, wenn Leute wie ich in einer Sache sehr entschlossen sind, dann entfalten sie einen eisernen Willen. Und dann wird es durchgezogen.


Ihre Reden sind immer äußerst geschliffen und fokussiert. Das hat Sie zuletzt Verdächtigungen ausgesetzt, Sie würden sie gar nicht selbst schreiben und politisch instrumentalisiert.

Doch, ich schreibe sie selbst. Die Rede, die ich gerade hier in Wien gehalten habe, habe ich im Zug am Sonntagnachmittag entworfen. Gestern habe ich sie finalisiert. Natürlich hole ich mir Rat von anderen Menschen und halte Kontakt mit Wissenschaftlern für fachliche Fragen.


Wie lang bleiben Sie in Wien?

Ich reise am Freitagnachmittag wieder ab. Zuvor nehme ich hier am Heldenplatz aber noch am freitäglichen Schulstreik teil.

ZUR PERSON

Greta Thunberg ist derzeit die wohl populärste 16-Jährige. Als Klimaschutzaktivistin hat die Schwedin den Schulstreik für das Klima erfunden. Derzeit ist sie, bis Freitagnachmittag, beim von Arnold Schwarzenegger initiierten R20 Austrian World Summit in Wien, bevor es zurück in die Heimat geht – per Bahn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2019)

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