Der Weltpolizist ist amtsmüde geworden

Barack Obama, Joe Biden
Barack Obama, Joe BidenAP
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Barack Obama will global leisertreten. Doch Amerikas nationale Interessen verbieten das.

Washington. In der schlechtesten aller Welten sieht Obamas zweite Amtszeit so aus: China und Japan lassen in ihrem Inselstreit die Kanonen sprechen. Nordkorea greift Südkorea an. Die von Washington teuer und mit hohem Blutzoll installierte Regierung Afghanistans wird von den Taliban überrannt. In Riad bringt eine islamistisch geprägte Revolution das Haus Saud zum Einsturz. Die Palästinenser-Behörde hält dem Druck der radikalen Hamas nicht mehr stand. Ägypten und Israel beerdigen nach 35 Jahren das Friedensabkommen von Camp David und bekriegen sich wegen des Sinai. Und zu allem Überdruss zerreißt es den Euro.

In der besten aller Welten hingegen darf Obama den Freihandel mit Europa und Asien einrichten, Syrien bei der Schaffung eines humanen Staatswesens zur Hand gehen, Teheran vom Bau der Atombombe ab- und der Einführung der Demokratie zuraten, gemeinsam mit Wladimir Putin die Atomwaffenarsenale verschrotten, mit Kuba ein Einvernehmen finden und für dauerhaften Frieden im sino-japanischen Gezänk sorgen.

Säulen der US-Vormacht wackeln

Beide Szenarien, welche die renommierte US-Ideenschmiede Brookings Institution am Donnerstag in einer 94-seitigen Infomappe an das Weiße Haus adressierte, markieren nur die äußersten Ränder des globalen Spielfeldes, auf dem Obama sich zu beweisen haben wird. Auf idealistisch überdrehte Großprojekte wie die endgültige Lösung des Nahost-Konflikts hat dieser Präsident keine Lust; das lehrt seine erste Amtszeit. Und selbst dort, wo die Lösung eines fremden Problems im kommerziellen Interesse der Amerikaner wäre, fehlen ihnen Finesse und Nachdruck: Man denke nur daran, wie Obamas Finanzminister Timothy Geithner sich im Herbst 2011 in das Breslauer Treffen der EU-Finanzminister hineinreklamierte – und mit seinen Tipps zur Lösung der Eurokrise von den Europäern schnöde abgeputzt wurde.

Zumal die USA, hoch verschuldet und bisweilen am Rande der politischen Totalblockade taumelnd, alle Hände voll zu tun haben, das von ihnen gestaltete und sechs Jahrzehnte lang dominierte Nachkriegssystem zu retten: Die Welthandelsorganisation WTO, Garantin eines Rechtsrahmens für den Freihandel, ist klinisch tot. Im Internationalen Währungsfonds nähert sich die Reform der Stimmrechte und Quoten dem Abschluss – und es wird ein Abschluss sein, der das faktische US-Veto in dieser Säule der Marktwirtschaft zugunsten der Chinesen, Inder, Brasilianer beenden wird. Die Nato wiederum weiß im dritten Jahrzehnt nach dem Ende der UdSSR noch immer nicht so recht, was ihr neuer Zweck sein soll.

Isolieren oder engagieren

Wie so oft in der Geschichte fragt man sich also in Washington, ob dem Rückzug aus dem Irak und Afghanistan nicht auch eine prinzipielle Abkehr Amerikas von der Weltbühne folgen sollte. Einen faszinierenden Ideenstreit liefern sich die außenpolitischen Denker Barry R. Posen (Massachusetts Institute of Technology) und G. John Ikenberry (Princeton) auf den Seiten der aktuellen Ausgabe des „Foreign Affairs“-Magazins. Posen beklagt, dass Amerika imperial überdehnt sei, seine Militärbündnisse die Partner zum Trittbrettfahren verführe und die rund 180.000 US-Soldaten im Ausland nur den Zorn auf Amerika anfachten. „Fremde Völker reagieren feindselig auf Außenseiter, die ihr Leben zu kontrollieren versuchen“, fasst er die Debakel der Bush-Kriege zusammen.

Ikenberry und seine Mitstreiter Stephen G. Brooks und William C. Wohlforth (Dartmouth College) halten dem entgegen, dass Amerika sich gerade jetzt global engagieren muss, um seine Interessen zu schützen. „Wenn Washington sich aus Ostasien zurückzöge, würden Japan und Südkorea wohl ihre militärischen Fähigkeiten ausbauen und zu Atommächten werden“, argumentieren sie.

Nicht jedes Problem auf dem Erdball müsse vom Weltpolizisten USA beamtshandelt werden. Doch nur, wenn Amerika geopolitisch dominant bleibe, bleibe der Dollar die Leitwährung – und erleichtere es damit, wie Ikenberry, Brooks und Wohlforth erinnern, neue Staatsschulden aufzunehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2013)

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