Vorm „Sirk“: Die berühmteste Ecke von Wien

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Mit der Übernahme des Wiener Hotels Bristol hat die Sacher-Chefin Elisabeth Gürtler auch einen einst in der k. u. k. Zeit legendären Rendezvous-Platz und Flanierzone mitgekauft. Hier traf sich die Society.

Sie raucht zwar keine Zigarren wie weiland die Anna Sacher. Im Gegenteil, sie raucht überhaupt nicht. Sie scheint auch sonst diszipliniert zu sein, was den Verzehr der eher trockenen Sachertorten betrifft, die hauptsächlich von Touristen gerühmt werden, die daheim nicht verwöhnt sind. Elisabeth Gürtler, Geschäftsführerin des Hotels Sacher hinter der Wiener Staatsoper, hat sich das Bristol an der Ringstraße geangelt.
Das Wiener Bristol ergänze die Sacher-Gruppe ideal, sagte Gürtler. Pläne für das Hotel hat sie bereits:  Es soll ein Glanzstück für Wien geschaffen werden.  Unter anderem soll es künftig mehr Zimmer geben. Die Sachertorte, die im Bristol erhältlich sein soll, werde das einzig erkennbare Zeichen sein, dass das Haus zur Gruppe gehöre, so Gürtler. Betrieben wird das Haus weiterhin von Starwood – auf Basis eines Managementvertrags, der über 25 Jahre läuft.
Es ist schon der zweite Bau an dieser Stelle. Zwei Privatgebäude, die 1860 errichtet worden waren, wichen 1913 dem heutigen Hotelpalast, den die Architekten Ladislaus Fiedler und Peter Palumbo in neoklassizistischem Pomp entworfen haben. Die Fassade strahlt noble Atmosphäre aus, so wie das benachbarte Palais Todesco der berühmten Bankiersfamilie aus der Ringstraßenepoche.
Frau Gürtler hat mit dem Bristol auch das einst berühmteste – und teuerste – Eck der Wiener Ringstraße mitgekauft, an dem heute ahnungslose Passanten vorüberhasten: Die „Sirk-Ecke“, in der k. u. k. Zeit Rendezvous-Treffpunkt und Flanierzone, etwa seit 1880 benannt nach dem dort befindlichen feinen Lederwarengeschäft des Herrn August Sirk. Schon seit Fertigstellung des Opern- und des Kärntner Rings im Jahre 1865 zählt die Kreuzung zu den am meisten frequentierten Plätzen Wiens. Hier traf – und trifft – die Vorstadt auf die Altstadt. Hier tut sich die breiteste Einfallschneise ins Stadtzentrum auf.
Ein eigenartiger Brauch, der viel Tagesfreizeit voraussetzte: Zu Mittag promenierte jedermann, der auf sich hielt, vom Schwarzenbergplatz bis hinauf zum Eck an der Kärntner Straße, sah und ließ sich sehen. Tagtäglich. Karl Kraus hat das Sirk-Eck unsterblich werden lassen. „Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke“ heißt gleich die erste Szene in seinen „Letzten Tagen der Menschheit“. Auch Heimito von Doderer, Arthur Schnitzler, Alexander Lernet-Holenia und Robert Musil haben diesen Ringstraßen-Korso beschrieben.
„Hier traf sich alles, was Geld und Namen hatte“, schreibt die Historikerin Reingard Witzmann. Und sie zitiert den kritischen Ungarn Ludwig Hevesi, der das Menschengewühl 1895 zu beschrieb: „Ganze Prozessionen von zweibeinigen Bibern und Zobeln drücken sich aneinander vorbei. An der bekannten Straßenecke, wo alles wie auf Commando kehrt macht, stauen sich die Gruppen von Rittern des Chic, der Monokel-Adel, die Bügelfaltokratie.“ Künstler, Politiker, Journalisten, Lobbyisten – was man heute also an jedem Vormittag im Café Landtmann neben dem Burgtheater mit Amüsement beobachten kann.

Sehen und gesehen werden

Weil das Bedürfnis, sich wichtig zu geben, wichtig zu machen oder für wichtig gehalten zu werden, zu allen Zeiten gleichermaßen galt. In vielen kleineren Städten der Donaumonarchie ist dieses tägliche Ritual nachgeahmt worden, Joseph Roth berichtete darüber.
Nur die Offiziere fehlen heutzutage in dieser bunten Menge. Sie fühlten sich einst als der erste Stand im Staate, hatten die prächtigsten Uniformen und blickten auf die Herren im Gehrock mit Zylinder trotz mangelnder Bildung verächtlich herab. Otto Friedländer hat ihnen im „Letzten Glanz der Märchenstadt“ ein Denkmal gesetzt. „Es ist wirklich schwer zu sagen, welche österreichische Uniform die schönste ist, und dabei sind sie mit wenigen Ausnahmen ganz einfach: keine Epauletten, keine Posamentrie, keine glitzernden Gürtel – nur gute Schnitte und gut zusammengesetzte Farben, gerade mit Andeutungen von Gold, wie etwa der kleine goldene ,Wasserfall‘ am Rücken des Ulanenrocks oder die goldene Fangschnur am Kavalleriepelz . . .“ Die braune österreichische Artillerieuniform mit dem roten Kragen habe auf der Pariser Weltausstellung 1900 den Preis als schönste Uniform der Welt davongetragen.

Heute: Eine Anker-Filiale

All diese Pracht drängte also tagtäglich ins Freie, um sich an der frequentiertesten Ecke der Stadt darzustellen. Der Erste Weltkrieg machte dieser beschaulichen Lebensweise ein Ende. Und danach forderten Autos und Tramway gebieterisch ihr Recht: 1926 musste auf der Opernkreuzung die erste Wiener Verkehrsampel montiert werden. Und 1929 wurden dort und „unten“ bei der Wollzeile die ersten Fußgängerübergänge markiert. Einmal noch – vor 1955 – standen hier viele Wiener, um zu staunen. Eine gigantische Baugrube tat sich vor der Oper auf, die erste unterirdische Passage war eine Sensation. Heute befindet sich an dem berühmten Eck bezeichnenderweise eine Anker-Filiale.

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