In Kongos umkämpfter Grenzstadt

Kongos umkaempfter Grenzstadt
Kongos umkaempfter Grenzstadt(c) REUTERS (GORAN TOMASEVIC)
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Die Spitäler Gomas sind voll von Verwundeten der Gefechte zwischen Regierung und M23-Miliz. Die Menschen fürchten, dass ein Abzug der Rebellen nicht das Ende des Konflikts ist.

Doktor Augustin Hangi führt durch das Virunga Krankenhaus. „Derzeit behandeln wir etwa 50 Kriegsverwundete“, sagt er in fast fließendem Deutsch. Der Chirurg hat seine Facharztausbildung in Deutschland abgeschlossen, dort acht Jahre lang in verschiedenen Spitälern gearbeitet. Aber selbst das Militärkrankenhaus in Ulm hätte ihn nicht auf das vorbereiten können, was er in diesen Tagen in Goma, im Osten der Demokratischen Republik Kongo, erlebt. „Vor dem Krieg waren all diese Gebäude leer“, sagt er und deutet auf zwei einstöckige Gebäude. Seit vergangener Woche stehen dort Betten für die Menschen, die bei den Gefechten verletzt wurden.

In einem Bett liegt ein zweieinhalb Jahre alter Bub, seine beiden Beine sind in dicke Verbände gewickelt. Das Röntgenbild zeigt die Granatsplitter, die sich in seine Waden gebohrt haben. Seinem sechsjährigen Bruder wurde ein Fuß amputiert. Er schläft unruhig, mit schmerzverzerrtem Gesicht. Daneben liegt die Mutter mit blutigen Verbänden um die Brust. Sie weiß nicht, dass ihre beiden anderen Kinder bei dem Angriff umgekommen sind.

„Wir wollen nicht, dass M23 hier in Goma bleibt“, sagt die 22-jährige Rachel und schüttelt den Kopf. Auch ihre zwölfjährige Schwester wird hier im Krankenhaus behandelt. Die Granaten der M23-Rebellen sind der Grund, warum Dianes Unterschenkel nun in Verbänden stecken.

Mit acht Jahren zwangsrekrutiert. Tagelang hatten sich die Aufständischen mit Soldaten der kongolesischen Armee Gefechte geliefert. Die M23 nahm Goma und weitere Städte ein, um Druck auf die Regierung in Kinshasa auszuüben. Zunächst forderten die Aufständischen, dass die Regierung ihre Versprechen einlöse und die Männer der M23 in die regulären Streitkräfte eingliedere. Später behaupteten die Rebellen sogar, man werde die Hauptstadt erobern. Nach langwierigen Verhandlungen begann die M23 am Samstag aber mit dem Abzug aus Goma.

Im Virunga Krankenhaus der Stadt werden ausschließlich Zivilisten behandelt. Verwundete Kämpfer liegen im Militärkrankenhaus der Stadt: so wie Patrick Bawere. Er wurde mit acht Jahren von der FARDC, den Streitkräften der Demokratischen Republik Kongo, zwangsrekrutiert. Gemeinsam mit 190 anderen Buben sei er 1997 aus seiner Heimatstadt Beni entführt worden, erzählt der heute 20-Jährige. Er sei der Jüngste gewesen. „Die anderen waren etwa zwölf bis 15 Jahre alt.“ Drei Lastwagen voll Minderjähriger hätte die FARDC mitgenommen.

Bawere stöhnt vor Schmerzen, während er sein linkes Bein massiert. Als die M23-Rebellen vor drei Wochen nach Kichanga vorrückten, geriet er in ein Gefecht. Eine Kugel ging durch seine rechte Schulter und trat hinten zwischen den Rippen wieder aus. Eine zweite zertrümmerte seinen linken Knöchel. Die gesamte Ferse musste abgenommen werden.

