Lokalaugenschein: Hilfe, wenn die Krankheit da ist

(c) Clemens Fabry
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Der Wiener Verein HIVmobil betreut aidskranke Patienten zu Hause. Wie Michael, der nicht mehr gehen kann, weil eine Folgeerkrankung sein Gehirn angreift.

Man sieht Michaels Wohnung an, dass sie seiner verstorbenen Mutter gehört hat. Seit er hier wohnt, hat sich kaum etwas verändert. Bis auf den Laptop in der Ecke des kleinen Wohnzimmers, aus dem die Musik eines Internetradios kommt. Die grünen Zigarettenpackungen auf dem Tisch. Und das kleine Tischchen mit den gedrechselten Beinen, auf dem seine vielen Medikamente stehen. Michael selbst sitzt in kurzen Hosen in seinem Rollstuhl am Esstisch. Gerade hat er mit dem kleinen Bruder eines Freundes, einem jungen Mann mit blonden Rastalocken, Schach gespielt. Und danach endlich wieder einmal geduscht.

Michael, 47, ist aidskrank. Gehen, sich allein waschen kann er nicht. Zweimal in der Woche bekommt er daher Besuch von einem Mitarbeiter von HIVmobil, einem Verein, der sich auf die Hauskrankenpflege von HIV-positiven oder an Aids erkrankten Menschen spezialisiert hat. Heute ist Manfred Rothmeyer bei ihm, ein kräftiger Diplomkrankenpfleger, der eigentlich auf der Intensivstation eines Krankenhauses arbeitet – und nebenbei freiberuflich für HIVmobil, genauso wie das Dutzend seiner Kollegen.

Sie alle kennen sich aus mit der Krankheit. Sie wissen, welche Medikamente man unbedingt nehmen muss. Sie erledigen Verbandswechsel, für die die Patienten sonst ins Spital müssten – wo neue Infektionen drohen. Sie sorgen für intravenöse Ernährung, wenn das notwendig ist. Und sie helfen bei der Körperpflege, wie bei Michael. Rothmeyer wäscht ihm die Haare, schmiert ihm die trockene Haut ein, deren Zellen von den schweren Medikamenten angegriffen sind, spritzt ihm ein Mittel, das eine Thrombose verhindern soll. „Und ansonsten tratschen und politisieren wir.“

Mehr Zeit dank Life Ball

Dass Menschen wie Michael von HIVmobil gepflegt werden können, ermöglicht die Stadt Wien. Dass sich die Pfleger dafür mehr Zeit als vorgeschrieben nehmen können, dass auch Zeit für ein Gespräch bleibt, das ermöglicht der Life Ball, der den Verein seit über zehn Jahren unterstützt.

Mit HIV infiziert hat sich Michael 1997 über einen sexuellen Kontakt, das Kondom war gerissen. Noch im selben Jahr wurde der Virus in seinem Körper entdeckt. Es dauerte bis 2006, bis die Krankheit bei ihm ausbrach. Medikamente hatte er bis dahin keine genommen: „Damals hab ich zu viel getrunken, das hätte ich gar nicht geschafft.“ 2006 gehorchten ihm plötzlich seine Beine nicht mehr; er schnitt sich in die Hand und spürte nichts: Aufgrund der Immunschwäche hatte ein Virus das Gehirn angegriffen. PML heißt die Krankheit, die vor allem Aids-Patienten befällt, progressive multifokale Leukenzephalopathie. Bei Michael sind für die Motorik zuständige Hirnzellen befallen. Er kann nicht mehr gehen, der linke Arm ist schlaff. Während er erzählt, bewegt er seine Beine mit einem Beintrainer, radelt brav vor sich hin. Wichtig wären auch die Arme, doch die Krankenkasse hat ihm ein falsches Gerät geschickt. Die Mitarbeiter von HIVmobil arbeiten daran, dass er das richtige bekommt.

