Amerikas bange Frage: Was kommt nach Assad?

Syrien
Syrien(c) EPA (SANA / HANDOUT)
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Syriens Diktator Assad war lange Zeit eine berechenbare Größe. In Washington fürchtet man, sein Sturz könnte Syrien in totales Chaos stürzen. Als Ausweg forciert man eine Verhandlungslösung.

Die Bilder sind nichts für schwache Nerven: Ein Mann in Tarnhose beugt sich über einen Leichnam und schneidet allem Anschein nach ein Stück heraus. „Ich schwöre bei Gott, dass wir eure Herzen essen werden, ihr Soldaten des Hundes Bashar", ruft er und beißt in das Stück Fleisch - offenbar das Herz des Toten. Inwieweit das neue Horrorvideo aus dem syrischen Bürgerkrieg tatsächlich das zeigt, was es offensichtlich tut, ist schwer zu überprüfen - so wie bei allen anderen Aufnahmen aus dem umkämpften Land. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch will den Mann in dem Video jedenfalls als Abu Sakkar identifiziert haben, den Chef der Unabhängigen Omar-al-Farouq-Brigade, einer Rebelleneinheit, die in der Stadt Homs operiert.

Eines ist sicher: Der Kampf in Syrien wird von allen Seiten mit immer größerer Grausamkeit geführt. Es waren die Truppen des Machthabers Bashar al-Assad, die als erste Gewalt gegen noch weitgehend friedliche Protestkundgebungen anwandten. Und die den später aufkeimenden militärischen Widerstand mit schweren Waffen zu zerschlagen versuchten. Doch auch die Kriegsführung der Aufständischen ist längst von enormer Brutalität gekennzeichnet. Jihadistische Gruppen, die der Terrorgruppe al-Qaida nahestehen, haben unter den Rebellen an Einfluss gewonnen. Sie kämpfen nicht nur gegen ein unterdrückerisches Regime. Sie kämpfen gegen die religiöse Minderheit der Alawiten, der auch Präsident Assad angehört. Und auch Christen geraten dabei immer wieder ins Visier.

Angst vor Aufrüstung der Rebellen

Zwar unterstützte man im Westen von Anfang an - zumindest moralisch - den Aufstand gegen Assad. Doch Teile der Rebellen waren den USA und anderen Staaten schon immer suspekt. Dieser Umstand spielt auch in den strategischen Überlegungen eine Rolle, die derzeit von Washington über London bis Berlin angestellt werden. Die Regierungen der USA und Großbritanniens denken daran, bestimmten Oppositionsgruppen Waffen zukommen zu lassen. Vor einer massiven Aufrüstung der Rebellen schreckt man aber nach wie vor zurück.

Dass der besonders brutale Bürgerkrieg in Syrien und das immense Leid zigtausender Menschen rasch beendet werden müssen, ist klar. Auch dass Präsident Assad nach all dem Blutvergießen nicht mehr tragbar ist und die Macht abgeben muss, bezweifelt niemand in den Regierungen der USA und der EU-Staaten. Die bange Frage lautet aber: Was kommt nach Assad?
Es war für die westlichen Staaten nie ein Geheimnis, dass der syrische Herrscher jede Opposition gegen ihn unterdrückte - schon bevor die Menschen gegen ihn auf die Straße gingen. Assad war aber auch immer ein berechenbares Gegenüber gewesen. Zwar ließ Damaskus zu Beginn über die Grenze Extremisten in den Irak einsickern, die dort Angriffe auf die US-Truppen verübten. Gleichzeitig kooperierten Syriens Geheimdienste aber mit Washington im „Krieg gegen den Terror" bei der Verfolgung Verdächtiger.

Assad gerierte sich zwar stets als großer Feind Israels und unterstützt gemeinsam mit dem Iran die Schiitenorganisation Hisbollah, die vom Libanon aus gegen Israel kämpft. Er war dabei bisher aber stets peinlich darauf bedacht, es zu keiner großen Konfrontation mit Israel kommen zu lassen, die er nur verlieren konnte und die ihn deshalb auch die Macht kosten würde. Die israelischen Militärstrategen konnten davon ausgehen, dass die Grenze zu Syrien eine ruhige Grenze war.

Patt auf dem Schlachtfeld

Damit ist es aber nun vorbei. Die Horrorvision des Westens: Nach dem Sturz des Assad-Regimes versinkt Syrien in völligem Chaos. Es kommt zu Massakern an Angehörigen der religiösen Minderheiten. Jihadistische Gruppen, die bisher mit der Bekämpfung des Regimes beschäftigt waren, richten hier ihre Stützpunkte ein und wenden sich neuen alten Feinden zu: den USA, Israel und den europäischen Staaten.

Es ist auch diese Sorge, die den Wunsch nach einer „geregelten Machtübergabe" bestärkt. Dazu soll die Syrien-Friedenskonferenz beitragen, die jetzt für Juni geplant ist - eine Idee, die vor allem die USA und Russland betreiben. Auf dem Schlachtfeld herrscht ein Patt zwischen den Regimetruppen und den Rebellen: Assad gelingt es nicht, den Aufstand niederzuschlagen. Den Rebellen gelingt es nicht, das Regime zu besiegen. Damit könnte sich ein Zeitfenster für Gespräche öffnen.
Er gehe davon aus, dass Assad an den Verhandlungstisch kommen möchte, sagte US-Außenminister John Kerry am Dienstag. Russlands Außenminister Sergej Lawrow habe ihm sogar schon mögliche Namen für die syrische Verhandlungsdelegation genannt. Die Hoffnung Washingtons und der USA: Teile des bisherigen syrischen Regimes und die Opposition könnten sich in Verhandlungen auf einen Waffenstillstand und eine Übergangsregierung einigen.

Damit eine solche Vereinbarung für die Opposition und den Westen tragbar wäre, müsste aber Assad Platz machen. Und dafür wäre der Druck Russlands auf Syriens Präsidenten nötig. Der syrische Informationsminister Omran Zoabi wurde am Dienstag mit den Worten zitiert, Syrien werde an keinem Treffen teilnehmen, „das direkt oder indirekt seine nationale Souveränität verletzt". Welche Rolle Assad in Hinkunft spiele sei eine „Entscheidung des syrischen Volkes". Ob Assad und sein engster Kreis tatsächlich gehen, ist also fraglich. Und auch in den Reihen der Rebellen mehren sich die Stimmen von Radikalen, die von einer friedlichen Lösung nichts mehr wissen wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2013)

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