Wien: Flash-Mob gegen Globuli

Wien FlashMob gegen Globuli
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Für die einen ist Homöopathie wirksame Medizin, für die anderen Unsinn. Letztere versammelten sich am Samstag zu einer Protestaktion, um sich eine "Überdosis" zu verpassen. Zusammengebrochen ist niemand.

Ein Sturm weht um den Dom, als sich am Samstagvormittag rund 20 Menschen auf dem Stephansplatz versammeln und kleine, braune Fläschchen hervorholen. Sie wollen sich eine „Überdosis“ verpassen, sagen sie. Dann kippen sie den Inhalt der Fläschchen – kleine, weiße Kugeln – in ihre Münder. Einige Touristen bleiben verwundert stehen, andere fotografieren die Gruppe. „Jetzt brechen s' glei zam“, sagt ein Zuschauer und lacht. Die meisten der Anwesenden lachen mit.

Zusammengebrochen ist niemand, auch Nebenwirkungen gab es keine. Und genau das wollten die Aktivisten zeigen: Sie sind Homöopathie-Skeptiker, die mit einer Überdosis der homöopathischen Kügelchen, der Globuli, beweisen wollen, dass Alternativmedizin wirkungslos ist. „Nichts drin, nichts dran“, lautet ihr Motto; der Spruch ziert auch die weißen T-Shirts einiger Teilnehmer. Aufgerufen zu der Aktion hatten die „Internationale Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP)“ und die Wiener Kollegen der „Gesellschaft für kritisches Denken“. Der Flash-Mob begann um Punkt 10.23 Uhr – die Zeit ist kein Zufall, sondern spielt auf die Avogadro-Konstante an. „Das bedeutet, dass ab einer Verdünnung von eins zu zehn hoch 23 kein einziges Molekül der Ausgangssubstanz mehr vorhanden ist“, sagt Ulrich Berger, Vorstandsmitglied der GWUP.

Für Berger ist diese Verdünnugsmethode, die sogenannte Potenzierung, der Beweis, dass homöopathische Mittel lediglich überteuerter Zucker sind. Für Befürworter bleibt hingegen die Kraft oder Energie des jeweiligen Mittels trotz Verdünnung erhalten – oder wird dadurch gar verstärkt. Gerade in Sachen Homöopathie und Alternativmedizin scheint es nur zwei Seiten zu geben: Entweder man ist dafür oder dagegen. Für die einen ist es ein Heilmittel, für die anderen Humbug.


3000 verschiedene Mittel. Nicht nur Wien war am Samstag Schauplatz einer Anti-Homöopathie-Aktion. An öffentlichen Plätzen in insgesamt 53 Städten weltweit wurden Globuli geschluckt. Dass nach der Einnahme der homöopathischen Medikamente nichts passiert ist, wundert selbst Homöopathen nicht. Immerhin sollen die Mittel erst durch wiederholtes Einnehmen wirken. Und: Homöopathie setzt individuelle Beratung voraus, um festzustellen, welches der rund 3000 verschiedenen Mittel wofür eingesetzt werden soll. Auch Berger streitet das nicht ab. „Das Ganze ist als Aktion gedacht. Wir wollen keinen wissenschaftlichen Beweis erbringen, sondern eine Diskussion anregen und die Bevölkerung auf das Thema aufmerksam machen.“

Denn während Homöopathie zwar weitreichend bekannt ist, weiß kaum jemand, worum es sich dabei genau handelt. „Das wird oft mit Naturheilkunde verwechselt“, meint Berger. Bei einer deutschen Umfrage gaben 97 Prozent der Befragten an, Homöopathie zu kennen, allerdings nur 17 Prozent konnten das Grundprinzip „Ähnliches durch Ähnliches heilen“ oder die Potenzierung damit verbinden.


