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„Take That“: Eine Boygroup besinnt sich ihrer Tugenden

Eine Boygroup besinnt sich
Eine Boygroup besinnt sich(c) AP (Yui Mok)
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Die wiedervereinigten „Take That“ veröffentlichten mit „Progress“ ein beschwingtes Dancepop-Album. Die Gefühle, die in ihren Songs abgehandelt werden, reichen nicht über die Klischees hinaus.

Seinen ersten Take-That-Scheck investierte der damals 17-jährige Robbie Williams dem Mythos nach in die Gasrechnung seiner Oma. So viel kann die seither gar nicht verheizt haben, als dass finanzielle Gründe für die Reunion von Take That auch nur eine entfernte Rolle gespielt haben könnten. Auch dass seine Erfolgskurve in den letzten Jahren eine leichte Abwärtstendenz zeigte, war alles andere als alarmierend. Was der 36-jährige Exzentriker für sich als Misserfolg definiert, wäre für andere der Hit ihres Lebens. Und Bandleader Gary Barlow? Er hat die Boygroup 2005 nach fast zehn Jahren Ruhestand aktiviert und war mit dem Comeback-Album „Beautiful World“ auch ohne „Bad Boy“ Robbie Williams erfolgreich. Die Songsammlung verkaufte sich 2,6 Millionen Mal und die Single „Patience“ war zehn Wochen in den britischen Top Ten. Lag es also an den Bedürfnissen der Fans, dass man sich doch noch einmal in die alten Posen begab?

In britischen Tabloids wurden in diesem Herbst viele Vermutungen angestellt, warum längst erwachsene Menschen immer noch auf die holzschnittartigen Charaktere ihrer sie einst durch die Pubertät begleitenden Boygroup reflektieren. Die Sehnsüchte konnten bei „Take That“ stets mehrere Richtungen nehmen. Unter den Bandmitgliedern gab es einen frechen, einen attraktiv fleischigen, einen leicht schrägen, einen perfekten Mädchenschwarm sowie einen, der niemandem auffällt. Die schwelgerische Melodik, die von präzise synchronisierten Tanzbewegungen begleitet wurde, war überdies sowohl für heterosexuelles wie für schwules Publikum vermarktbar. Während all ihrer Karrierephasen waren Take That in der Lage, Stadionkonzerttourneen innerhalb von einer halben Stunde auszuverkaufen. Dazu kam, dass die Gruppe immer eine gewisse Ironie zeigte. In Interviews, aber auch in Songtexten.

Die Fans schienen Sehnsucht nach selbstreferenziellen „Take That“-Songs zu haben, die die Bandgeschichte und damit die Jugend der Altfans weiterschreibt. Und so war es keine Überraschung, dass die Antagonisten Gary Barlow und Robbie Williams mit „Shame“ einen ersten Song gemeinsam kreierten, der ihre vertrackte Beziehung zueinander zum Thema macht. Zu warm tönenden Gitarrenakkorden offeriert Gary Barlow Ursachen des Disputs: „Well there's three versions of this story: mine, yours and the truth. And we can put it down to circumstance, our childhood, then our youth.“ Williams sonore Stimme setzt theatralisch schuldbewusst ein: „Out of some sentimental gain, I wanted to feel my pain, but it came back return to sender. I read your mind and tried to call, my tears could fill the Albert Hall – is this the sound of sweet surrender?“ Dann überwältigt ein saccharinsüßer Refrain: „What a shame we never listened. I told you through television. And all that went away was the price we paid. People spend a lifetime this way – oh, what a shame!“

Abgedroschen, aber überlebensfähig

Dass diese Kapitalschnulze nicht auf dem sechsten Album von Take That drauf ist, sondern auf Robbie Williams' Anthologie „In And Out Of Consciousness“, passt ins Bild einer Band, bei der selbstverständlich auch die Geldflüsse kalkuliert sind. „Progress“ setzt auf ziemlich synthetisch klingenden Dancepop, der meist wie ein schaler Aufguss von Mika oder den Pet Shop Boys tönt. Als Sänger dominieren Robbie Williams und Mark Owen. Gary Barlow singt nur zweimal Leadvocals. Auf einem der beiden Barlow-Songs, dem behäbigen „Eight Letters“, greift man gar auf ein Sample des Ultravox-Songs „Vienna“ zurück. Langweiliger geht es eigentlich gar nicht mehr.

Und doch entfalten Take-That-Songs wie „Eight Letters“ oder auch die leicht zähe Single „The Flood“ im Powerplay der Radios ihren eigenen Charme, erweisen sich Melodien, die schon von vornherein abgegriffen klingen, als erstaunlich überlebensfähig. Die Gefühle, die in solchen Songs abgehandelt werden, reichen nicht über die Klischees hinaus. Dass die Sänger darob derart in Emphase geraten, ist im Grunde das Wunder und die Essenz der Kunst von Take That.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2010)

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