„Ich will raus“, sagt Bawere. 2003 wurde er von Conader (Commission Nationale de Désarmement, Démobilisation et Réinsertion – heute PNUD), einer UN-Organisation, die sich Kindersoldaten annimmt, aufgegriffen. Aber bewaffnete FARDC-Offiziere hätten ihn zurückgeholt und weiter zum Kriegsdienst gezwungen – so lange, bis er jetzt im Kampf gegen die M23 angeschossen wurde. Seither habe er weder seinen Sold erhalten, noch medizinische Versorgung. Als die M23 Dienstag vor einer Woche Goma einnahm, wurde er mit seinen verletzten Kameraden ohne weitere Hilfe zurückgelassen.

„Ich möchte mein Land befreien.“ Patrick Muzeyi ist Gründungsmitglied der M23, die sich im März gebildet hat. „Ich möchte mein Land befreien“, sagt er mit sanfter Stimme. Kampferfahrung hat er in der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) gesammelt, der er 1992 beitrat. „Ich bin im Kongo geboren“, erzählt der 39-Jährige, der der Volksgruppe der Tutsi angehört. „Aber wir mussten weg, weil die Tutsi hier nicht akzeptiert wurden.“ Er kämpfte auf Seiten der Tutsis gegen das Hutu-Regime in Ruanda – ein Konflikt, der 1994 in einem Massaker an Tutsis mit rund 800.000 Toten seinen tragischen Höhepunkt fand. 1997 kämpfte er dann gegen die kongolesischen Truppen. Damals, wie auch heute, ging es um die rohstoffreichen Gebiete im Osten des Kongos, auf die auch Nachbarländer wie Ruanda und Uganda Appetit bekamen. Dann hatte Muzeyi genug vom Krieg. „2004 verließ ich die Armee. Ich war müde. Ich wollte etwas anderes tun.“ Weil er jahrelang für die Logistik im Militär zuständig war, fand er einen Job als Chief Operation Manager bei Skynet, einem globalen Paketdienst, in Ruandas Hauptstadt Kigali. Dort verdiente er rund 600 US-Dollar im Monat und wohnte mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in einer komfortablen Zweizimmerwohnung. „Ruanda war das Land, das mich aufnahm. Aber Kongo ist mein Zuhause.“ Deshalb gab er sein Leben in der Mittelklasse Kigalis auf – aus, wie er sagt, „rein ideologischen Gründen“.

„Kongos Regierungssoldaten haben alles: Lebensmittel, Munition und eine gute Logistik“, sagt er. Was ihnen fehle, sei die Moral. Nur so könne er erklären, warum die nur etwa 5000 Mann starke M23-Miliz gegen 20.000 Regierungstruppen und 6000 UN-Blauhelme vorrücken konnten.

Ein Großteil der Zivilbevölkerung im Osten des Kongo hat mittlerweile aber genug von den Rebellen. Selbst bei ursprünglichen Anhängern ist die Euphorie abgeflaut. „Als die Männer von M23 kamen, fühlte ich mich zunächst sicher“, sagt Janvier Saidi. Er arbeitet in einem Kiosk. Im Regal hinter ihm stehen ein paar Red-Bull-Dosen, Spirituosen und Seifenspender. Janvier bleibt auch über Nacht im Laden, auf einer dünnen Plastikmatte schlafend. Freitagnacht wurde er wach, als Uniformierte die drei Vorhängeschlösser an dem Metalltor aufbrechen wollten. „Es waren vier Soldaten“, erzählt der 19-Jährige. Er sei sich sicher, dass es Mitglieder der M23 gewesen seien. „Mit einer Taschenlampe leuchteten sie durch das herausgerissene Schlüsselloch.“ Er habe sich in der Ecke neben der Tür versteckt. Sie hörten, dass jemand im Laden war und zogen zum nächsten Laden, aus dem sie Kleidung und Nähmaschinen mitnahmen.

Am Samstag begannen die kongolesischen Truppen vorzurücken, um Goma nach einem Abzug der M23 einzunehmen. Nicht alle sind glücklich über eine Rückkehr der Regierungssoldaten. „Das wäre eine Katastrophe“, klagt Doktor Hangi.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2012)

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