Glaubenskrieg. Ob sich das durch die Protestaktion so schnell ändern wird, sei dahingestellt. Fakt ist, dass zwischen Anhängern und Gegnern der Homöopathie längst eine Art Glaubenskrieg herrscht. Die einen kritisieren die für sie sinnlose Einnahme und warnen vor den indirekten Schäden. Wer vor allem bei schweren Erkrankungen (zu lange) auf Homöopathie setzt und auf die konventionelle Schulmedizin verzichtet, läuft Gefahr, die Erkrankung zu verschleppen. „Ein bekannter ist an Darmkrebs gestorben“, erzählt Michael Horak, „weil er zu lange auf Alternativmedizin gesetzt hat.“ Auch er hat eine Überdosis Globuli geschluckt, um zu zeigen, dass Homöopathie nichts anderes als eine „Pseudowissenschaft“ sei.

Horak ist Biomediziner. Ihm und seinen Kollegen widerstrebt es, an etwas zu glauben, das nicht ausreichend wissenschaftlich bewiesen ist. Sie sprechen von einem „Milliardengeschäft mit der Dummheit der Menschen“ und „Verunglimpfung von Wissenschaft“. Den Befürwortern hingegen reicht der Beweis der Erfahrung. Fragt man bei einem Homöopathen nach, bekommt man in erster Linie eine Reihe an Fallbeispielen zu hören, wo Globuli und Co. wahre Wunderheilungen vollbrachten. Und beide bemängeln beim anderen die fehlende Gesprächsbereitschaft und Höflichkeit. „Die Kommunikation ist leider schwierig. Mit überzeugten Homöopathie-Freunden kann man nur schwer reden. Für die ist es ein quasi religiöses Thema“, sagt Skeptiker Berger. Sein Pendant auf der Pro-Homöopathie-Seite klingt ähnlich. „Die Skeptiker suchen nicht das Gespräch, sondern attackieren Homöopathen auf eine aggressive Weise. Das ist ein Niveau, auf das ich nicht hinunterkommen kann und will“, sagt Michael Frass, Internist und Intensivmediziner am Wiener AKH, der dort auch die Spezialambulanz „Homöopathie bei malignen Erkrankungen“ leitet. Frass ärgert sich besonders dann, wenn jene, die nicht vom Fach sind, Homöopathie kritisieren. „Ich kommentiere doch auch keine Skirennen.“


Wirkt doch? Indessen begrüßt Frass, dass in Österreich nur Ärzte Homöopathie betreiben dürfen. „Das heißt, es sind keine Laien, sondern Spezialisten, die beide Seiten, also auch die Schulmedizin, kennen.“ Seit 1983 unterliegt die Homöopathie in Österreich dem Arzneimittelgesetz. Wer als Homöopath tätig sein will, muss davor eine klassische, schulmedizinische Ausbildung machen. Erst im Anschluss kann eine mehrjährige Spezialausbildung absolviert, die mit dem Homöopathie-Diplom der Ärztekammer abgeschlossen wird. Seit 1995 können sich auch Tierärzte zu Homöopathen ausbilden lassen. Skeptikern ist diese Professionalisierung ein Dorn im Auge.

Was hingegen selbst von den schärfsten Kritikern begrüßt wird, ist die zeitintensive Behandlung. Um eine individuelle Abstimmung vorzunehmen, welche der verschiedenen Mittelchen aus pflanzlichen, tierischen oder mineralischen Ausgangsstoffen zum Einsatz kommen sollen, muss sich der Homöopath zuerst mit dem Patienten auseinandersetzen. Das – und die Placebo-Wirkung – ist allerdings für Kritiker der Grund, warum Homöopathie manchmal doch „Wirkung“ zeigt.

An diese Wirkung glaubte früher auch der Dermatologe Theodor Much. Er verschrieb Globuli und besuchte Veranstaltungen über Homoöpathie. Erst später setzte er sich kritisch mit dem Thema auseinander, schrieb ein Buch darüber („Der veräppelte Patient?“) und erkannte, „dass alles nur Placebo ist“. Als Beweis hat auch er die weißen Kügelchen geschluckt. „Die Homöopathen sagen: ,Je stärker verdünnt, desto wirksamer‘. Das ist genau das Gegenteil der Schulmedizin.“ Als einstiger Befürworter und nunmehriger Kritiker von Homöopathie kann Much wie kaum ein anderer das Phänomen Globuli erklären. „Es ist die Sehnsucht nach einer sanften Medizin ohne Nebenwirkungen.“ Die einen erhoffen sich das durch die Kügelchen, die anderen eben mit Tabletten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2011)

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