Zahnärzte verweigern Dienst

Theoretisch könnten auch andere Dienste die Pflege HIV-positiver Patienten übernehmen. Doch denen fehlt das spezifische Wissen. „Die Realität hat gezeigt, dass viele im Umgang mit den Patienten Angst haben“, sagt Jan Kubicek, Geschäftsführer von HIVmobil. Soziales Aids nennt man das. Mitunter schlägt Patienten sogar von medizinischer Seite Ablehnung entgegen, ergänzt Rothmeyer. „Es gibt sogar Zahnärzte, die unsere Klienten nicht betreuen.“ Und das Wissen, das viele Leute etwa über mögliche Ansteckungswege hätten, sei „aberwitzig“. Aberwitzig falsch.

Überhaupt sei in der öffentlichen Information über die Krankheit vieles falsch gelaufen, glaubt er. „Anfangs sah man nur schwer kranke, ausgemergelte Leute. Später drehte sich alles nur noch um die tolle Therapie.“ Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Der echte Kranke ist kein „Optimalpatient“, meint auch Kubicek. „Nur noch eine Tablette“, hieße es in den Medien. Die Patienten des Vereins schlucken oft eine ganze Batterie.

Neben dem Virus müssen oft auch die Nebenwirkungen der Therapie bekämpft werden. Mit Fortdauer der Therapie mehren sich auch die Komplikationen. „Der Virus ist erfinderisch, das muss man ihm lassen“, sagt Rothmeyer beinahe anerkennend. Wenn man etwa den strikten Medikationsplan nicht einhält, entwickelt der Virus leicht Resistenzen, man muss auf andere Medikamente ausweichen. Einige ihrer Klienten, sagt Kubicek, seien bei einer „Last-Chance-Methode“ angelangt. „Da kann man nur noch hoffen, dass nichts schiefgeht.“ Von den Mühen des Alltags, etwa wenn bestimmte Medikamente auch auf Reisen ständig gekühlt werden müssen, ganz zu schweigen.

Am Ende: Einsamkeit

An Reisen kann Michael nicht mehr denken. Allein um einmal das Haus zu verlassen, braucht er die Hilfe mehrerer Freunde. „Aber es geht mir eh gut“, meint er. Wegen dieser Freunde. Bei anderen Patienten, die von HIVmobil betreut werden, haben sich Familie und Freunde längst abgewandt. „Da sind wir die einzigen Menschen“, sagt Jan Kubicek, „die die Patienten sehen.“

Doch auch Michaels Freunde sind nicht immer da, vor allem abends ist er einsam. Es müsste eine Zentrale geben, die Leute wie ihn untereinander vermittelt, sinniert er, während er mit einer Zigarettenpackung spielt. „Wer weiß, vielleicht sitzt gleich um die Ecke jemand, der genauso allein ist wie ich, und wir wissen nur nichts voneinander.“ Wer will, sei bei ihm jedenfalls willkommen, sagt er und reicht zum Abschied die Hand. Sie ist so trocken, dass sie sich anfühlt wie die rissige Rinde eines Baums.

AUF EINEN BLICK

■Der Verein HIVmobil ist auf HIV-spezifische medizinische Hauskrankenpflege spezialisiert. Das Team besteht aus diplomierten Krankenpflegern und einem Arzt und kümmert sich um Körperpflege, Wundmanagement, Infusionen, Ernährung und Schmerztherapie. Es unterstützt Angehörige, stellt Kontakt zu anderen Angeboten her und bietet außerdem auch Sterbebegleitung. HIVmobil arbeitet eng mit den beiden Wiener Aids-Stationen im AKH und im Otto-Wagner-Spital zusammen.

Information über den Verein bzw. unterstützende Mitgliedschaften: www.hivmobil.org

■Unterstützt wird HIVmobil vom Life Ball bzw. vom Verein Aids Life. Bis zu 600.000 Euro des jährlichen Reinerlöses des Balls fließen in nationale Hilfsprojekte wie die „Aids Hilfe“, die Selbsthilfegruppe „Positiver Dialog“ oder das „Buddy Projekt“ für Betroffene, denen Familie und Freunde fehlen. Der vorläufige Reingewinn des Life Ball 2010 wird morgen, Mittwoch, bekannt gegeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2010)

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