Roma fliehen in deutsche Städte

Betroffene Kommunen schlagen Alarm: Die Armutseinwanderung aus Bulgarien und Rumänien ist für sie finanziell und sozial nicht mehr verkraftbar.

Berlin. Sieben Stockwerke Elend, mit Backstein umhüllt. Wo früher Bergleute wohnten, mitten in Duisburgs bürgerlichem Stadtteil Bergheim, hausen nun im „Problemhochhaus“ 240 Roma aus Rumänien. Bis zu zwölf Personen teilen sich eine Wohnung. Kaum einer kann Deutsch, die Kinder gehen nicht zur Schule. Der Vermieter kommt aus dem Rotlichtmilieu.

Die Polizei kennt die Adresse, über 150 Verdächtige haben sie im Vorjahr angegeben, meist ging es um Diebstahl und Trickbetrug. Um das Haus stapelten sich bis vor kurzem Müllberge. Den Anwohnern ist die angespülte Armut von den Rändern Europas ein Dorn im Auge. Sie klagen über Krach, sammeln Unterschriften für eine „Umsiedelung“ der Roma. Auf einem verrammelten Fenster am Eingang prangt das erste Hakenkreuz.

Für das Problem, das sich hier wie in einem Brennglas zeigt, gibt es erst seit Kurzem einen Namen: Armutseinwanderung. Es geht um Bulgaren und Rumänen, in der Regel Roma, die legal nach Deutschland kommen und so der bitteren Armut und Diskriminierung in ihrer Heimat entfliehen. Im Jahr 2007 waren es 64.000, im Jahr 2011 schon 147.000, im Vorjahr nochmals um ein Viertel mehr. Auf Deutschland verteilt wäre die Zahl verkraftbar. Aber der Zuzug konzentriert sich auf Großstädte und ärmere Quartiere, wo viele Substandardwohnungen leer stehen, vor allem in Duisburg, Dortmund, Mannheim und Berlin-Neukölln.

Dort verfolgt, hier ausgebeutet

Der Städtebund schlägt Alarm: Der soziale Frieden sei gefährdet. Betroffene Kommunen kommen mit den Mehrkosten nicht zurande, der Bund soll sie übernehmen. Dortmund fordert Brüssel auf, Integrationskommissare nach Bulgarien und Rumänien zu schicken.

Wenn ab 2014 die volle Personenfreizügigkeit auch für Bewohner der jüngsten Beitrittsländer gilt, dürfte sich die Lage zuspitzen. Noch müssen sie eine Arbeit nachweisen, um legal in Deutschland leben zu können. Weil sie mangels Qualifikation kaum Chancen auf eine ordentliche Anstellung haben, werden sie Scheinselbstständige, schlagen sich am Arbeitsstrich als Tagelöhner durch. Bereits jetzt bekommen die Familien Kindergeld. Ab 2014 genügt der Nachweis, hier drei Monate gearbeitet zu haben, für den Zugang zu Hartz IV.

Doch zur Arbeit zwingen die Roma schon jene, die aus ihrer Zwangslage skrupellos Profit schlagen: Am Bau werden sie mit zwei oder drei Euro pro Stunde ausgebeutet, für eine Matratze in Abbruchhäusern zahlen sie Wucherern 200 Euro, Schlepper ziehen ihnen für Behördengänge den letzten Cent aus der Tasche. Die Opfer beklagen sich nicht: Was auch immer sie hier erleben, es ergeht ihnen besser als zuhause. Wer gar nicht mehr weiter weiß, schickt seine Kinder zum Betteln, prostituiert sich, wird kriminell.

Es fällt auf, wie korrekt, ohne populistische oder rassistische Untertöne, die deutschen Politiker mit dem brisanten Thema umgehen. Viel wird getan, um die Lage an den Brennpunkten zu entschärfen: Kindergärtnerinnen kümmern sich um Schützlinge, die kein Wort Deutsch sprechen, Sozialarbeiter entschärfen Konflikte mit Anrainern. Aber alle wissen: Sie sitzen auf einem sozialen Pulverfass.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2013)

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